Anfang Juli hat Euclid die Erde hinter sich gelassen, um zur Lösung der größten Rätsel der Kosmologie beizutragen: Woraus besteht der unsichtbare Teil des Universums, und weshalb dehnt sich der Kosmos immer schneller aus? Um mehr über die mysteriösen Entitäten namens Dunkle Materie und Dunkle Energie herauszufinden, die 95 Prozent des Universums ausmachen, soll das europäische Weltraumteleskop innerhalb weniger Jahre Milliarden von Galaxien kartieren. Nun gab Euclid einen ersten Vorgeschmack seiner Fähigkeiten. Am Dienstag veröffentlichte die Europäische Weltraumorganisation (Esa) die ersten Aufnahmen des Teleskops im Vollbetrieb, die sein Potenzial demonstrieren.

IC 342, Spiralgalaxie, Euclid, Esa
Die Spiralgalaxie IC 342 ist rund elf Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Sie ist schwer zu beobachten, da sie von uns aus gesehen hinter Staubschleiern nahe des galaktischen Äquators liegt. Euclid gelang diese detailreiche Aufnahme mit seinem Nahinfrarotinstrument.
ESA/Euclid/Euclid Consortium/NASA/Cuillandre/Anselmi

"Wir haben noch nie zuvor astronomische Bilder gesehen, die so viele Details enthalten", freute sich René Laureijs aus dem wissenschaftlichen Euclid-Team. "Sie sind sogar noch schöner und schärfer, als wir gehofft hatten, und zeigen viele bisher ungesehene Details im nahen Universum." Jetzt sei das Teleskop bereit, unzählige ferne Galaxien zu beobachten und ihre Entwicklung im Laufe der Zeit zu untersuchen, sagte Laureijs.

Galaxienrekord im Hintergrund

Für diese enorme Aufgabe ist Euclid mit zwei wissenschaftlichen Instrumenten ausgestattet. Die sogenannte Vis-Kamera (visible-wavelength camera) soll die genaue Position und Form von Galaxien im sichtbaren Licht beobachten. Die zweite Kamera mit dem Namen Nisp (Near Infrared Spectrometer and Photometer) misst die Helligkeit und liefert Farbanalysen von Galaxien im nahen Infrarotbereich, was Rückschlüsse auf die jeweiligen Entfernungen zulässt. Dieses Gerät verfügt über das größte Infrarot-Gesichtsfeld aller bisherigen Weltraummissionen.

Perseushaufen, Euclid, Esa
Besonders eindrucksvoll ist diese Aufnahme des Perseushaufens im Sternbild Perseus. Darauf sind nicht nur die rund tausend Galaxien dieser Ansammlung zu sehen, im Hintergrund konnte Euclid auch zigtausende weiter entfernte Galaxien abbilden, viele davon zum ersten Mal.
ESA/Euclid/Euclid Consortium/NASA/Cuillandre/Anselmi

Die Kombination der beiden Instrumente erlaubt es, in sehr kurzer Zeit bemerkenswert scharfe Aufnahmen eines großen Himmelsausschnitts zu erhalten. Das ist ein wesentlicher Unterschied etwa zum James-Webb-Weltraumteleskop, das sehr detailreiche Aufnahmen von kleinen Himmelsbereichen macht. Das verdeutlichen auch die ersten präsentierten Bilder: Sie zeigen Nebel, Galaxienhaufen und Galaxien in beeindruckender Qualität. Euclids Panoramaaufnahme des berühmten Pferdekopfnebels im Sternbild Orion (siehe oben) entstand etwa in nur einer Stunde Beobachtungszeit, enthält aber zahlreiche bisher unbekannte Details. Wissenschaftlich noch beeindruckender ist der Schnappschuss des Perseushaufens, eines großen Galaxienhaufens in etwa 240 Millionen Lichtjahren Entfernung zur Erde: Das Bild zeigt nicht nur rund tausend Galaxien dieses Haufens, im Hintergrund sind auch mehr als hunderttausend weit entfernte Galaxien abgebildet, viele davon zum ersten Mal.

Perseushaufen, Esa, Euclid
Ein Ausschnitt der Aufnahme des Perseushaufens zeigt Galaxien im fernen Hintergrund.
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Größte 3D-Karte des Kosmos

"Diese ersten Bilder sind beeindruckend und erinnern uns daran, warum es so wichtig ist, mehr über die Geheimnisse des Universums zu erfahren", sagte Esa-Generaldirektor Josef Aschbacher und gratulierte dem Euclid-Team. Für das Weltraumteleskop war es freilich nur eine Aufwärmübung. Aus Beobachtungen bis tief zurück in die kosmische Vergangenheit soll die bisher größte und genaueste 3D-Karte des Universums entstehen.

Das europäische Weltraumteleskop Euclid startete im Juli ins All, um Daten über das Dunkle Universum zu sammeln.
Illustration: Esa

Astronominnen und Astronomen erhoffen sich davon Informationen, wie genau die Dunkle Materie verteilt ist, wie sich große Strukturen gebildet haben und wie sich das Universum im Lauf der Zeit ausgedehnt hat. Das würde wiederum Rückschlüsse auf die Dunkle Energie erlauben. Beide Größen lassen sich bisher nur indirekt nachweisen.

"Die Dunkle Materie ist der Katalysator der Strukturbildung im Universum. Ohne sie gäbe es keine Galaxien", sagte der Physiker Josef Pradler von der Universität Wien kürzlich im STANDARD-Podcast Rästel der Wissenschaft. "Und auch die Dunkle Energie kann auf sehr großen Skalen einen Einfluss haben. Die astronomischen Beobachtungen lassen uns also die großen Zusammenhänge im Universum erkennen."

Pferdekopfnebel, Euclid
Der Pferdekopfnebel im Sternbild Orion ist ein beliebtes astronomisches Motiv. Die Euclid-Aufnahme des 1.375 Lichtjahre entfernten Nebels entstand in nur einer Beobachtungsstunde.
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Euclids Arbeitsplatz liegt gut 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, beim sogenannten Lagrangepunkt 2. An diesem Gleichgewichtspunkt des Sonne-Erde-Systems kann sich das Teleskop mit sehr wenig Energieaufwand stabil halten und das störende Licht von Sonne, Erde und Mond effektiv abschirmen. Im Frühjahr 2024 soll die offizielle wissenschaftliche Mission beginnen, die zunächst auf eine Dauer von sechs Jahren festgelegt wurde. In dieser Zeit soll Euclid ein Drittel des gesamten Himmels kartieren. Alle Daten des Weltraumteleskops werden für Forschende weltweit frei zugänglich sein.

Weichenstellungen für Europas Raumfahrt

Präsentiert wurden die ersten Euclid-Aufnahmen am Dienstag beim Esa-Weltraumgipfel in Sevilla, bei dem sich die Mitgliedsstaaten der Organisation auch auf Weichenstellungen für die Zukunft einigten. Seit 1987 gehört auch Österreich der Esa als Vollmitglied an und trägt das Esa-Budget mit, die österreichischen Beitäge dafür kommen aus dem Klimaministerium, das auch für die Weltraumagenden zuständig ist.

Künftig soll die europäische Raumfahrt, die seit langem im Bereich ihres Erdbeobachtungsprogramms Klimadaten sammelt, auch stärker auf anderen Ebenen zum Klimaschutz beitragen, wie in Sevilla festgehalten wurde. So sollen etwa Daten aus dem Weltraum dabei helfen, Luftfahrt, Landwirtschaft und Energiewesen nachhaltiger zu machen. Die Esa will auch verstärkte Anstrengungen unternehmen, um den ökologischen Fußabdruck der Raumfahrt selbst zu verringern.

Zwerggalaxie NGC 6822, Barnards Galaxie, Esa, Euclid
Die irreguläre Zwerggalaxie NGC 6822, auch Barnards Galaxie genannt, zählt zur Lokalen Gruppe, zu der auch die Milchstraße gehört. Euclid konnte die gesamte Galaxie und ihre Umgebung in hoher Auflösung in nur einer Stunde aufnehmen, ein Rekord.
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Privates Frachtschiff

Einen neuen Weg will die Esa im Bereich des Weltraumtransports beschreiten: Nach dem Vorbild der US-amerikanischen Raumfahrt soll künftig auch in Europa mehr privater Wettbewerb für Innovationen und Kostensenkungen sorgen. In einem ersten Schritt will die Esa als Kundin ein europäisches Frachtschiff entwickeln lassen, mit dem von einer privaten Firma bis 2028 Güter von und zur Internationalen Raumstation befördert werden können. Das Raumfahrzeug soll so konzipiert sein, dass es später auch für astronautische Flüge und Reisen zu anderen Zielen im All weiterentwickelt werden kann.

Kugelsternhaufen NGC 6397, Euclid, Esa
Auch den Kugelsternhaufen NGC 6397 nahm Euclid ins Visier. Er besteht aus hunderttausenden Sternen, die gravitativ aneinander gebunden sind. Die Beobachtung solcher Ansammlungen kann Aufschlüsse über die Verteilung der Dunklen Materie geben.
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Für die erste Phase seien rund 75 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln fixiert, der Wettbewerb soll aber mit Beiträgen aus der Privatwirtschaft durchgeführt werden, sagte Aschbacher, der von einem "Paradigmenwechsel" sprach. Auch die Entwicklung neuer Trägerraketen soll künftig nach einem Wettbewerbsmodell erfolgen. (David Rennert, 7.11.2023)