Die Zeit drängt: Am Mittwoch sollen alle Details zum Finanzausgleich dem Ministerrat vorliegen – und in weiterer Folge im Nationalrat eingebracht werden. Aus dem Gesundheitsministerium waren am Wochenende vorsichtig optimistische Töne zu vernehmen, dass de facto nur noch Details offen seien. Auch Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) zeigte sich am Montag zuversichtlich, dass bis Mittwoch eine Einigung zum Finanzausgleich erzielt werde. Konkret sollen die Länder 2,4 Milliarden Euro an frischem Geld erhalten und dafür gewisse Zielvereinbarungen für Reformen erfüllen. Das frische Geld ist für Gesundheit, Pflege, Kinderbetreuung und Klimaschutz-Maßnahmen vorgesehen.

Im Gesundheitsbereich ist die sogenannte Wirkstoffverordnung eines der Vorhaben, um das derzeit offenbar noch besonders gerungen wird, wie DER STANDARD am Montag aus Verhandlerkreisen erfuhr. Es sei einer "der sehr umstrittenen Punkte". Die Gesundheitsreform sieht einen Ausbau des niedergelassenen Bereichs vor und verfolgt den Grundsatz "digital vor ambulant vor stationär", also eine stärkere Patientensteuerung vor dem Arztkontakt.

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Nur Wirkstoffe, keine Arzneimittelnamen würden künftig auf den Rezepten stehen, wenn es nach dem Gesundheitsministerium geht.
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Künftiges Mitspracherecht

Neben der Wirkstoffverordnung als Ganzes sind bei den Verhandlungen zur Gesundheitsreform auf den letzten Metern auch noch andere Themen offen, angeblich geht es da aber nur noch um die genaue Ausgestaltung: zum Beispiel in Bezug auf die Mitsprachemöglichkeiten der Ärztekammer, die beim Stellenplan im niedergelassenen Bereich derzeit noch über ein Vetorecht verfügt, das beschnitten werden soll, wenn es nach dem Bund geht.

Auch Details zur Einrichtung des Bewertungsboards für besonders hochpreisige und spezialisierte Medikamente sollen derzeit noch in Abstimmung sein. Dem Gesetzesentwurf nach ist vorgesehen, einen bundesweit einheitlichen Bewertungsprozess für neue Arzneispezialitäten zu etablieren und dafür ein Board einzurichten, in dem unter anderem Länder, Sozialversicherungsträger und Fachärztinnen und Fachärzte vertreten sein sollen.

Rezept nur für Wirkstoff

Was aber wie gesagt noch zur Gänze fallen könnte, ist die Wirkstoffverschreibung. Die Kammer warnt hier hingegen vor "Gefährdung von Patienten". Ältere Leute seien gewohnt, zu einer bestimmten Uhrzeit die gelbe, zu einer anderen die grüne Pille zu nehmen. Sehen die Tabletten ständig anders aus, würden sich Senioren nicht mehr auskennen. Kritische Ärzte halten dies für Panikmache, denn schließlich ist dieses System in der EU längst Standard.

Beim Finanzausgleich Konkret sollen 2,4 Milliarden jährlich an frischem Geld zur Verfügung gestellt werden. Dafür sollen die Länder jedoch gewisse Zielvereinbarungen für Reformen erfüllen. Fließen sollen die Gelder nicht nur in Gesundheit und Pflege sondern auch in den Ausbau der Kinderbetreuung und Klimaschutz-Maßnahme

Was aber, wie zuvor erwähnt, noch zur Gänze fallen könnte, ist die Wirkstoffverschreibung. Geplant wäre, das Rezeptpflichtgesetz so zu ändern, dass nicht mehr der Name des verordneten Arzneimittels auf einem Rezept genannt sein muss, sondern nur noch der Name des verordneten Wirkstoffs oder der verordneten Wirkstoffe. Wobei in dem Gesetzesentwurf steht, dass Ärztin oder Arzt auch "maschinenlesbar" vermerken könnten, wenn jemand aus einem medizinischen Grund doch ein ganz bestimmtes Medikament erhalten soll.

Soll Lieferengpässe umgehen

Wird nur der Wirkstoff vermerkt, können Apotheken aus den Präparaten wählen, die ihn enthalten. Auf diese Art könnte man Lieferengpässe umgehen, ist die Hoffnung des grünen Gesundheitsministers Johannes Rauch. Weil die Pharmazeuten dabei nach wirtschaftlichen Kriterien vorzugehen haben, sollte das günstigste Produkt zum Zug kommen.

Patienten liefen Gefahr, nicht das für sie beste Medikament zu erhalten, kritisiert die Kammer, denn darüber wisse der Arzt am besten Bescheid – also nicht die Apothekerin oder der Apotheker, ist hier wohl mitgemeint. Da nur idente Wirkstoffe ausgegeben würden, gebe es kein Risiko, hält man in Minister Rauchs Büro dem entgegen: Österreich sei das einzige EU-Land, wo es die Wirkstoffverschreibung noch nicht gebe.

Dass die Wirkstoffverordnung in vielen Ländern bereits Usus ist, lässt die Ärztekammer nicht als Gegenargument gelten und verweist auf Aussagen von Ernst Agneter, Pharmakologieprofessor an der Sigmund-Freud-Privatuniversität, der kürzlich bei einer Pressekonferenz der Kammer auftrat. Es gebe in Österreich ein sehr enges Preisband, daher sei das Einsparungspotenzial vernachlässigbar, sagte Agneter da. Außerdem gelte in Österreich der Erstattungskodex, der die Preise zugunsten der Sozialversicherungen regle – das sei ein österreichisches Alleinstellungsmerkmal, und daher seien die internationalen Vergleiche hinfällig.

Sorge um ältere Patienten

Die Kammer warnt auch davor, dass eine Umstellung die Patientinnen und Patienten gefährden könnte. So seien ältere Leute es zum Beispiel gewohnt, zu einer bestimmten Uhrzeit die gelbe, zu einer anderen die grüne Pille zu nehmen. Ändere sich ständig etwas, würde sich niemand mehr auskennen. Auch Patientenorganisationen drückten ihre Sorge aus.

Drei niedergelassene Fachärztinnen und Fachärzte äußerten im STANDARD-Gespräch zwar zum Teil Bedenken, dass die Wirkstoffverschreibung einen Mehraufwand für sie bedeuten würde, allein weil Patientinnen und Patienten über die Änderungen gründlich aufzuklären wären. Prinzipiell wäre die Änderung aber umsetzbar, lautete der Tenor; ihnen sei daher unklar, warum die Kammer sich so vehement gegen die international übliche Handhabe stemme. (Gudrun Springer, 20.11.2023)