In den letzten Jahren hat sich der Begriff der "digitalen Nomaden" recht etabliert. Mir kommt vor, ein Teil unserer Gesellschaft verändert sich auch immer mehr in Richtung emotionale und sexuelle Nomaden. Viele Menschen sehnen sich danach, emotional berührt zu werden, gleichzeitig macht genau das auch Angst.

Sogenannte digitale Nomaden arbeiten und leben da, wo es ihnen in der Welt gefällt, wo sie inspiriert werden, sie sich wohlfühlen. Manche allein, andere gemeinsam als Paar. Sie ziehen weiter, je nach Möglichkeiten, Lust und Laune. Viele Menschen, die nicht in stabilen Zweierbeziehungen sind, verhalten sich in ihren Begegnungen und beim Daten ähnlich. Manche Paare miteinander übrigens auch, heute jedoch geht's hier um Singles. Ist das Phänomen ein Trend – oder gab es das schon immer und ist jetzt einfach "normaler"?

Hände halten
Die Suche nach körperlicher und emotionaler Nähe verläuft nie nur über einen Weg. Oft ändern sich Bedürfnisse im Alter und in neuen Lebenssituationen.
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Alles ist möglich

Die Singles, mit denen ich arbeite, sind natürlich alle sehr individuell. Dennoch, ja, auch wenn es womöglich als "uncool" gilt, es gibt sie, die vielen, die sich wirklich eine stabile Zweierbeziehung mit einem anderen Menschen wünschen. Ob es um die Gründung einer Familie geht, die Zusammenführung zweier Familien oder aber auch in späteren Jahren darum, wenn die Berufe oder auch Kinder im Alltag nur noch eine geringe Rolle spielen, sich mit jemandem noch einmal "ein schönes Leben zu gönnen". In scheinbar jedem Alter gilt sehr oft die Devise: "Eine freundschaftliche Basis ist wichtig, der Sex muss zumindest einigermaßen gut passen, sonst wird's nichts mit uns."

Die anderen wissen nicht genau, was sie wollen, sind oft auf der Suche nach dem, was wirklich zu einem selbst passt. Jedoch: Nichts und niemand ist scheinbar so "perfekt", dass es sich wirklich lohnt, sich auf den oder die Eine einzulassen, vielleicht klappt das beim nächsten Date? Sich einzulassen bedeutet doch, dass man sich gegen alle anderen entscheiden müsste! Oh, was man da alles verpassen könnte!? Aktuell probieren sich viele Menschen aus, in oft serieller Monogamie oder Polyamorie, in kommunenähnlichen Wohnformen, einfach gänzlich ohne Definition, mit dem anderen oder auch dem eigenen Geschlecht, beiden, allen zusammen. Oder auch ganz anders.
Wie schön, dass zumindest in unseren Breiten in einem guten Teil der Gesellschaft das alles heute so gelebt werden kann und eindeutig nicht so allumfassend gelebt werden muss.

Immer dasselbe?

Ich begleite immer wieder Singles, die schon viel erlebt haben, die "nichts anbrennen" lassen haben und dennoch eine gewisse Leere verspüren. Wer sich ständig mit anderen Menschen befasst, kann sich manchmal gut von sich selbst und der eigenen Entwicklung, den eigenen Bedürfnissen ablenken. Manchmal kommt es auch vor, dass Mensch sich nur noch in intensiven Erlebnissen wie Dramen gut spürt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Oft fragt Mensch sich: "Wie geht's weiter? Immer so weiter? Will ich das?"

Wie gelingt es, sich selbst trotz der laufenden intensiven Erlebnisse auch ohne diese Kicks intensiv zu spüren? Wie viel Raum und Zeit braucht der Mensch zwischen all den Ereignissen und Aufregungen, um gut mit sich verbunden zu sein? Es kann ja wirklich eine Sucht werden, das Wischen, Träumen, Daten, das Wünschen von "Vielleicht ist es ja diesmal der ganz Besondere?", das Erobern, der erste aufregende Sex mit jemand neuem.

Die Leere füllen, sich mit sich selbst wieder gut verbinden – diese Sehnsucht erlebe ich bei teilweise sehr jungen Menschen, andere sind schon ein paar Jahrzehnte länger in ihrem Leben unterwegs. Und ja, klar, all diese Erfahrungen lassen uns auch erkennen, wer wir selbst sind und was geht oder auch nicht geht.

Klar, andere Singles sind wiederum sehr vorsichtig und zurückhaltend, prüfen lange, manchmal viele Jahre lang, auf wen sie sich einlassen könnten. Manche verpassen dabei viele schöne Begegnungen, aus lauter Angst, wieder verletzt zu werden. Die einen nehmen sich viel Zeit für sich selbst und gehen dann wieder raus, wenn es für sie stimmt. Manche bleiben ewig allein, obwohl sie sich nach Verbindung sehnen. In jedem Fall ist es hilfreich, sich ein paar Fragen zu stellen:

Ich bin der festen Überzeugung, dass für viele Menschen der eine Weg nicht ein Leben lang passt, beziehungsweise passen muss.

As time goes by

Alles hat seine Zeit. Vieles ist möglich. Aber für immer dasselbe? Unsere Bedürfnisse, Sehnsüchte und, ja, auch die Sexualität verändert sich ein Leben lang.

Manchmal tut es unglaublich gut, Gewohnheiten loszulassen, und, ja, manchmal wird es dann überraschend einfach, leicht und wohltuend. Vor allem wenn wir uns selbst schon ein bisschen über die Jahre kennen und mögen gelernt haben.

Eine essenzielle Frage im Leben vieler Menschen ist die Frage nach eigenen Kindern. Auch wenn manche Männer heutzutage Ende 50 oder Anfang 60 "noch nicht wissen, ob sie schon reif sind, Väter zu werden", ein Alter, in dem andere schon längst Großväter sind, ist diese Phase naturgemäß bei Frauen deutlich früher, meist in ihren 30ern, spätestens Anfang 40. Die Idee, Kinder zu bekommen, verändert vieles. Hier wünschen sich viele Menschen eine stabile Basis als Paar. Die einen bekennen sich dann zu einer klaren Zweierbeziehung oder sind schon längst verheiratet, andere sagen "deshalb ziehen wir noch lange nicht zusammen", "sind wir noch lange kein Paar", betonen aber "dennoch sind wir zuverlässige, verantwortungsvolle Eltern".

Ob die Frage nach Kindern gerade aktuell ist oder nicht – gestehen wir es uns zu, dass unser Leben verschiedene Phasen durchläuft? Wir manchmal vielleicht gerne auf der Suche sind, uns selbst und andere gut und nahe kennenzulernen und dann vielleicht doch einfach einmal mit einem Menschen genießen, vertiefen, intensivieren und lieben wollen? Was braucht es, damit Sie sich jetzt auf den Weg machen, Ihr Leben so zu gestalten, dass es jetzt wirklich wieder Ihres wird? (Nicole Siller, 24.11.2033)