814 Suspendierungen. Von 664 Schülerinnen und Schülern in Wien. Das ist die Bilanz, die die städtische Bildungsdirektion für das Schuljahr 2022/23 zieht. Für den Großteil der betroffenen Kinder war es mit einer Suspendierung getan, doch es gab auch Wiederholungsfälle: Drei Schülerinnen und Schüler wurden je fünfmal suspendiert, vier Kinder je viermal.

Was diese Schulkinder gemein haben: Sie waren in der Schule in eine "gefährliche Situation" involviert, wie es Wiens Bildungsdirektor Heinrich Himmer formuliert. Das sei nämlich die Voraussetzung für eine Suspendierung.

"Wir sehen problematische Haltungen, Herabwürdigungen und Gewalt", räumte Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) bei einem Hintergrundgespräch ein.
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Verglichen mit dem Schuljahr 2021/22 zeigen die Zahlen einen deutlichen Anstieg: Denn damals setzte es an Wiener Schulen 494 Suspendierungen, das Gros davon an Mittelschulen. Aber sogar an Volksschulen wurden 86 Kinder suspendiert – der STANDARD berichtete. Die Zunahme schlug zuletzt medial Wellen, vonseiten der Wiener ÖVP kam harsche Kritik an der rot-pinken Stadtregierung. Nun geht diese in die Offensive.

Der Vergleich der aktuellen Zahlen mit solchen vor dem Schuljahr 2022/23 sei "nicht sinnvoll", sagte Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) am Freitag bei einem Hintergrundgespräch. Denn: Da habe es Homeschooling gegeben. Was aber nicht heiße, dass es keine Schwierigkeiten in den Klassenzimmern der Hauptstadt gebe: "Wir sehen problematische Haltungen, Herabwürdigungen und Gewalt", räumte er ein. Damit die Wiener Schulen ein "angstfreier Raum" für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrende sind, haben Stadt und Bildungsdirektion nun ein Maßnahmenpaket geschnürt.

Jugendamt wird eingeschaltet

Wichtigster Punkt: Eltern suspendierter Schülerinnen und Schüler werden künftig von Schulsozialarbeiterinnen oder -psychologen zu einem verpflichtenden Gespräch bestellt. Um zu besprechen, wie das betroffene Kind wieder in die Klasse eingegliedert und eine neuerliche Suspendierung vermieden werden kann.

Schlagen Eltern dieses Gespräch aus, dann ende die "Kompetenz der Schule", sagte Bildungsdirektor Himmer – und die Kinder- und Jugendhilfe (MA 11), früher Jugendamt genannt, kommt ins Spiel. Bei dieser müssen die Schulen im Fall einer Gesprächsverweigerung nun eine Gefährdungsmeldung einbringen. Aufgabe der MA 11 sei es dann, mit den Eltern zu eruieren, welche Maßnahmen es brauche.

Von der neuen Verpflichtung zum Gespräch und der Möglichkeit von Konsequenzen in Form der Meldung an die MA 11 erhoffen sich Stadt und Bildungsdirektion viel. Schon bisher habe es viele Angebote für Eltern gegeben, aber "die letzte Antwort hat noch gefehlt", erläuterte Himmer. Die Schule könne nicht alle gesellschaftlichen Probleme – sei es Hass, Gewalt oder Antisemitismus – lösen: "Dafür braucht es die Familie."

Der pinke Parteichef Christoph Wiederkehr stellte zehn zusätzliche Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter für "Eingreifteams" in Aussicht.
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Dass diese nun stärker in die Pflicht genommen werden, solle auch Rollenkonflikte von Pädagoginnen und Pädagogen reduzieren, sagte Himmer. Schule leiste heute nicht nur Bildungs-, sondern immer mehr auch soziale Arbeit – was für Lehrende eine Herausforderung sei. Dem wolle man begegnen. Der Bildungsdirektor beteuerte, dass die Pädagogen, die ohnehin schon viele Aufgaben wahrnehmen müssten, durch das Paket nicht noch weiter in die Pflicht genommen werden. "Kein einziger Punkt belastet die Lehrer zusätzlich", versicherte er.

Unterricht für Eltern

Weitere Maßnahmen sollen dafür sorgen, dass es erst gar nicht zu Suspendierungen kommt. Sogenannte Eingreifteams, die bei Gewalt und anderen Problemen in die Schulen gerufen werden können, werden personell aufgestockt. Wiederkehr stellte zehn zusätzliche Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter für diese Teams in Aussicht.

Zusätzlich werden Anti-Gewalt-Trainings für Lehrende sowie Schulkinder und dezentrale Netzwerke zur Gewaltprävention in den Bezirken ausgebaut. Und es soll mehr Möglichkeiten für Problemschülerinnen und -schüler geben, Auszeiten in der Schule zu nehmen: etwa in Förderklassen oder Spezialklassen, die auch die Eltern einen Tag pro Woche besuchen. Etwa um zu lernen, wie Kindern Grenzen gesetzt werden können.

Umsetzen will Wiederkehr das Paket "unmittelbar". Konkret heißt das: Die verpflichtenden Elterngespräche für suspendierte Kinder gibt es ab sofort, für andere Maßnahmen – etwa wo es Personal brauche – seien die nächsten Schuljahre der Zeithorizont.

Absage an Securitypersonal für Schulen

Womöglich müsse weiter nachgebessert werden, räumten Wiederkehr und Himmer ein. Etwa mit einem verpflichtenden Schulfach "Leben in der Demokratie", das zuletzt die Neos auf Bundesebene ins Spiel brachten. Aber keinesfalls mit Securitiypersonal, wie es kürzlich seitens der schwarzen Lehrergewerkschaft verlangt wurde. Eine Schule sei nämlich "kein Nachtklub", hielt Himmer fest. Und Wiederkehr betonte, dass man mit dem nun verabschiedeten Paket lieber einen Beitrag leiste, der "pädagogisch sinnvoll" sei und ein gutes Schulklima fördere.

Die Wiener ÖVP feierte die angekündigten Schritte am Freitag als ihren Erfolg – verlangte aber mehr. Pateichef Karl Mahrer und Bildungssprecher Harald Zierfuß warnten davor, sich mit Einzelprojekten an wenigen Schulen zu begnügen: "Extremismus- und Gewaltprävention an Schulen muss permanent, verpflichtend und flächendeckend stattfinden." (Stefanie Rachbauer, 17.11.2023)