SPÖ-Chef Babler
Gemessen an den Vorgängern: Andreas Babler soll das Erbe des roten Helden Kreisky (links hinten) hochhalten. Doch ihm fehlt die Trittsicherheit auf internationalem Terrain.
Christian Fischer

Der Parteichef gibt sich, ganz entgegen seinem Naturell, auffällig leise. Bereits wenige Stunden, nachdem die Mörder der Hamas am 7. Oktober in Israel eingefallen waren, hat Andreas Babler via X, vormals Twitter, den Terror unmissverständlich verurteilt. Seither war vom Oppositionsführer nichts mehr zur Causa prima zu vernehmen.

Es ist nicht so, dass Babler die von ihm sonst so geliebte politische Bühne diesmal anderen Mitstreitern überließe. Man muss schon tief graben, um überhaupt sozialdemokratische Statements zur aktuellen Eskalation des Nahost-Konflikts zu finden.

Einmal deponierte die SPÖ den Ruf nach internationaler Aufklärung der tödlichen Explosion im Al-Ahli-Spital von Gaza, ein anderes Mal ihre Erschütterung über die von der Fassade des Wiener Stadttempels gerissene israelische Fahne. Abgesehen von einigen Hamas-Verstehern in der Sozialistischen Jugend hat die zweitgrößte Parlamentspartei keine Angriffsflächen geboten – aber auch nichts, was auf eine eigenständige Linie in dieser hitzig diskutierten Frage schließen lässt.

In den glorreichen Zeiten der österreichischen Sozialdemokratie war das ganz anders. Die Nahostpolitik zählt zu jenen Meriten, die Bruno Kreisky zum unumschränkten Helden der roten Parteigeschichte machen. In international bahnbrechenden Initiativen hatte sich der von 1970 bis 1983 regierende Kanzler des kleinen, aber neutralen Österreich für die friedliche Errichtung eines palästinensischen Staates eingesetzt.

Still am Shitstorm vorbei

Der Vergleich mit anno dazumal ist natürlich ein wenig unfair. Weder ist Babler ehemaliger Außenminister und amtierender Regierungschef, noch hat er eine starke Sozialistische Internationale hinter sich. Doch wenn der SPÖ-Vorsitzende dieser Tage nicht einmal rhetorisch an Kreisky anknüpft, dann liegt das zuallererst an der besonderen Situation. Unmittelbar nach einem Massaker wie jenem der Hamas habe die Solidarität mit den Opfern im Vordergrund zu stehen, lautet die Einschätzung im Babler-Lager. Jedes eilig angefügte "Aber" klinge da nach Relativierung.

Heikel bleibt das Thema für die Genossinnen und Genossen allerdings auch mit wachsendem zeitlichem Abstand. Auf der einen Seite identifizieren sich viele Linke traditionell mit dem Engagement gegen die seit 1967 währende israelische Besetzung der Palästinensergebiete, die seit 2005 zwar nicht mehr den von der Hamas regierten Gaza-Streifen, aber nach wie vor das Westjordanland betrifft. Auf der anderen fühlen sich Sozialdemokraten aus der Geschichte des Holocausts heraus aber auch der Sicherheit des jüdischen Nationalstaates verpflichtet und wollen jeden antisemitischen Anschein vermeiden.

Daraus resultiere eine Scheu, sich mit prägnanten Aussagen hinauszulehnen, sagt eine Abgeordnete, die sich selbst nur anonym äußern will: "Weil sich der Diskurs so verengt hat, gibt es den Eindruck, dass man nichts außer einem Shitstorm erreichen kann."

Auf dem Minenfeld dieser Debatte gilt es, jedes Wort abzuwägen, was nicht unbedingt zu den Kernkompetenzen des zum spontanen Assoziieren neigenden Bablers zählt. Obendrein fehlt es dem Traiskirchener Bürgermeister gerade auf dem außenpolitischen Terrain an Erfahrung und damit an Trittsicherheit.

Einflüsterer für den Parteichef

Wolfgang Petritsch zählt zu jenen Menschen, die das ändern sollen. Der einstige Sekretär Kreiskys und spätere internationale Spitzendiplomat gehört zu einer Gruppe von Einflüsterern, die Babler bereits während seines Wahlkampfes um den SPÖ-Vorsitz im Frühjahr in internationalen Belangen briefte. Nun floss seine Expertise auch in die Meinungsfindung zum Nahost-Konflikt ein, denn alte Grundlagen sind nicht mehr up to date. Wegen anderer Prioritäten wie dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine hatte die Partei dieses Feld vernachlässigt.

Eine originär sozialdemokratische Haltung müsse gleichsam auf Kreisky wie auf dem Erbe Franz Vranitzkys aufbauen, skizziert Petritsch im Gespräch mit dem STANDARD die Strategie. Der von 1986 bis 1997 amtierende Kanzler räumte erst im Nationalrat, später bei einer Israelreise mit der hierzulande gut gepflegten Lebenslüge auf, dass Österreich nur Opfer des Nationalsozialismus gewesen sei. Vranitzky bat für die vielen von Landsleuten begangenen Verbrechen um Vergebung.

Mit diesen beiden Pflöcken sei ein differenzierter Kurs abgesteckt, erläutert Petritsch. Einerseits umfasse dieser ein eindeutiges Bekenntnis gegen Terror und zur Sicherheit Israels, anderseits aber die Einsicht, dass es ohne Lösung der Palästinenserfrage in den besetzten Gebieten keinen Frieden geben könne. Jeder Staat habe das Recht, sich selbst zu verteidigen, müsse jedoch auch auf angemessen Mittel in der Abwehr achten: Der Glaube, Akteure wie die Hamas einfach wegbomben zu können, habe sich schon beim Kampf gegen die Taliban in Afghanistan als spektakulärer Irrtum entpuppt.

Rote Standpunkte

Dieser Geist floss in ein neues Positionspapier ein, das die SPÖ-Linie ab sofort unterfüttert. "Alle Taten der Hamas sind nicht nur völlig inakzeptabel, sie machen auch sprachlos in ihrer Grausamkeit", heißt es eingangs. In der Folge bietet das dem STANDARD vorliegende Argumentarium mehrere Ansätze.

Die SPÖ setzt damit andere Akzente als die Bundesregierung unter ÖVP-Ägide. Außenminister Alexander Schallenberg wollte sich Borrells Ruf nach einer Feuerpause bisher nicht anschließen, die von der EU offiziell vertretene Zweistaatenlösung kommt maximal am Rande zur Sprache. "Man darf die Frage der Palästinenser nicht völlig vergessen", sagte Schallenberg in einem Ö1-Interview, im Vordergrund steht aber klar der Verweis auf Israels Recht zur Selbstverteidigung.

Andere Akzente als ÖVP

Der ÖVP-Abgeordnete Martin Engelberg stellte überhaupt jeden Zusammenhang zwischen dem Hamas-Terror und der israelischen Okkupation, die UN-Generalsekretär António Guterres zur Empörung der israelischen Vertreter "erdrückend" nennt, in Abrede. Es gehe nicht um die Besatzung, sagte Engelberg vergangene Woche im Nationalrat, sondern um einen Angriff auf die westliche Zivilisation: "Israel steht da nur an der Vorfront." Die roten Mandatare zollten keinen Applaus.

Petra Bayr hat sich die Rede gar nicht zu Ende angehört. Der außenpolitischen Sprecherin der SPÖ missfiel der Vergleich zu Beginn, wonach die Hamas schlimmer als die Nazis vorgegangen sei. Sie glaube nicht, dass sich Letztere – wie Engelberg meinte – für ihre Taten "wenigstens noch geschämt" hätten.

Abgesehen davon habe sie in den drei Wochen seit der Mordwelle aber wenig Grund gesehen, justament einen anderen Standpunkt als die Regierung zu vertreten, sagt Bayr. Sie verweist auf einen gemeinsamen Antrag mit ÖVP, Grünen und Neos im Parlament, in dem die Einhaltung des humanitären Völkerrechts von allen Beteiligten eingefordert wird.

Jugendliche Extremfälle

Andere in der Partei sind da weniger verbindlich. Die Sozialistische Jugend Vorarlbergs propagierte ein Posting der Gruppe Der Funke, wonach hinter der Verteidigung Israels "himmelschreiende Heuchelei des Imperialismus und seiner Lakaien" stehe. Die Landes-SP reagierte mit einem Parteiausschlussverfahren. Ein solches blüht auch Nachwuchsgenossen in Wien-Alsergrund, die sich ebenfalls mit Der Funke gemein machen.

Wie verbreitet solche Meinungen in der SPÖ sind? Bayr spricht von "Einzelfällen", die null Gewicht hätten. Tatsächlich bestünden Meinungsverschiedenheiten in der Partei nur in Schattierungen: "Welten prallen bei uns keine aufeinander." (Gerald John, 27.10.2023)