Rituale geben uns in unsicheren Zeiten Halt. Es kann also tröstlich sein, dass mit Anbruch des letzten regulären Arbeitsjahres der türkis-grünen Bundesregierung vermehrt Fragen gestellt werden wie: Halten die beiden Parteien das bis zum Ende durch? Bringen sie überhaupt noch etwas voran? Wäre es nicht am besten, die Wahl vorzuverlegen? Eben so, wie bisher über jede Koalition spekuliert wurde, die einen gewissen Reifegrad erreicht hatte.

Eine Österreichische und eine EU-Flagge
Besser zusammen? Teile der ÖVP scheinen Gefallen an einem gemeinsamen Termin für die EU- und die Nationalratswahl zu finden.
APA/HELMUT FOHRINGER

Volkspartei und Grüne tragen dazu ihr Übriges bei, indem sie sich vermehrt gegenseitig auf die Nerven gehen, einander etwa mit gegen die jeweils andere Seite gerichteten U-Ausschuss-Ideen sekkieren. Gleichzeitig beteuern beide Parteien, bis zum regulären Ende der Legislaturperiode – das wäre der Herbst 2024 – weiterregieren zu wollen. Zumindest auf offiziellen Kanälen.

Die Theorie

Im Hintergrund wird freilich laut überlegt, welcher Wahltermin denn günstig für die Regierungsparteien sein könnte. Und: Irgendjemand mit einem guten Draht zum Boulevardblatt "Oe24" dürfte eine Variante besonders laut überlegen: einen "Superwahltag" am 9. Juni 2024. Die Zusammenlegung der Wahlen zum Europäischen Parlament und zum österreichischen Nationalrat werde demnach gerade geprüft, berichtet die Zeitung. Allerdings wirkt dieses Szenario immer unwahrscheinlicher, je ernsthafter man sich damit auseinandersetzt.

Die Idee solle demnach vor allem der ÖVP gefallen, und zwar aus Gründen der kollektiven Stimmung: Ein Verlust bei der EU-Wahl ist unvermeidlich, weil die Volkspartei im Jahr 2019 mit dem damals extrem beliebten Sebastian Kurz als Parteichef sensationell abgeschnitten hatte. Gleichzeitig ist mit einem starken Abschneiden der FPÖ zu rechnen. Ein solches Ergebnis würde unter den Funktionärinnen und Funktionären für schlechte Stimmung sorgen – für den Nationalratswahlkampf braucht die Partei aber Motivation.

Die Gegenargumente

Freilich kann man den Faktor Motivation auch in die andere Richtung interpretieren. Demnach könnte der Schock eines blauen Wahlsiegs bei der EU-Wahl der ÖVP bei einer später folgenden Nationalratswahl auch nutzen. Das Schreckensszenario eines Bundeskanzlers namens Herbert Kickl ließe sich für die türkis-schwarze Klientel besser zeichnen, wenn die Blauen kurz zuvor schon auf Platz eins gelegen wären. Hinzu kommt, dass die Vorverlegung des Wahltermins ein allzu leicht durchschauendes taktisches Manöver wäre, das die Wählerinnen und Wähler wohl nicht goutieren würden – selbst wenn es die Regierung als Sparmaßnahme verkaufen würde.

Werner Kogler und Karl Nehammer
Bleiben Werner Kogler und Karl Nehammer bis zum Herbst 2024 Vizekanzler und Bundeskanzler?
REUTERS/LEONHARD FOEGER

Über den Status eines Gedankenspiels Einzelner dürfte die Idee aber ohnehin nicht hinausgehen. Selbst gut informierte Türkise kennen das Modell "Superwahltag" nur als Gerücht – ohne allerdings ausschließen zu wollen, dass so etwas im kleinen Kreis geprüft werde. Und ohne zu verhehlen, dass die Variante ihren Reiz hätte. Aus Regierungskreisen erhält DER STANDARD eine Absage für die Idee: "Wenn nichts dazwischenkommt, arbeiten wir bis zum September 2024." Auch ein Sprecher des Innenministeriums dementiert, dass der 9. Juni als Wahltermin geprüft werde.

Die Praxisprobleme

Ganz unabhängig von den politischen Überlegungen hinter dem Wahltermin bringt ein gemeinsamer Termin für EU- und Nationalratswahl aber ganz praktische Probleme. Rechtlich spricht zwar nichts gegen die Zusammenlegung. Doch für die zwei Wahlen müssten die Kommissionen in den Wahllokalen mit unterschiedlichen Mengen an Wahlberechtigten arbeiten, es müssten unterschiedliche Fristenläufe abgewickelt werden und zweierlei Wahlkartensysteme gleichzeitig und ohne Vermischungen organisiert werden.

Robert Stein, der ehemalige Leiter der Wahlabteilung im Innenministerium, hält einen solchen "Superwahltag" deshalb für "rechtlich möglich, faktisch unmöglich". Österreich hat bei der Bundespräsidentenwahl 2016 schon schlechte Erfahrungen mit schlampig abgewickelten Urnengängen gesammelt, zwei Parallelwahlen könnten für Chaos sorgen.

Der echte Wahltermin

Bleibt die Frage, wann nun tatsächlich gewählt wird. Die EU-Wahl schränkt taktische Überlegungen abseits eines gemeinsamen Urnengangs nämlich empfindlich ein: Zu nah am Europatermin sollte die Nationalratswahl nicht stattfinden, um die Bevölkerung nicht mit Dauerwahlkampf zu nerven.

Die Wahl braucht aber auch einen gewissen Vorlauf: Der Stichtag für das Wählerverzeichnis muss 82 Tage vor dem Wahltermin liegen, dieser Zeitraum muss also jedenfalls zwischen dem Neuwahlbeschluss und dem Urnengang selbst liegen. Die Regierung setzt den Wahltermin gemeinsam mit dem Hauptausschuss des Nationalrats fest, faktisch müssen die beiden Gremien also mit einer "Wartezeit" von zwölf Wochen arbeiten.

Das ließe der Regierung aktuell nur noch ein paar Wochen, um eine Frühlingswahl auf die Beine zu stellen, sollte sie die Legislaturperiode doch nicht bis zum Schluss absolvieren wollen. Passiert das nicht, gilt der 29. September als wahrscheinlichster Wahltermin, weil genügend Abstand zum Ende der Sommerferien in allen Bundesländern gegeben wäre. Das wäre exakt fünf Jahre nach der Nationalratswahl 2019. (Sebastian Fellner, 17.11.2023)