Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl im Palais de Tokyo
Im Bauch des brutalistischen Kunstbaus wimmelt es von divers-fantastischen Figuren: Malerei, Skulptur, Film, Mode und Möbeldesign verschmelzen zu einer immersiven Ausstellung.
Aurélien Mole

Schon am oberen Absatz der breiten Treppe wird man von einer Neugier erfasst – was gibt es da unten zu entdecken? Eine meterlange, poppige Tapete mit Kerzenständern und Händen samt bunten Fingernägeln lockt auch unsicheres Publikum in den Bauch der Kunsteinrichtung.

Das gesamte Untergeschoß des Palais de Tokyo wird aktuell von Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl eingenommen. Wer die Arbeiten des in Wien lebenden Kunstduos kennt, hat hohe Erwartungen. Wer es erst kennenlernt, darf sich auf etwas gefasst machen.

Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl im Palais de Tokyo
Skulpturen von Jakob Lena Knebl mit flauschigen Aufsätzen, aus dicken Cordstoffen oder Keramik sowie belebte Gemälde von Ashley Hans Scheirl, die oft auch die beiden Kunstschaffenden selbst beinhalten.
Aurélien Mole

Diese fluffige, durchdesignte Welt wimmelt von fantastischen Wesen, die etwas exzentrisch, aber freundlich wirken. Der gesamte Boden ist mit türkis-blauem und grellgrünem Stoff ausgekleidet, auch die Wände sind passend ausgemalt. Wie in einer verführerischen Unterwelt wandelt das Pariser Publikum wie eine Gruppe von Höhlentauchern umher, entdeckt Skulpturen von Jakob Lena Knebl mit flauschigen Aufsätzen, aus dicken Cordstoffen oder Keramik sowie belebte Gemälde von Ashley Hans Scheirl, die oft auch die beiden Kunstschaffenden selbst beinhalten. Knebl mit dickem orangem Zopf, Scheirl mit modischem Seventies-Vokuhila.

Hybride Leckerbissen

Die beiden treten als künstlerisches Duo auf, aber arbeiten auch separat. Wie sie 2022 auf der Venedig-Biennale im österreichischen Pavillon bewiesen, funktioniert diese Aufteilung hervorragend. Dort nutzten sie den symmetrischen Hoffmann-Bau und bespielten ihn zwar gemeinsam, aber fein säuberlich voneinander getrennt.

Die große Ausstellung mit dem Titel Doppelganger! in dem berühmten Pariser Kunstbau – der für sein ultrazeitgenössisches und diverses Programm bekannt ist – stellt nun die logische Krönung nach dem Auftritt in Venedig dar, wo sie mit ihren hybriden und nonbinären Figuren ideal reinpassten.

Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl im Palais de Tokyo
Kugelrunde Stoffpuppen mit kupfernen Armen und Köpfen tummeln sich um eine salbeigrüne Badewanne, die von dezenten Stehlampen beleuchtet und einem Jugendstiltor aus Gusseisen flankiert wird.
Aurélien Mole

Typisch für Knebl und Scheirl, werden auch in Paris treu ihrem Motto "transmedium, transgenre, transmateriality, transcontext" Kunst, Design und Mode miteinander gemischt, wodurch Hierarchien zwischen einzelnen Gattungen kippen. High und Low gibt es also nicht: Skulpturen werden zu Vasen voll getrockneter Blumen, Retromöbel zu knalligen Kunstkulissen. Wie kleine Leckerbissen finden sich dazwischen immer wieder historische Referenzen.

Queere Körper

In einer Vitrine sitzt eine geschlechtslose Puppe mit nur einem Bein und einem Arm, die an die Werke des surrealistischen Künstlers Hans Bellmer erinnert, auf einem transparenten Nembo-Sessel, der Ende der 1960er wiederum von Designer Umberto Palazzo entworfen wurde. Hinterlegt wird diese Szenerie mit einer Wandtapete, auf der Knebl eng umschlungen mit ebenjener Puppe zu sehen ist.

Diverse Körper spielen auch in den gezeigten experimentellen Kurzfilmen von Scheirl, die zwischen 1970 und 1990 mit Ursula Pürrer entstanden sind und in denen Scheirl auch selbst auftritt, eine bedeutende Rolle. Die darin gezeigten Performances behandeln zum einen den weiblichen Körper, der in der westlichen Kunstgeschichte lange objektifiziert wurde. Man spielt mit dem Körper Pingpong, uriniert vor der Kamera und kümmert sich nackt um Zimmerpflanzen. Die politische Dimension von Sexualität soll so infrage gestellt werden.

Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl im Palais de Tokyo
Auch Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl setzen sich gerne in selbst designten Outfits in Szene.
Georg Petermichl

Die Werke des Duos verfügen auch stets über eine humorvolle Note, mal dezenter, mal offensichtlicher. Wenn man Knebl und Scheirl aber als Avatare auf einem Tablet tanzen sieht, ist das tatsächlich zum Brüllen komisch. In der Mitte des Raums gibt es einen QR-Code zu scannen – man selbst darf ihnen ausgefallene Moves vorgeben.

Badewanne und Chimäre

Belebt von Gegensätzen, pendeln die Gemälde, Objekte, Wandtapeten und Raumensembles zwischen figurativ und abstrakt, flauschig und glatt, fest und weich oder einfärbig und gemustert. Kugelrunde Stoffpuppen mit kupfernen Armen und Köpfen tummeln sich um eine salbeigrüne Badewanne, die von dezenten Stehlampen beleuchtet und einem Jugendstiltor aus Gusseisen flankiert wird.

Je weiter das Publikum in dieser abgedunkelten Höhle vordringt, desto mehr Wesen begegnen ihm. Fast scheint es so, als ob diese auch Metamorphosen durchmachen. Der französischen Filmfigur Barbapapa nachempfunden, winden sich bunte Skulpturen vor einer gefalteten Spiegelwand. Durch die mehrfache Reflexion wandeln die witzigen Wesen Farben und Formen – und man ist plötzlich selbst Teil der Bande.

Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl im Palais de Tokyo
In einer Sofaecke samt TV-Gerät kann man ein bisschen versumpern.
Aurélien Mole

Und auch, wo genau die Grenze zwischen Knebl und Scheirl verläuft, ist irgendwann nicht mehr eindeutig feststellbar. Nicht nur in Gemälden von Scheirl, sondern auch in einer fast grotesken Cyborgfigur verschmelzen die beiden. Halb Tier, halb Mensch – mit zwei Köpfen! –, wird ihr beliebtes Symbol der Chimäre und somit des Doppelgängers aufgenommen.

In einer Sofaecke samt TV-Gerät kann man nach diesem intensiven Tauchgang Platz nehmen und ein bisschen versumpern. (Katharina Rustler aus Paris, 15.11.2023)