An schönen Herbsttagen fühlt man sich im Sonnwendviertel beim Wiener Hauptbahnhof fast ein bisschen wie in einer Filmkulisse: Auf den Gehwegen flanieren Menschen mit Kinderwagen vor modernen Häusern mit großzügigen Balkonen, dazwischen sind Joggerinnen unterwegs, vom nahen Spielplatz hört man Kindergeschrei. Und macht da drüben eine Frau inmitten des Helmut-Zilk-Parks Yoga? Tatsächlich.

70.000 Quadratmeter oder sieben Hektar groß ist der Helmut-Zilk-Park, um den herum sich das Sonnwendviertel gruppiert.
70.000 Quadratmeter oder sieben Hektar groß ist der Helmut-Zilk-Park, um den herum sich das Sonnwendviertel gruppiert.
Zoidl

Nur einen Häuserblock weiter findet man das alte Favoriten: An der Gudrunstraße thronen große, alte Gemeindebauten mit schlichten, ockerfarbenen Fassaden. Die Österreich-Flaggen sind beim Standard-Besuch kurz vor dem Nationalfeiertag natürlich schon gehisst. Ein Senior, der hier unterwegs ist, erklärt, auf das Sonnwendviertel angesprochen: "Was soll ich da drüben?"

Immerhin, sagt er schnaubend, habe er weder einen Hund noch ein Kind und sei damit fehl am Platz. Mit einer Portion Wiener Grant hebt er eine Frage aufs Tapet, die in vielen neuen Stadtvierteln Thema ist: Was haben eigentlich die Alteingesessenen vom neuen Viertel? Und wie gut wächst das eine mit dem anderen zusammen?

Unnötige Hürden

Die Ausgangslage ist nicht ganz einfach: "Solche Viertel haben immer die gewisse Tendenz, eine Insel zu sein", sagt der Architektur- und Stadtforscher Robert Temel. Er sieht das Problem darin, dass die Planung häufig auf das Areal selbst fokussiert sei – und nicht auf die Vernetzung mit dem, was schon da ist.

Parks wie eben der 70.000 Quadratmeter große Helmut-Zilk-Park würden aber häufig als Vernetzungspunkte dienen. Im Viertel gibt es auch eine Tanzschule, in die auch Kinder aus den umliegenden Grätzeln kommen. Überdimensionierte Straßen, etwa die Sonnwendgasse, würden wiederum eine Hürde für die gute Nachbarschaft darstellen.

Eine Hürde allerdings, die ein Senioren-paar mit Walking-Stöcken gern überwindet. Seit 50 Jahren wohnen die beiden in Favoriten, zum Sporteln kommen sie gern hierher. "Wundervoll" sei das Viertel, sagen sie, weil es nicht so hoch und dicht ausgefallen sei wie andere Stadtviertel, "in denen kann man ja dem Nachbar in die Suppe spucken".

Sorgen und Ängste

Um das Zusammenwachsen zu fördern, ist seit 2012 die Gebietsbetreuung Stadtteilmanagement aktiv – nicht nur, um Neuankömmlinge willkommen zu heißen, sondern auch, um Alteingesessenen Sorgen und Ängste zu nehmen. Immerhin wurde mit dem Sonnwendviertel innerhalb weniger Jahre aus einem früheren Frachtenbahnhof ein Wohnviertel für 13.000 Menschen.

Auch der Bildungscampus und die Bloch-Bauer-Promenade seien wichtige Schnittstellen im neuen Viertel, heißt es dort auf Anfrage. Die Favoritenstraße im alten Favoriten werde auch von den Neuzugezogenen zum Einkaufen genutzt. Oder aber der Interspar in der Gudrunstraße. Eine 39-Jährige mit tätowierten Armen und Kapuzenpulli schiebt ihre Einkäufe in einem Wagerl nach Hause. Sie ist in Favoriten aufgewachsen und hat das Entstehen des neuen Viertels beobachtet: "Ich hab gesagt: Das ist so schön, das schaut gar nicht so aus wie der 10. Bezirk", sagt sie – auf die Nachbarschaft würde das aber nicht ausstrahlen.

Mehr als 2000 geförderte Wohnungen sind im Sonnwendviertel entstanden, viele neue Häuser sind also dem freien Markt entzogen – die Gefahr einer Gentrifizierung wie in anderen Städten sieht Stadtforscher Temel daher nicht. "Ein bissl teuer" sei das Wohnen insgesamt zwar trotzdem, sagt eine Frau, die gerade mit ihrem Hund Gassi geht und seit drei Jahren im Sonnwendviertel wohnt. Ihr gefällt es hier trotzdem. Dann zieht ihr Hund sie weiter. Ob seine Gassirunde durch das neue oder das alte Favoriten führt, scheint ihm ziemlich egal zu sein. (Franziska Zoidl, 14.11.2023)