Vieles ist noch nicht bekannt, die Behörden ermitteln – wie es in solchen brisanten Fällen immer heißt – "auf Hochtouren". Zumindest soviel ist amtlich: Es wurden "Spurenträger" sichergestellt, die derzeit "bezüglich des Verdachts der Brandstiftung kriminaltechnisch untersucht werden", wie die Polizei Wien im Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf dem jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs mitteilte.

Laut "Krone" handelt es sich dabei um Fingerabdrücke auf einer Bierflasche, die möglicherweise von einem Täter hinterlassen worden seien. Die Polizei kommentierte den Bericht auf STANDARD-Nachfrage nicht. Die Ermittlungen des Landeskriminalamts Wien sowie des Landesamts Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung liefen "auf Hochdruck". Und: "Sollten sich relevante neue Ermittlungserkenntnisse ergeben, werden wir das dementsprechend kommunizieren", hieß es am Freitag aus der Pressestelle der Polizei.

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In der Nacht auf Allerheiligen ist auf dem jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs offenbar ein Brand gelegt worden. Seither laufen die polizeilichen Ermittlungen "auf Hochtouren", wie es am Donnerstag hieß.
APA/GEORG HOCHMUTH

Wie berichtet brannte der Vorraum der Zeremonienhalle des jüdischen Friedhofsteils aus. Auf der Außenmauer wurde von dem oder den Tätern auch nationalsozialistische Zeichen – ein Hakenkreuz und der Schriftzug "Hitler" – aufgesprüht. Es seien Anzeigen gegen unbekannt wegen Brandstiftung, Sachbeschädigung und wegen strafbarer Handlungen nach dem Verbotsgesetz ergangen, heißt es.

Wie dem oder den Unbekannten der Zutritt zu dem Gebäude gelang, darüber gaben die Ermittelnden noch keine Auskunft. Der Friedhofsteil sei jedenfalls im Zuge des Streifendienstes von der Polizei überwacht worden, auch das werde jetzt von den zuständigen Behörden ausgewertet.

Die Beschmierungen wurden am Donnerstag bereits übermalt. Das sei mit ein Zeichen dafür, dass man sich "nicht einschüchtern" lasse, sagte ein Sprecher der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) am Donnerstag im STANDARD-Gespräch. Nach Angaben der IKG verbrannten wertvolle Bücher und ein Thoraschrein ohne Thorarollen. Die IKG gab auf Nachfrage bekannt, dass Bestattungen weiter stattfinden könnten.

Video: Brandanschlag am Wiener Zentralfriedhof: Spurenträger sichergestellt.
APA/bes

Angst in Österreich

"Es ist wirklich schlimm, dass wir überhaupt diskutieren müssen, ob jüdische Einrichtungen in Österreich ausreichend geschützt werden", sagt der Grünen-Sicherheitssprecher Georg Bürstmayr. Dass Jüdinnen und Juden heute in Österreich wieder Angst hätten, dass das Tragen der Kippa mit Angst verbunden sei, "dass wir wieder so weit sind, ist wirklich schrecklich".

Im Vergleich mit anderen Städten in Europa, etwa Berlin oder London, wo Zehntausende mit judenfeindlichen Parolen auf die Straße gingen, sei die Lage in Wien zwar etwas ruhiger, "es ist alles aber trotzdem viel zu viel".

Die IKG registrierte denn auch um 400 Prozent mehr antisemitische Vorfälle seit 7. Oktober als im Vergleichszeitraum 2022. Dass der Schutz der Menschen vor Einrichtungen und Gebäuden Priorität habe, sei an sich nachzuvollziehen. Ein Objektschutz rund um die Uhr in Wien mit seinen zahlreichen jüdischen Einrichtungen sei überaus aufwendig und würde eine große Anzahl an Einsatzkräften binden. Zum Beispiel gibt es laut IKG allein 63 jüdische Friedhöfe in Österreich. Im Innenministerium wehrt man sich gegen Vorwürfe, jüdische Objekte würden unzureichend geschützt. Alle Schutzmaßnahmen würden ständig mit der jüdischen Gemeinde evaluiert und an die Bedrohungslagen angepasst.

Bundesländer alarmiert

Obwohl für die Einrichtungen keine unmittelbare Bedrohung besteht, werden jüdische Einrichtungen auch in den Bundesländern nun verstärkt bewacht. "Wir sind natürlich sehr sensibilisiert, schon seit Beginn des Gaza-Krieges", sagt etwa Kärntens Polizeisprecher Rainer Dionisio. Auch in der Steiermark seien Gebäude, und vor allem die Synagoge in Graz, unter besonderes Schutz gestellt worden, sagt der dortige Polizeisprecher Fritz Grundnig. Tirol hat ebenso reagiert. "Jüdische Einrichtungen werden nochmal besonders geschützt. Der Streifendienst wurde erhöht", heißt es in der Tiroler Polizeidirektion.

Der Brandanschlag auf dem Zentralfriedhof rief auch beunruhigte Reaktionen im Nachbarland Italien hervor: Nach dem Vorfall in Wien und der Schändung von Stolpersteinen zum Gedenken an Opfer des Naziregimes in Rom warnen auch italienische Politiker und Politikerinnen vor einem Wiederaufflammen des Antisemitismus in Europa: "Die alarmierenden antisemitischen Vorfälle der letzten Tage müssen mit Entschlossenheit verurteilt werden", forderte etwa Italiens Ex-Parlamentspräsidentin Laura Boldrini. (Walter Müller, Gudrun Springer, 2.11.2023)