Der frühere FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache will sich einst von einem Unternehmer 420.000 Euro geliehen haben.
APA/EVA MANHART

Wir lieben das Leben!", schrieb Heinz-Christian Strache, setzte ein Selfie dazu, das ihn lachend zeigte. Dann schickte er die Botschaft in der Nacht zum Donnerstag hinaus in die digitalen Weiten von X, vormals Twitter. Zu diesem Zeitpunkt ahnte der frühere Vizekanzler und FPÖ-Chef wegen einer Anfrage schon, was in den nächsten Tagen auf ihn zukommen würde: STANDARD und "Spiegel" enthüllten eine für ihn heikle Geschichte. Es geht um den diskreten Finanzplatz Liechtenstein, um Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wien und um sehr viel Geld.

Die Strafverfolger hatten bei der Aufarbeitung der FPÖ-Spesenaffäre erfahren, dass die Wiener Landespartei einst Lebens- und Rentenversicherungen abgeschlossen hatte – für Strache und Hilmar Kabas, seinen Vorgänger im Amt des Obmannes der Wiener Blauen und auf Bundesebene. Der brisante Verdacht: Sollte hier heimlich Parteivermögen von in Summe etwa 1,8 Millionen über das Fürstentum an die beiden FPÖ-Promis fließen? Kabas bestreitet, je irgendwelche Zahlungen aus der Versicherung erhalten zu haben, und das Geld aus Straches Versicherung wurde letztlich an die Wiener FPÖ ausbezahlt. Für alle in diesem Text genannten Personen gilt die Unschuldsvermutung.

Darlehen in Tranchen

Inzwischen nimmt die ohnehin delikate Geschichte noch kuriosere Züge an. Denn Strache soll die Liechtensteiner Versicherung als Sicherheit für ein privates Darlehen in der Höhe von 420.000 Euro hinterlegt haben. Das geht aus der Zeugeneinvernahme des angeblichen Darlehensgebers hervor, die STANDARD und "Spiegel" vorliegt.

Dabei handelt es sich um einen Unternehmer und früheren rechtspopulistischen Politiker, der am 2. März 2023 vom Bundeskriminalamt befragt wurde. Demnach habe ihn Strache, mit dem er "bis heute befreundet" sei, im Jahr 2014 gebeten, ihm Geld zu leihen. Das Darlehen habe der Gönner dem damaligen FPÖ-Chef in bar und in Tranchen überreicht: im Dezember 2014 angeblich 120.000 Euro, in den drei folgenden Jahren jeweils 100.000 Euro. Mit Strache sei vereinbart worden, "dass mit der Auszahlung der Lebensversicherung der Partei der gesamte Darlehensbetrag zurückbezahlt werden würde".

Sporttasche mit Bargeld

Belastbare Belege dafür, dass das alles wirklich so passiert ist, gibt es bislang nicht. Strache selbst war es, der den Strafverfolgern erstmals von dem Geldverleih erzählt hat, was wiederum mit den Spesen-Ermittlungen zu tun hat. Die Ermittler fragten mit Blick auf von ihm getätigte Ausgaben, woher er das Geld für so viele Bargeld-Ausgaben hatte. Doch die Staatsanwaltschaft dürfte nach STANDARD- und "Spiegel"-Informationen erhebliche Zweifel an dieser Version der Geschichte hegen und auch eine andere Variante für möglich halten: dass das Darlehen nur erfunden worden sei, um die wahre Herkunft des Bargeldes zu verschleiern. Doch warum sollte Strache das tun?

Eine mögliche Antwort deutet sich in den Schilderungen von Oliver Ribarich an. Der langjährige Fahrer und Ex-Sicherheitschef des Rechtspopulisten wird in der Spesenaffäre ebenfalls als Beschuldigter geführt, doch er gibt an, umfassend mit den Behörden zu kooperieren. Ribarich erzählte STANDARD und "Spiegel", wie er im Sommer 2013 bei einer Fahrt nach Kärnten Strache bei einem Termin absetzte und danach eine Entdeckung machte: Eine Sporttasche, die Strache zuvor in den Kofferraum gesteckt hatte, war prall gefüllt mit Geldbündeln. Ribarich machte damals Fotos von seinem Fund – sprach aber Strache nicht darauf an. Hinterher habe er von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erfahren, dass sie ähnliche Beobachtungen gemacht hätten, sagte Ribarich. Der Sicherheitsmann zeigte seine Fotos von dem Taschenfund später einem Wiener Rechtsanwalt. Der wiederum hängt mit der Videofalle auf Ibiza zusammen, in die Strache 2017 gelockt wurde – und die dessen doppelten Rücktritt als FPÖ-Chef und Vizekanzler zur Folge hatte.

Der politisch gescheiterte Rechtspopulist hingegen sieht sich als Opfer von Intrigen – bei Ibiza ebenso wie beim Thema Spesenaffäre. Seine Erzählung von dem 420.000-Euro-Privatkredit stützt allerdings bislang nur der Gläubiger, sein wohlhabender Freund.

Safe auf vier Rädern

Der Zeuge erzählte bei seiner Einvernahme, dass er mit Strache einen schriftlichen Darlehensvertrag geschlossen habe. Außerdem habe dieser ihm eine Kopie der Versicherung ausgehändigt. Im Zuge der Geldübergaben seien zudem Übernahmebestätigungen von Strache unterzeichnet worden. Vorlegen konnte der Strache-Gönner den Kriminalbeamten die Unterlagen nicht: Denn diese wurden angeblich entwendet. Der Zeuge verwies darauf, dass 2017 sein Auto gestohlen wurde. Darin hätten sich die Unterlagen zu dem Privatdarlehen befunden, die er "aus dem Tresor meines damaligen Hauses am Abend mitgenommen und im Pkw verwahrt" habe, schließlich habe er die Immobilie verkauft. Das Fahrzeug will der Strache-Freund sozusagen als Safe auf vier Rädern benutzt haben: Im Auto sollen sich noch andere Wertgegenstände befunden haben, so gab es der Zeuge zu Protokoll.

Als der Mann damals Anzeige wegen des Diebstahls erstattet hat, erwähnte er allerdings nicht, dass sich die Papiere zum Strache-Darlehen darin befunden haben. Sein Verhalten erklärt der frühere FPÖ-Mann damit, dass er mit Jörg Haider einst zum BZÖ gewechselt war: Die Unterlagen habe er damals nicht angegeben, "weil ich nicht wollte, dass so etwas an die Öffentlichkeit gelangt" und "jemand erfährt, dass ein BZÖler einen Freiheitlichen unterstützt".

Strache soll Klage andenken

Bislang habe Strache dem Gläubiger zufolge seine Schulden nicht zurückgezahlt. Bei einer weiteren Einvernahme am 24. April 2023 gab er an, mit dem früheren Polit-Star über das Darlehen gesprochen zu haben, nachdem dieser im Nachgang der Ibiza- und Spesenaffäre Ende 2019 aus der FPÖ ausgeschlossen worden sei. Dem Zeugen zufolge habe Strache ihm "vor einiger Zeit gesagt, dass er beabsichtigt, diese vereinbarte Vertragssumme von der Partei einzuklagen".

Denn das Geld aus der Liechtensteiner Versicherung hat mittlerweile nämlich die Wiener FPÖ erhalten. Laut einer Auszahlungsbestätigung, die dem STANDARD und "Spiegel" vorliegt, wurde der Landespartei am 9. November 2021 eine Summe von 830.475,12 Euro ausbezahlt. In einer E-Mail schreibt Ulrike Nittmann, Finanzreferentin der Wiener FPÖ, am 12. April 2023 an das Bundeskriminalamt, dass die Versicherungssumme "weder an Strache noch an eine von ihm namhaft gemachte Person weitergeleitet worden" sei.

Die Spur des Geldes

Das ist insofern bemerkenswert, als es eine "Vereinbarung" zwischen Strache und der Wiener FPÖ gibt, in der unter anderem festgehalten wird, dass der Versicherungswert "unwiderruflich" Strache zustehen würde. Die "Vereinbarung", die dem STANDARD und "Spiegel" vorliegt, stammt vom 16. April 2014 – und damit just aus jenem Jahr, in dem Strache seinen Freund um das Darlehen gebeten haben will.

Außerdem ist in dem Papier festgeschrieben, dass die Wiener FPÖ die darin getroffenen Vereinbarungen der Versicherung so mitteilen werde. Eine derartige Änderung der Bezugsberechtigung dürfte aber nie vorgenommen worden sein. In einer Polizze der Versicherung aus dem Jahr 2016, die dem STANDARD und "Spiegel" ebenfalls vorliegt, ist nämlich nach wie vor die blaue Wiener Landesgruppe als Bezugsberechtigte im Erlebensfall angeführt.

Auf welcher Grundlage also will Strache seine frühere Partei wirklich klagen? Wer von der aktuellen Führungsriege der Wiener FPÖ segnete die Liechtensteiner Versicherungen ab, die parteiintern als "Staatsgeheimnis" galten? Wofür pumpte der erfolgreiche Rechtspopulist Strache 2014 einen Freund um so viel Geld an? Und wo sind die großen Summen geblieben, wenn doch die FPÖ offenbar für so viele Ausgaben Straches aufkam?

Der Zeuge möchte zu seinen "privaten Angelegenheiten" auf Anfrage keine Auskunft geben. Und auch Strache schweigt bislang zu vorgehaltenen Fragen, die ihm der STANDARD und "Spiegel" zur Versicherung und nun auch zu dem Darlehen gestellt haben. Sein Posting bei X, wonach er das Leben liebe, hat der frühere FPÖ-Star inzwischen ganz oben auf seinem Account fixiert. (Oliver Das Gupta, Sandra Schieder, 7.11.2023)