Noch vor dem offiziellen Start der neuen Skisaison erlebt der Skisport seinen ersten großen Aufreger. So verkündete der erst 23 Jahre alte Skirennfahrer Lucas Braathen nach einem Streit mit dem norwegischen Skiverband medienwirksam und völlig überraschend sein plötzliches Karriereende. Die Auseinandersetzung zwischen dem norwegischen Spitzenrennfahrer und seinem Verband entzündete sich an Diskussionen über Persönlichkeits- und Vermarktungsrechte. Braathen hatte ohne Genehmigung des norwegischen Verbands für ein schwedisches Bekleidungsunternehmen geworben, das aber nicht zum offiziellen Ausrüster-Pool der Norweger gehört. Braathen wurde daraufhin eine Geldstrafe aufgebrummt.

Lucas Braathen fasst sich ans Auge
Die Causa Braathen geht weit über den Einzelfall hinaus – die Vermarktungsrechte im Skisport sorgen immer wieder für hitzige Debatten.
AP/Alessandro Trovati

Seit dem Rücktritt Braathens wird in der Skiszene heftig diskutiert, ob denn die Reaktion des jungen Ausnahmetalents übertrieben gewesen sei oder der norwegische Skiverband seine Sportlerinnen und Sportler als Produkt behandle und ihnen die wirtschaftliche Freiheit raube. Egal, auf welche Seite man sich stellt, in einem Punkt sind sich alle einig: So junge Athleten wie Lucas Braathen sollten nicht schon in der Blütezeit ihrer Karriere zurücktreten (müssen). Vielleicht ist daher ein Verbandswechsel die für alle Parteien beste Lösung.

Ähnlich sah das wohl auch der ehemalige deutsche Ausnahmekönner Felix Neureuther, der in einem Instagram-Post Braathen – wohl mit einem virtuellen Augenzwinkern – anbot, ihn zu heiraten, damit dieser künftig für Deutschland fahren könne. "Meine Frau fände das völlig okay", witzelte Neureuther auf Social Media. Ob eine Hochzeit tatsächlich notwendig ist, um einen Wechsel zu einem anderen Skiverband zu vollziehen, oder ob es doch andere Möglichkeiten und Wege für einen Nationenwechsel gibt, ist Gegenstand dieses Beitrags.

Verbandswechsel sind im Skisport an der Tagesordnung

Lucas Braathen gehört sicherlich zu den derzeit begnadetsten Slalomfahrern des Ski-Weltcups. Nicht umsonst gewann der Norweger im Vorjahr sogar den Slalom-Weltcup. Viele Skifans hoffen daher, dass Braathen nicht wirklich einen endgültigen Schlussstrich unter seine Karriere gezogen hat, sondern bald wieder auf die Skibühne zurückkehren wird. Vielleicht ist ja ein Verbandswechsel ein gangbarer Ausweg aus der gegenständlichen Misere. Kurz nach der Rücktrittserklärung waren jedenfalls schon die ersten Spekulationen zu vernehmen, ob denn Braathen, der Halbbrasilianer ist, in Zukunft vielleicht für Brasilien an den Start gehen werde. Der Norweger dementierte dies freilich bisher. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass Wechsel zu anderen Skiverbänden im Skizirkus an der Tagesordnung sind. Dabei können ganz unterschiedliche Gründe für einen solchen Wechsel zu einem anderen Skiverband sprechen.

Oftmals ist es – ähnlich wie im jüngsten Fall von Lucas Braathen – so, dass Verband und Sportler miteinander im Clinch liegen und nur noch eine Trennung im Sinn eines Verbandswechsels die Wogen glätten kann. Das prominenteste Beispiel für einen Österreicher, der aufgrund einer Fehde mit dem Verband unter einer fremden Flagge fuhr, war lange Zeit Marc Girardelli. Der Vorarlberger, einer der erfolgreichsten Skifahrer seiner Zeit, startete für Luxemburg, weil sich sein Vater mit dem Österreichischen Skiverband (ÖSV) überworfen hatte.

Nicht minder prominent war der Schlagabtausch zwischen dem ÖSV und Anna Veith (vormals: Fenninger). Die österreichische Ausnahmeathletin verhandelte 2015 mit Sponsoren, die für ÖSV-Partner Konkurrenzunternehmen waren, darunter der deutsche Automobilhersteller Mercedes-Benz. Dies missfiel den Verbandsverantwortlichen, und der Schlagabtausch zwischen Verband und der österreichischen Spitzensportlerin schaukelte sich zum handfesten Eklat hoch. Für einige Zeit stand dann sogar ein Verbandswechsel im Raum. Die Gazetten und Sportsendungen waren voll von den Querelen, bis man sich schlussendlich auf eine Einigung verständigte und ein Nationenwechsel damit vom Tisch war.

Viel Staub wirbelte auch der Nationenwechsel des italienischen Skitalents Lara Colturi auf. Sie wechselte noch vor Vollendung ihres 16. Lebensjahres vom italienischen zum albanischen Skiverband. Mit ihrem Wechsel wollte die Skirennläuferin sicherstellen, dass sie weiterhin mit ihren Eltern trainieren konnte. Wäre sie für Italien an den Start gegangen, wäre das wohl nicht so einfach möglich gewesen. Aufgrund des Wechsels nach Albanien kann Colturi zusammen mit ihren Eltern frei bestimmen, an welchen Bewerben sie teilnimmt und wie das Trainingsprogramm aussehen soll. Außerdem soll die junge Skirennfahrerin so autonom festlegen können, welche Werbeverträge sie abschließen möchte.

Wechsel aufgrund besserer Startbedingungen

Nicht immer ist ein Streit der Auslöser für einen Verbandswechsel. Manchmal sprechen ganz andere Beweggründe dafür, wie etwa Leistungsmotive. Josef "Pepi" Strobl beispielsweise entschloss sich in der Saison 2004/05 zum Wechsel nach Slowenien, nachdem er vom ÖSV nicht mehr regelmäßig für Speedbewerbe nominiert und auch für die Weltmeisterschaft 2003 in St. Moritz außen vor gelassen worden war.

Ganz ähnlich gelagert war der Wechsel von Romed Baumann zum Deutschen Skiverband (DSV). Auch für ihn gab es in der österreichischen Mannschaft keinen Fixplatz mehr. Der permanente Druck, sich für das ÖSV-Team qualifizieren zu müssen, veranlasste den mit einer Deutschen verheirateten Baumann schlussendlich im Jahr 2019 dazu, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen und ins deutsche Zebra-Outfit zu wechseln. Für ihn ging es nach seinem Wechsel sportlich wieder bergauf – er gewann sogar Silber im Super-G bei der Weltmeisterschaft 2021 in Cortina d’Ampezzo.

So mannigfaltig die Beweggründe für einen Nationenwechsel auch sein können, so streng sind die Voraussetzungen dafür. Denn die Sportlerinnen und Sportler brauchen zunächst eine Lizenz des Internationalen Skiverbands (FIS), um überhaupt an dessen Wettkämpfen teilnehmen zu dürfen.

Lizenz zur Teilnahme an FIS-Rennen

Nach Regel 203 der Internationalen Skiwettkampfordnung (IWO) darf ein Wettkämpfer während des Lizenzjahres der FIS – das Lizenzjahr der FIS beginnt am 1. Juli und endet am 30. Juni des folgenden Jahres – an einem internationalen Skiwettkampf der FIS nur mit einer von einem nationalen Skiverband ausgestellten Lizenz teilnehmen. Eine solche Lizenz wird vom jeweiligen nationalen Skiverband an Sportlerinnen und Sportler vergeben, die bestimme Voraussetzungen erfüllen müssen. Die Gültigkeit einer solchen Lizenz kann auf die Teilnahme in einem bestimmten Land oder auf eine oder mehrere bestimmte Disziplinen beschränkt werden.

Der nationale Skiverband muss garantieren, dass alle Rennläuferinnen und Rennläufer, die für eine FIS-Lizenz zur Teilnahme an FIS-Rennen registriert sind, die einschlägigen FIS-Regularien akzeptieren, insbesondere die Bestimmungen bezüglich der exklusiven Kompetenz des Court of Arbitration for Sport als zuständiges Berufungsgericht in Dopingfällen.

Ein nationaler Skiverband darf eine FIS-Lizenz zur Teilnahme an FIS-Rennen an eine Person nur dann ausstellen, wenn diese ihre Nationalität und somit Berechtigung durch Vorlage einer Kopie des Reisepasses nachgewiesen sowie die Athletenerklärung in der vom FIS-Vorstand genehmigten Form unterschrieben und bei dem nationalen Skiverband hinterlegt hat.

Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Sportlerin oder ein Sportler die einmal von einem nationalen Skiverband ausgestellte Lizenz auch wechseln respektive zu einem anderen Skiverband überlaufen. Die Bedingungen dafür sind aber streng.

Verbandswechsel zulässig, aber nur unter engen Voraussetzungen

Die einschlägigen Rechtsvorschriften für einen Skiverbandswechsel finden sich in Regel 203.5 IWO. Demnach unterliegen alle Anträge zur Lizenzänderung von einem Mitgliedsverband zu einem anderen der Begutachtung des FIS-Vorstands während der Frühjahrssitzungen. Entsprechende Anträge müssen jeweils bis 1. Mai an die FIS gesendet werden.

Prinzipiell wird eine Lizenzänderung nur dann genehmigt, wenn die Wettkämpferin oder der Wettkämpfer eine persönliche Verbindung mit der neuen Nation beweisen kann. Bevor ein Antrag zur Lizenzänderung eingereicht wird, muss die Wettkämpferin oder der Wettkämpfer die Staatsbürgerschaft und den Reisepass des Landes besitzen, für das sie oder er Skirennen bestreiten möchte. Ferner muss die Wettkämpferin oder der Wettkämpfer den tatsächlichen rechtlichen Hauptwohnsitz während mindestens zweier Jahre unmittelbar vor dem Datum der Antragstellung im Land des neuen nationalen Skiverbands gehabt haben.

Eine Ausnahme der zweijährigen Hauptwohnsitzregelung greift dann, wenn die Rennfahrerin oder der Rennfahrer auf dem Staatsgebiet des neuen Landes geboren wurde oder einer der Elternteile die Staatsbürgerschaft des neuen Landes innehat. Anträge werden nicht akzeptiert, wenn ein Elternteil einen Reisepass für das neue Land erhalten hat, aber nicht in diesem Land wohnhaft ist und/oder es dort keine Familienabstammung gibt. Weiters ist die Skiläuferin oder der Skiläufer verpflichtet, dem Antrag eine ausführliche Stellungnahme über die persönlichen Umstände und über den Grund des Wechselwunsches beizulegen.

Mögliche Blockade durch bisherigen Skiverband

Was gilt, wenn eine Skisportlerin oder ein Skisportler bereits für einen anderen Skiverband an einem im FIS-Kalender registrierten Bewerb teilgenommen hat? Dann muss eine schriftliche Zustimmung des früheren nationalen Skiverbandes eingeholt werden. Diese Zustimmungserklärung des bisherigen Verbandes tritt als zusätzliche Unterlage neben die Anforderungen der Staatsbürgerschaft, des Reisepasses und des Hauptwohnsitzes. Erst dann kann der neue nationale Skiverband den Antrag zum Lizenzwechsel bei der FIS einreichen. In der oben beschriebenen Causa ÖSV vs. Veith waren im Streit von der Verbandsseite Töne zu vernehmen, wonach man Veith Steine in den Weg legen und ihr einen Wechsel mit allen Mitteln verwehren würde.

Erteilt der bisherige Verband keine schriftliche Zustimmung, kann die Wettkämpferin oder der Wettkämpfer an keinen im FIS-Kalender registrierten Bewerben für den Zeitraum von zwölf Monaten vom Ende der letzten Saison an, in der für den derzeitigen nationalen Skiverband gestartet wurde, teilnehmen. Ebenso wenig darf ihr oder ihm eine Teilnahmelizenz an FIS-Rennen durch den neuen nationalen Skiverband ausgestellt werden. Diese Bestimmungen gelten auch dann, wenn die Athletin oder der Athlet über mehr als eine Staatsbürgerschaft verfügt und die nationale Skiverbandslizenz wechseln möchte.

Das letzte Wort hat die FIS

Denn der FIS-Vorstand behält sich das Recht vor, ungeachtet der Erfüllung der vorgenannten Bedingungen, einen Lizenzwechsel nach absolut freiem Ermessen zu bewilligen oder zu verweigern, wenn er der Auffassung ist, dass dies dem Sinn der FIS-Regularien widerspricht und dies im Interesse der FIS ist.

Dann bleibt für die Athletinnen und Athleten nur noch ein letzter Ausweg unter Rückgriff auf Regel 203.5.3 IWO: Im Falle, dass eine Wettkämpferin oder ein Wettkämpfer nicht alle notwendigen Kriterien für den Antrag auf Lizenzwechsel erbringen kann, können die Wechselwilligen nämlich zeigen, dass außerordentliche Umstände vorliegen und die Genehmigung eines Nationenwechsels im besten Interesse für die FIS ist. Ein wahrlich schwieriges Unterfangen, zumal die Beweislast bei der Sportlerin oder beim Sportler liegt.

Immerhin behält eine Skisportlerin oder ein Skisportler mittlerweile die bisherigen FIS-Punkte, wenn der nationale Skiverband unterjährig gewechselt wird; dies allerdings unter der Bedingung, dass der vorherige nationale Skiverband dem Wechsel zustimmt (Regel 203.5.4 IWO).

Wird es den Sportlerinnen und Sportlern zu schwer gemacht?

Es kann also sein, dass neben den beiden nationalen Skiverbänden auch die FIS dem Wechsel zu einem anderen Skiverband offiziell zustimmen muss – sicherlich nicht immer ein leichtes Unterfangen für Skirennläuferinnen und Skirennläufer. Deshalb drängt sich die Frage auf: Wird den Fahrerinnen und Fahrern ein Nationenwechsel zu schwierig gemacht? Denn wenn das Tischtuch zwischen Verband und Sportler erst einmal zerschnitten ist, könnte der Verband den Wechsel weitestgehend blockieren.

Wie im Fall Braathen sind häufig Diskussionen über Vermarktungsrechte der Auslöser für Zwistigkeiten zwischen Verband und Sportlerin beziehungsweise Sportler. Während viele Stimmen mehr Mitspracherecht und Entscheidungsfreiheit für die Sportlerinnen und Sportler fordern, werden in dieser Debatte aber häufig die wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen der nationalen Skiverbände übersehen. Denn auch die Verbände müssen darauf achten, keinen Rechtsbruch gegenüber den eigenen Sponsoren zu begehen. Zudem müssen Verbände auf das Teamgefüge achten und können daher einzelnen Sportlerinnen und Sportlern nicht jede Sonderbehandlung einräumen. Die Causa Braathen geht daher weit über den Einzelfall hinaus – die Vermarktungsrechte im Skisport sind immer wieder Stein des Anstoßes für hitzige Debatten.

Es bleibt jedenfalls zu hoffen, dass wir Lucas Braathen, dem besten Slalom-Läufer der vergangenen Skisaison, vielleicht doch bald wieder auf der Piste zusehen können – ob im Norwegen- oder beispielsweise im Brasilien-Trikot, wird die Zeit zeigen. (Johannes Mitterecker, 6.11.2023)