Eigentlich sollte es um das Klima gehen, nur um das Klima. Dieser Meinung waren wohl viele Mitglieder von Fridays for Future, als sie Ende November die Postings des internationalen Instagram-Accounts der Organisation sahen. Darin thematisierte die Klimabewegung den Nahostkrieg und warf Israel einen Genozid an Palästinensern vor. Sie sprachen von einem "Apartheid-System" und bezichtigten westliche Medien der Lüge.

Zugleich posierte die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg mit propalästinensischen Bannern und zeigte sich auf Demos mit Palästinensertuch. Es folgte prompte Kritik in sozialen Medien – und eine klare Distanzierung vieler Länderorganisationen der Jugendbewegung, darunter auch Fridays for Future Österreich. Doch der Schaden war angerichtet.

Ein Demonstrant wird von der Bühne gezerrt, nachdem er Kritik daran übt, dass Thunberg die Bühne für ihre politischen Ansichten nützt.
Nachdem ein Demonstrant Thunbergs Gaza-Aussagen vor wenigen Tagen kritisierte, wurde er von der Bühne gezerrt.
REUTERS/PIROSCHKA VAN DE WOUW

Die Äußerungen über den internationalen Account haben Öl ins Feuer geschüttet, das schon eine Zeitlang lodert. Die Letzte Generation hat in den vergangenen Monaten mit ihren Klebeaktionen für viel Wirbel gesorgt – nicht nur bei verärgerten Verkehrsteilnehmern, sondern auch innerhalb der Klimabewegung selbst. Diese scheint in einer Selbstfindungskrise zu stecken. Ist das Momentum der großen Proteste vorüber?

Video: Mann entreißt Thunberg Mikrofon auf Klimademo.
AFP

Intern brodelt es

Nach außen gibt sich Fridays for Future gern geeint, intern brodelt es schon länger. Während es die eine Seite für notwendig hält, radikaler auf fehlende Klimapolitik zu reagieren, fürchtet die andere, dass der gesellschaftliche Rückhalt für notwendige Maßnahmen durch Proteste wie jene der Letzten Generation verloren geht. Hinzu kommt, dass die Bevölkerung kaum zwischen den unterschiedlichen Gruppen differenzieren kann.

Aber nicht nur die Art des Protests sorgt bei Fridays intern für Diskussionen. Die Bewegung hat sich von Grund auf verändert: Seit ihren Anfängen sind die Mitglieder ein Stück weit erwachsen geworden. Schülerinnen und Schüler kommen kaum mehr dazu, dazu fehlen die Netzwerke in den Schulen. Die nächste Generation scheint nicht mehr die gleiche Begeisterung für die Sache aufbringen zu können wie die Gründerinnen und Gründer von Fridays for Future. Von ihnen sind mittlerweile viele im Joballtag angekommen, der sich oft nur schwer mit dem Organisieren von Demos vereinbaren lässt.

Große Demos sind vorbei

Dabei hatte die Bewegung zu Beginn enormen Zulauf. Was ist passiert? Um diese Frage zu beantworten, bedarf es einer Zeitreise in das Jahr 2019. Auf dem Wiener Heldenplatz war Ende September beinahe jeder Winkel mit Demonstrantinnen und Demonstranten gefüllt. "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut", hallte es durch die Wiener Innenstadt. "Unser Haus brennt", war da im Plakatemeer zu lesen. Oder: "Bring den Klimaschutz zurück ins Parlament." Rund 80.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zählte Fridays for Future bei dem Klimastreik allein in Wien, 30.000 die Exekutive.

Junge Menschen demonstrieren am Ballhausplatz für mehr Klimaschutz.
2019 erreichten die Klimademos in Österreich ihren Höhepunkt. So groß sind sie schon lange nicht mehr.
Christian Fischer

Welche Zahl nun auch immer näher an der Realität lag, sie haben eines gemeinsam: Beide Seiten zählen deutlich mehr Menschen, die für Klimaschutz auf die Straße gehen, als heute. Zum Vergleich: Bei der letzten großen Klimademo gingen laut Fridays for Future rund 20.000 Personen auf die Straße. Diese Zahl ist laut den Organisatoren seit zwei Jahren mehr oder weniger konstant.

Was 2018, ausgehend von dem Protest der Aktivistin Thunberg, startete, schwappte über den gesamten Globus. Ein Jahr nachdem sich die junge Frau mit ihrem Schild "Schulstreik für das Klima" vor den Schwedischen Reichstag gesetzt hatte, hatte der Protest weltweit für Nachahmung gesorgt: In beinahe allen Ländern der Welt gingen junge Menschen freitags auf die Straße, um ihre Regierung zum Handeln in der Klimakrise aufzufordern.

Klima in aller Munde

Durchaus mit Erfolg: Zu wohl keiner Zeit war Klima ein größeres Thema. Fridays for Future führte Gespräche mit Politikerinnen und Politikern, fand prominente Unterstützung und brachte das Klima auf die Titelseiten zahlreicher Zeitungen. Die Bewegung erweckte den Anschein, als könne sie an dem jahrzehntelangen Stillstand in der Klimapolitik rütteln. Sie war vermutlich auch Mitgrund für die starken Zuwächse der Grünen bei der Nationalratswahl 2019 und der Europawahl.

Auch in Österreich formten sich in den Bundesländern, Städten und Regionen Ableger von Fridays for Future – allesamt dezentral und basisdemokratisch organisiert. Die Wut der Schülerinnen und Schüler richtete sich gegen die Klimapolitik der damals türkis-blauen Regierung. "Mit Vollgas in den Klimawandel: 140 km/h. Danke Norbert", war auf Bannern zu lesen – eine Anspielung auf die Anhebung des Tempolimits durch den damaligen Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ). Für viele junge Menschen waren die Demos der erste Anknüpfungspunkt an die Klimakrise – und an die österreichische Innenpolitik.

Corona änderte alles

Doch so schnell die Proteste Fahrt aufgenommen hatten, so schnell wurde der Bewegung ein Strich durch die Rechnung gemacht: Mit dem Ausbruch der Covid-Pandemie Anfang 2020 fanden die Demos ein jähes Ende. Statt freitags auf die Straße zu gehen, waren Jugendliche aufgrund von Lockdowns an ihre Laptops gebunden.

Auch dort wurde versucht, für die Sache Stimmung zu machen: Die Organisation traf sich online, in Zoom-Calls und Teams-Meetings. Eine Zeitlang gelang es, auch im Internet auf Missstände in der Klimapolitik aufmerksam zu machen. Unter dem Hashtag #NetzstreikFürsKlima etwa posteten Aktivistinnen und Aktivisten ihre Demo-Schilder und markierten den ehemaligen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP).

Eine junge Frau und ein junger Mann halten ein Schild im Rahmen eines Klimastreiks in die Kamera.
Streiks auf den Straßen waren während der Pandemie keine Option.
APA/HELMUT FOHRINGER

Was zu Zeiten der Lockdowns noch einfacher war, wurde mit der Zeit schwieriger: junge Menschen zu Hause für Klimaschutz zu begeistern, vor allem aber Protestformen zu finden, ohne dass sich tausende Menschen auf die Straße begeben. Das Experiment ging nicht auf, Corona versetzte Fridays for Future einen herben Schlag.

Zugleich machte sich weltweit eine andere Gruppe einen Namen: Extinction Rebellion. In Österreich und Deutschland gründete sich darüber hinaus die Letzte Generation. Beide sahen sich als Antwort auf die fehlende Veränderung in der Klimapolitik. Demos reichen nicht aus, lautet ihre Devise, die Gruppen setzen auf zivilen Ungehorsam, etwa das Bewerfen von Gemälden mit schwarzer Farbe.

Kleben statt demonstrieren

In Österreich wurde die vom Boulevard "Klimakleber" getaufte Bewegung vor allem durch das Festkleben und Blockieren von Straßen bekannt. Rund 400 bis 500 Mitglieder zählt die Letzte Generation nach eigenen Angaben. Und es wird fleißig rekrutiert – nicht zuletzt damit die Zahl der Teilnehmer an Protesten zu groß ist, um alle abzustrafen oder zu verhaften, wie es heißt.

Klimaaktivisten der letzten Generation kleben sich auf eine Straße.
Klimaaktivisten der Letzten Generation sorgen mit ihren Sitzstreiks auf Straßen seit Monaten für Unmut bei vielen Autofahrern.
APA/BARBARA BUCHEGGER

Die Empörung, die Schulstreiks hervorgerufen hatten, nahm durch die Letzte Generation ein neues Ausmaß an. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) etwa forderte härtere Strafen für "Klimakleber". Kanzler Karl Nehammer ortete in der Bewegung "Sabotage der Zivilgesellschaft". "Ziviler Widerstand ist kein Beliebtheitswettbewerb", schreibt die Bewegung auf ihrer Homepage. Und: "Protest, der niemanden stört, wird leider konsequent ignoriert."

Gespaltene Bewegung

Mit anderen Worten: Nur auf die Straße zu gehen, wie Fridays for Future es tut, reicht nicht aus. Das lässt man das Gegenüber auch spüren. Eine Aktion im September hat das Fass beinahe zum Überlaufen gebracht: Während eines großen Klimastreiks in Wien animierten Mitglieder der Letzten Generation zum Sitzstreik – gerade dort, wo der Demozug vorbeiziehen sollte. Man wolle Fridays for Future aufrütteln, heißt es auf Nachfrage bei der Letzten Generation. Nachsatz: Man habe alle vorbeigelassen, die wollten.

Bei Fridays for Future sorgte die Aktion für viel Ärger. Immerhin sind jene Großdemos nun das Sprachrohr der Bewegung. Anstatt wöchentlich zu protestieren, wird mehrmals im Jahr zum weltweiten Klimastreik aufgerufen. Die einst hohen Teilnehmerzahlen werden seit der Pandemie bei weitem nicht mehr erreicht – was auch intern für Ratlosigkeit sorgt. Ob und wie die Klimabewegung wieder Fahrt aufnehmen kann? Auf diese Frage wissen Mitglieder selbst keine Antwort. Derzeit sucht die Bewegung nach neuen Formen des Protests – und hofft, damit auch die Bevölkerung wieder vermehrt für die Sache gewinnen zu können.

Das könnte aufgrund der Gaza-Äußerungen von Greta Thunberg nun schwieriger werden. Auch wenn man sich in Österreich klar von der Schwedin distanziert, sind die Aussagen ein gefundenes Fressen für Kritiker. Es könnte gerade die Gründerin der Klimabewegung sein, die sie nun auch zu Fall bringt. (Nora Laufer, 17.11.2023)