Eine Skyline aus Wohntürmen
Der Immobilienboom in China verbrauchte Unmengen an Energie und kohlenstoffintensiven Werkstoffen. Jetzt scheint die Blase zu platzen. Ist das gut fürs Klima?
Foto: Reuters / Edgar Su

Chinas Modell wirtschaftlichen Wachstums war bisher ein durchschlagender Erfolg. Mit seinem Fokus auf Exportförderung, Anlageinvestitionen und einer technologischen Aufholjagd hat es in den letzten 40 Jahren 800 Millionen Menschen aus der Armut befreit. In jüngerer Zeit hat es im eigenen Land Wunder bei der Einführung sauberer Energie gewirkt und zugleich die Kosten für erneuerbare Energien und Batterien weltweit gedrückt. Allein 2023 wird China mehr als 150 Gigawatt Solarkapazität installieren – fast die Hälfte des weltweiten Gesamtvolumens in diesem Jahr.

Weniger rosige Aussichten

Doch sind die Aussichten für China weniger rosig, als diese Zahlen vermuten lassen. Der Wachstumsmotor des Landes ist ins Stottern geraten, und die neueste Prognose des Internationalen Währungsfonds geht für dieses Jahr nur noch von einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von fünf Prozent aus. Schlimmer noch: Die Wachstumsrate dürfte weiter sinken und sich dem Niveau der Industrieländer annähern. Dies hat viele zu der Frage veranlasst, ob China – trotz viermal so großer Bevölkerung – beim BIP je mit den USA gleichziehen wird.

Chinas CO2-Emissionen steigen weiter an und machen fast ein Drittel des weltweiten Gesamtvolumens aus. Trotz des enormen Schubs hin zu erneuerbaren Energien ist der Stromverbrauch so schnell gestiegen, dass eine Strategie der Nutzung aller verfügbaren Energieträger – auch großer Mengen an Kohlekraft – erforderlich ist.

Unproduktive Investitionen

Chinas Wachstum und Emissionsprobleme haben einen gemeinsamen Ursprung: unproduktive Investitionen. Obwohl China noch immer ein Land mittleren Einkommens mit einer Vielzahl renditestarker Projekte ist, konzentrierten sich die Investitionen im letzten Jahrzehnt auf den Immobiliensektor. Die Investitionen in den Wohnungsbau überstiegen in den 2010er-Jahren mit bis zu 25 Prozent des BIP die Bedürfnisse der sich urbanisierenden Mittelschicht deutlich. Kommunale Fördermittel für Bauträger befeuerten im Verbund mit günstigen Krediten von staatseigenen Banken eine Immobilienblase, die Ressourcen band, welche in anderen Sektoren sinnvoller eingesetzt worden wären. Diese Blase scheint nun zu platzen. Das schwächt das Verbrauchervertrauen.

Das Mittel dagegen ist einfach: eine breitere Streuung der Vorteile des Wachstums. Nur 40 Prozent des BIP entfallen auf den Konsum; das ist einer der niedrigsten Werte weltweit. Chinas schwaches soziales Netz zwingt die Haushalte, große Teile ihres Einkommens zu sparen. Dieses Geld wird durch das staatlich gelenkte Finanzsystem direkt in inländische Investitionen umgeleitet. Die künstlich niedrigen Bankzinsen, der steigende öffentliche Konsum und andere politische Entscheidungen drücken derweil gezielt auf den privaten Konsum und treiben die Investitionen in die Höhe.

"Das Land verbraucht die Hälfte des weltweiten Stahls und der weltweiten Kohle sowie 60 Prozent des Zements."

Eine Beseitigung dieser makroökonomischen Verzerrungen würde nicht nur den Haushalten nützen, sondern auch dem Planeten. Chinas Investitionen waren mit enormen Klimakosten verbunden. Das Land verbraucht die Hälfte des weltweiten Stahls und der weltweiten Kohle sowie 60 Prozent des Zements. All diese Wohnungen, Straßen und Brücken erfordern Unmengen an Energie und kohlenstoffintensiven Werkstoffen.

Eine Verlangsamung der Investitionsrate in physisches Kapital würde einen Teil dieser enormen Klimaschäden eindämmen. Die chinesischen Verbraucherinnen und Verbraucher würden angesichts steigender Einkommen ihren Konsum anteilig auf Dienstleistungen verlagern. Weltweit neigen Haushalte dazu, mit steigendem Reichtum mehr für Gesundheitsversorgung, Bildung und Gastgewerbe auszugeben und weniger für kohlenstoffintensive Produkte. Dieses eherne Gesetz wird den Anstieg der chinesischen Emissionen zusätzlich bremsen und die Kurve durch konzertierte Dekarbonisierungsbemühungen nach unten drücken.

Stark bei E-Mobilität

China hat mit seiner Hinwendung zu Elektrofahrzeugen bereits einen großen Dekarbonisierungserfolg erzielt. Die Aufnahme derartiger Fahrzeuge wird von keiner anderen großen Volkswirtschaft übertroffen. Bis August entfielen fast 40 Prozent des Automarkts auf Elektro- und Hybridfahrzeuge. Kurz vor der Pandemie lag ihr Anteil noch bei praktisch null. Inzwischen prognostiziert Chinas staatliches Ölunternehmen, dass die Ölnachfrage in diesem Jahr ihren Höhepunkt erreichen wird. Weltweit wird dieser laut der Internationalen Energieagentur erst 2028 erreicht.

Der Schub hin zu Elektrofahrzeugen hat zugegebenermaßen auch eine Schattenseite: Er treibt den Strombedarf weiter nach oben. Doch können Elektrofahrzeuge eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung der zunehmend mit erneuerbaren Energieträgern betriebenen Stromnetze spielen. Da die meisten Autos etwa 23 Stunden pro Tag stillstehen, können Elektrofahrzeuge als Batteriereserven dienen – "intelligente Netze" vorausgesetzt.

Zu hoher Stromverbrauch

Trotzdem wird China die Zunahme seines Gesamtstromverbrauchs bremsen müssen, um allmählich aus der Kohle auszusteigen und seine CO2-Emissionen zu senken. Die reiche Welt hat bereits einen Zusammenbruch der kohlebefeuerten Energieproduktion erlebt, da die erneuerbaren Energieträger mit ihren bei null liegenden Grenzkosten im Verbund mit einem stagnierenden Stromverbrauch schmutzigere Optionen zunehmend aus dem Netz drängen. Auch im Westen bleibt viel zu tun. Doch ist angesichts des rapiden Kostenrückgangs bei erneuerbaren Energien und Batterien eine Voraussetzung für einen chinesischen Kohleausstieg bereits gegeben. Die andere ist, dass China sich darauf konzentriert, sich vom investitionsgestützten Wachstum zu verabschieden und die Entwicklung seines heimischen Dienstleistungssektors zu fördern.

Das Ergebnis wird eine vollständige Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Anstieg der Energienachfrage und damit von den CO2-Emissionen sein. Aus Klimasicht kann das nächste Kapitel in Chinas wirtschaftlicher Entwicklung nicht früh genug einsetzen. (Gernot Wagner, Conor Walsh, Übersetzung: Jan Doolan, Copyright: Project Syndicate, 14.11.2023)