Wien – Mit Formaten wie Teenager werden Mütter oder Saturday Night Fever hat Martin Gastinger das Programm des Privatsenders ATV geprägt, zuletzt arbeitetet er für Servus TV, wo er beim Publikum mit Quizformaten punkten konnte. Seit August 2023 ist Gastinger TV-Unterhaltungschef des ORF. Im Interview mit dem STANDARD erklärt er anhand der "Fußballopas" Herbert Prohaska und Hans Krankl, warum "alte, graue Männer" im Fernsehen immer noch funktionieren, dass er nichts gegen Schlager hat und was er vom Vorschlag der FPÖ hält, ORF 1 ersatzlos zu streichen. Spoiler: gar nichts.

ORF- Unterhaltungschef Martin Gastinger
ORF-Unterhaltungschef Martin Gastinger.
Regine Hendrich

STANDARD: Sie haben kürzlich in einem Kurier-Interview gesagt, dass es weniger Ausgaben der Millionenshow geben könnte. Warum?

Gastinger: Die Millionenshow ist ein Erfolgsformat, an dem wir nicht rütteln. Ich habe gesagt, es wäre gut, wenn wir an dem Sendeplatz einmal etwas anderes ausprobieren. Und wir sprechen hier von vier Sendungen im nächsten Jahr. Nach 25 Jahren Millionenshow, das Jubiläum ist nächstes Jahr, wäre es gut, einmal etwas Neues zu testen.

STANDARD: Der Vertrag wurde gerade erst verlängert, oder?

Gastinger: Ja, wir haben ihn verlängert. Wir sind von RTL abhängig und produzieren die Millionenshow im Gleichklang mit RTL. Weil das eine große Show ist und wir kosteneffizient arbeiten müssen. Wenn RTL entscheidet, es nicht mehr zu machen, wäre es für uns schwierig, es weiter zu finanzieren. Aber sowohl RTL als auch wir haben um zwei Jahre verlängert.

STANDARD: Welches Format ist als Ergänzung zur Millionenshow geplant?

Gastinger: Das will ich nicht verraten, es wird aber im gleichen Genre sein. Das ist bewährt. Aber bei Quizformaten gibt es hunderte Varianten und Möglichkeiten.

STANDARD: Und der ORF hat ja bereits einige im Programm.

Gastinger: Nicht nur im Programm, wir haben einige davon selbst entwickelt.

STANDARD: Besteht nicht die Gefahr eines Overkills, weil es so viele Quizformate gibt?

Gastinger: Solange die Zuseherzahlen sogar besser werden, können wir nicht von einem Overkill sprechen. Die Millionenshow läuft seit 25 Jahren und hat immer zwischen 500.000 und 600.000 Zuseher, bei Spezialausgaben wie der Promi-Millionenshow sind es bis zu 700.000. Im Vorabend sind die Zahlen auch besser geworden.

STANDARD: Aber sie gehen nicht unbedingt durch die Decke.

Gastinger: Was ist durch die Decke?

STANDARD: 200.000 oder 300.000 Zuseher zum Beispiel.

Gastinger: Das ist im Vorabend schwer möglich. Als ich zu Servus TV gekommen bin, hatte der Vorabend dort ein Prozent Marktanteil. Nachdem wir zwei Quizformate dort etabliert hatten, waren es zehn Prozent.

STANDARD: Das ist auch das Ziel für den ORF?

Gastinger: Durch die Quizformate und die Sokos, die jetzt dort laufen, ist es bereits wesentlich besser geworden. Der gesamte Vorabend hatte einen kleinen Relaunch, da sieht man schon die Auswirkungen. Die US-Serienware ist weg, die anderen Formate ziehen an.

STANDARD: Wie zufrieden sind Sie mit dem Start des neuen Musikformats Hier spielt die Musik? Die ersten drei Folgen hatten im Schnitt 288.000 Zuseherinnen und Zuseher.

Gastinger: Als Fernsehmacher ist man nie zufrieden. Zufrieden war ich mit Neun Plätze, neun Schätze mit fast einer Million Zuseher. Sensationell. Grundsätzlich wollen wir alles immer besser machen, aber mit der Musikshow an sich bin ich sehr zufrieden, weil sie eine neue Farbe in ORF 1 gebracht hat und weil wir viel positives Feedback bekommen. Die Sendung ist eine Riesenparty, bei der die Leute mitmachen können. Die Marktanteile sind bei den Jungen sehr gut, da hatten wir in der Zielgruppe der Zwölf- bis 29-Jährigen letzten Freitag 28 Prozent. Was wir sehen: Bei den Musikshows verteilen sich die Marktanteile gut über die Generationen. Es kommt bei Jung und Alt gut an. Musik verbindet.

STANDARD: In der Gesamtzielgruppe ab zwölf Jahren lag der Marktanteil bei elf Prozent.

Gastinger: Ja, aber in den jüngeren Zielgruppen waren sie höher. Im Schnitt über die ersten drei Folgen 16 Prozent bei zwölf bis 49 und 18 Prozent in der Zielgruppe bei zwölf bis 29.

STANDARD: Warum verzichtet der ORF 2024 auf einen Publikumsmagneten wie Dancing Stars?

Gastinger: Wir verzichten nicht auf Dancing Stars, wir ergänzen die Sendung. In altbewährter Weise kommt die Sendung im Jänner 2025. Die Idee für Herbst 2024 ist, dass nicht nur Promis tanzen. Es gibt in Österreich wahnsinnig viele Tänzer. Turnier- oder Amateurtänzer können sich bewerben, um dann gegen die Promis anzutreten. Wir machen ein Casting, und ich hoffe, es werden sich Tausende bewerben. Und wir suchen dann mit einer Jury ein Paar aus, das dann in der Dancing Stars-Show gegen die Promis antritt.

STANDARD: Sie haben auch davon gesprochen, dass im ORF-Hauptabend eine Kochsendung fehlt.

Gastinger: Was mir auffällt: In fast jedem deutschen Sender gibt es in der Primetime eine Kochsendung. Beim ORF nicht. Ich sehe bei deutschen Sendern immer wieder österreichische Köche. Deshalb könnte ich mir vorstellen, dass eine Kochsendung in der ORF-Primetime eine Möglichkeit wäre. Es gibt aber noch keinen konkreten Plan, das ist nur eine Idee. Ob Haya Molcho, Sepp Schellhorn, Martin Klein, Alexander Kumptner oder Roland Trettl: Die kochen bei deutschen Sendern, aber nicht beim ORF in der Primetime.

STANDARD: Das könnte beim Publikum auf Interesse stoßen.

Gastinger: Das glaube ich auch, wenn ich sehe, wie viele Leute am Sonntag nicht den Tatort schauen, sondern bei Vox Grill den Henssler, Kitchen Impossible oder The Taste – und da kochen österreichische Köche. In der Primetime. Deswegen ist es naheliegend, dass man so etwas einmal ausprobiert.

STANDARD: Andi und Alex sind wohl keine Kandidaten für die Primetime?

Gastinger: Die sind immer wieder zu sehen. Allerdings sind das alte Sendungen, die am Nachmittag laufen. Sonst ist mit Andi und Alex im Moment nichts geplant.

Martin Gastinger
Martin Gastinger hat Pläne für eine Kochsendung im ORF-Hauptabend in der Schublade.
Regine Hendrich

STANDARD: Ein großes Thema sind Familienshows, die am Samstagabend laufen. Ist da etwas Neues in Planung, das der ORF entwickelt, oder setzen Sie weiter auf Koproduktionen mit ARD und ZDF?

Gastinger: Es gibt etwa Groß gegen Klein oder Verstehen Sie Spaß?. Grundsätzlich funktionieren die Koproduktionen sehr gut. Wir sind immer sehr dahinter, dass das mit österreichischer Beteiligung abläuft. Dann sind sie wirtschaftlich interessant, wenn sich zwei, drei Sender die Kosten teilen. Dieser Gedanke kommt auch von den deutschen Kollegen. Das Thema wird sicher noch größer werden, dass man gemeinsam Shows entwickelt, um budgeteffizient zu arbeiten. Ohne geniale Idee würde ich aber keine große Samstagabendshow machen.

STANDARD: Ist schon eine geniale Idee in Sicht?

Gastinger: Wir haben ein paar Ideen, ob sie genial sind, kann ich noch nicht sagen. Wir arbeiten daran. Als Programmmacher muss man immer überzeugt sein von seinen Ideen, sonst geht es nicht.

STANDARD: Waren Sie von allen Programminitiativen und Formaten überzeugt, die Sie im Laufe der Jahre lanciert haben?

Gastinger: Da waren sicher welche dabei, die sich im Nachhinein als nicht genial herausgestellt haben. Als Programmmacher ist man verliebt in das, was man macht. Es kann aber nicht alles super sein, das ist klar. Aus Fehlern lernt man. Auch ich habe das eine oder andere falsch eingeschätzt.

STANDARD: Was zum Beispiel?

Gastinger: Das wurde übrigens vom STANDARD damals gefeiert und war eine der wenigen Sendungen von mir, die bei Ihnen gut weggekommen sind. Die ATV-Sendung hieß Ohne Rauch geht's auch, und die Idee war, dass ein ganzes Dorf zum Rauchen aufhört. Wir war überzeugt vom Konzept. Was wir nicht bedacht hatten: Jene, die nicht aufhören wollen, schauen es sich nicht an, und jene, die nicht rauchen, schauen es auch nicht. Somit war die Schnittmenge relativ klein. So kann man sich als Programmmacher irren, aber die Zeitungen haben es gefeiert. Trial and Error, das ist auch bei Fernsehmachern so.

STANDARD: Was sind die großen Anker, die großen Themen, mit denen lineares Fernsehen noch punkten kann? Live-Berichterstattung und Shows?

Gastinger: In erster Linie muss es eine gute Idee und ein gutes Programm sein. Ein gutes Programm findet seine Zuseher, etwa die Millionenshow, Neun Plätze, neun Schätze oder diese großen Shows und Kabarettabende. Vieles funktioniert gut. Willkommen Österreich mit Herbert Prohaska und Hans Krankl hatte inklusive Nachnutzung 417.000 Zuseher – 200.000 mehr als in der Woche davor. Das Publikum ist da. Die ganz junge Zielgruppe war so hoch wie in den letzten fünf Jahren nicht. Obwohl man sagen könnte, das sind ja alte Fußballopas. Die Theorie, dass alte, graue Männer im Fernsehen nicht funktionierten, ist damit widerlegt.

STANDARD: Dave hatte im Anschluss an Willkommen Österreich 117.000 Zuseher. Wie zufrieden waren Sie mit dem Auftakt der zweiten Staffel?

Gastinger: Dave ist ein lustiges Phänomen, weil es wahrscheinlich die erfolgreichste Serie im ORF bei der ganz jungen Zielgruppe ist. Und weil es wahrscheinlich die meisten Zuseher hat, die man online erreicht. Das ist ein Vorausblick auf die zukünftigen Aktivitäten am Player. Dave ist eine Marke, die dort extrem gut funktionieren wird. Was zeigt, dass man auch die ganz Jungen mit schrägen Ideen erreichen kann.

STANDARD: Wie schräg darf es aus der Sicht des Programmmachers sein?

Gastinger: Das muss man sich von Format zu Format anschauen. Wir werden keine Sachen machen, die andere Menschen verletzen oder die gesetzeswidrig sind. Dave sieht sich als Satireformat, und die Satire scheint gut gelungen. Nächstes Jahr machen wir eine eigene Maschek-Show. Es ist doch schade, dass sie immer nur drei Minuten bei Willkommen Österreich zu sehen sind, obwohl sie mit ihren Vorstellungen ganze Theater oder Säle füllen. So gesehen ist es naheliegend, mit ihnen eine eigene Sendung zu machen. Start ist im Jänner 2024.

STANDARD: Im Rahmen der Dienstag Nacht?

Gastinger: Nein, wir werden einen prominenteren Termin haben, wahrscheinlich im zweiten Hauptabend, und sie wahrscheinlich in der Dienstag Nacht wiederholen.

STANDARD: Wie viele Ausgaben sind geplant?

Gastinger: Weil sie so wenig Zeit haben, werden es voraussichtlich im nächsten Jahr so neun bis zehn sein.

STANDARD: Vera Russwurm bestreitet am 1. Dezember ihre letzte Sendung, sie soll aber in irgendeiner Form dem ORF verbunden bleiben. Gibt es bereits Pläne für ein neues Format?

Gastinger: Wir haben uns getroffen und ausgemacht, dass sie jetzt einmal ihre Abschiedssendung macht. Dann setzen wir uns wieder zusammen und schauen, welche Ideen wir haben. Mehr gibt es noch nicht.

STANDARD: War das Erfolgsformat Bauer sucht Frau ihre Idee?

Gastinger: Das ist ein australisches Format, das auch dem ORF angeboten wurde. Der ORF wollte es nicht haben, dann ist es bei ATV gelandet.

STANDARD: Hätten Sie es gerne beim ORF?

Gastinger: Das macht überhaupt keinen Sinn mehr. Das ist eine Marke, die seit 20 Jahren bei einem anderen Sender sehr erfolgreich läuft. Warum sollte sich der Sender davon trennen? Aber damals wurde ATV auch die Millionenshow angeboten, aber das sind Sendungen, die von Formathändlern kommen. Oder auch Undercover Boss, was dann beim ORF lief. Ich habe damals gesagt, dass ich es mir in Österreich nicht vorstellen kann, weil es kaum Betriebe geben wird, wo man seinen Chef nicht erkennt. Der ORF hat es gemacht, und das auch ganz gut. Genauso hat der ORF einmal Bachelor gemacht.

STANDARD: Echt?

Gastinger: Ja, die allererste Staffel. Jetzt wurde zum Beispiel bei der Programmmesse MIP Bachelor Senior vorgestellt. Ein total rührendes Format, das in Amerika sensationell funktioniert hat. Ein bisschen wie Liebesg’schichten und Heiratssachen, aber auf Bachelor mit Leuten, die 75 oder 80 Jahre alt sind.

STANDARD: Schlägt der ORF zu?

Gastinger: Ich glaube nicht, dass der ORF das machen wird, trotzdem ist es eine schöne Idee. Ich kenne bereits zwei Sender in Deutschland, die das machen möchten. Wir beim ORF und alle anderen Sender bekommen ständig Formate angeboten, und man muss schauen, was zu welchem Sender passt.

STANDARD: Sie haben ja für ATV Formate wie Teenager werden Mütter oder Saturday Night Fever erfunden. Lassen sich solche Sendungen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk projizieren?

Gastinger: Das ist eine komische Frage, die Sie sich selbst beantworten könnten.

STANDARD: Könnten solche Formate beim ORF laufen?

Gastinger: Niemals. Es ist schon komisch, dass es immer noch dort läuft, wo es läuft. Dieser Exhibitionismus, den wir damals vor 15 Jahren geortet haben, findet jetzt im Internet statt. Auf Handys, Facebook, Instagram oder Tiktok. Das ist eigentlich keine Fernsehware mehr. Diese neuen Social-Media-Formate sind wesentlich exhibitionistischer, als das Fernsehen jemals sein kann. Viele dieser Nischenangebote – so würde ich es heute bezeichnen, auch wenn es damals richtig war, dass wir das bei ATV gemacht haben, denn es waren Riesenaufreger – sind heute bei irgendwelchen Streaminganbietern in noch viel härterer Ausprägung zu sehen. Oder sie machen es selbst, indem sie sich exhibitionistisch auf ihren Youtube-Kanälen darstellen. Das hat sich ein bisschen überlebt, das sieht man auch an den Quoten. Die Zahlen sind nicht mehr so hoch.

STANDARD: Der ORF hat andere Aufgaben?

Gastinger: Wir müssen in diesen Zeiten Wohlfühl- und Gute-Laune-Fernsehen bieten. angenehme, leichte, gute, niveauvolle Unterhaltung so wie die Musikshow Hier spielt die Musik. Das Feedback ist total positiv. Ich kann mitraten und werde unterhalten. Wenn ich mir die internationalen Formatangebote ansehe: Da sind keine Grauslichkeiten oder exhibitionistischen Dinge dabei. Es sind viel mehr Wohlfühl- und Serviceformate hoch im Kurs. Mit Checks oder Anleitungen, die das Leben der Leute verbessern.

STANDARD: Eskapismus ist gefragt?

Gastinger: Wie kann ich in trüben Tagen eine Parallelwelt zu den aktuellen Krisen finden, die keine schrecklichen Bilder hat? Und wie können wir den Leuten das Gefühl geben, aus der Spirale der schlechten Nachrichten rauszukommen? Das ist momentan unsere Ausgabe. Wenn ich mich um 20.15 Uhr auf die Couch lege, möchte ich angenehme Sachen sehen. So sehe ich derzeit Unterhaltung: den Leuten ein schöneres Bild der Welt zu skizzieren. Das kann Dating, Kochen oder Quiz sein. Bei einem Quiz habe ich Unterhaltung und trotzdem Relevanz. Und es kann informativ sein. Wir starten im Jänner schon wieder eine neue Rateshow.

STANDARD: Clever! – die Rätselshow mit Gregor Seberg?

Gastinger: Das geht nicht so sehr in die Quizrichtung, wo ich eine Frage konkret beantworten muss, sondern es geht um Logikspiele und Dinge, die ich erraten kann. Teams treten gegeneinander an. Man könnte sagen: schon wieder eine Quizshow. Ich glaube aber, dass das gut ankommt. Man kann von zu Hause aus mitmachen, ohne gleich ein Superbrain sein zu müssen, weil es eher um Raten und Logik geht und weniger um Wissen. Das Thema ist nicht ausgereizt. Wenn man nach Deutschland schaut, hat beinahe jeder Sender Quizsendungen im Programm. Fernsehen funktioniert in Wellenbewegungen.

STANDARD: Jetzt sind wieder Quizshows angesagt?

Gastinger: Eine Zeitlang waren Doku-Soaps der Renner, dann Scripted Realitys. Vor 20 Jahren gab es lauter Talkshows am Nachmittag – mit Arabella Kiesbauer, Hans Meiser oder Frauke Ludowig. Manche Trends wiederholen sich, bei RTL freuen sie sich, dass die Gerichtshows wieder funktionieren. Man könnte genauso sagen: Warum gibt es so viele Krimis? Es gibt keinen Tag ohne Krimis, und die Leute lieben es.

STANDARD: Man muss Fernsehen nicht immer neu erfinden?

Gastinger: Man kann es den Leuten nicht vorwerfen, dass sie es mögen. Genauso wie mich einmal jemand gefragt hat, ob ich Schlager schrecklich finde. Ich finde Schlager überhaupt nicht schrecklich, das würde ich mir niemals herausnehmen. Ich sage auch nicht, jemand ist schrecklich, weil er ein Schnitzel isst oder weil er keines essen möchte. Es muss alles zulässig sein – auch im Fernsehen. Geschmack ist keine Frage von Intelligenz, Moral oder Ethik. Geschmack ist ein persönlicher Zustand. Der eine liebt Gemüse, der andere hasst Gemüse, deswegen ist der eine oder der andere kein schlechter Mensch. Als Programmmacher müssen wir wie Köche sein. Ein Koch, der sich weigert, Gemüse zuzubereiten, wird Schwierigkeiten haben.

STANDARD: Die FPÖ hat kürzlich gemeint, man könnte ORF 1 ersatzlos abschaffen. Was sagt der auch für ORF 1 zuständige Unterhaltungschef dazu?

Gastinger: Auch wenn ich für Privatsender gearbeitet habe, habe ich immer gesagt, dass öffentlich-rechtliches Fernsehen eine sehr wichtige Säule ist. Wenn ich mit deutschen Kollegen rede, sehe ich, wie sehr sie uns beneiden, dass der ORF im Vergleich mit Deutschland einen viel höheren Zuspruch und Marktanteil hat. Das zeigt deutlich, wie sehr die Österreicher ihre ORF-Programme lieben. Jede Partei wäre gut beraten, dem Österreicher nicht das wegzunehmen, was er gerne mag.

STANDARD: Gibt es Befürchtungen, dass es dem ORF an den Kragen geht, sollte die FPÖ nach der kommenden Nationalratswahl in die Regierung kommen?

Gastinger: Ich bin kein Sprecher irgendeiner politischen Richtung und möchte mich nicht dafür benutzen lassen. Was ich gerade gesagt habe: Die Österreicher lieben den ORF, sonst würden nicht so viel Prozent den ORF einschalten. Jede Partei ist gut beraten, sich diese Zahlen anzuschauen, auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern, wie beliebt der ORF ist.

STANDARD: Was war ausschlaggebend für die Rückkehr zum ORF nach Stationen bei mehreren Privatsendern?

Gastinger: Ich habe die Chance gesehen, beim ORF mein Wissen einzubringen. Ich habe 16,17 Jahre im Ausland gearbeitet und für diverse Privatsender. Ich habe im ORF-Radio angefangen. Es gab bereits vor fünf Jahren die Überlegung, mich beim ORF als Unterhaltungschef zu bewerben. Dann kam aber Servus TV dazwischen und hat mir rascher als der ORF ein Angebot gemacht. Jetzt war die Chance da, mich noch einmal zu bewerben. Es ist für jeden Fernsehmacher ein Traum, so viele Sender und Kanäle mit Programm zu bespielen. Jeder Zeitungsschreiber würde wahrscheinlich auch gerne zur größten Tageszeitung gehen.

STANDARD: Zur Kronen Zeitung? Nicht unbedingt jeder.

Gastinger: Wenn man es sich aussuchen kann, geht man dorthin, wo es die meisten Möglichkeiten gibt.

STANDARD: Servus TV ist auch nicht total arm.

Gastinger: Es geht nicht um arm, sondern um die Möglichkeiten, die man hat. Mit den vielen Kanälen. Ich mache auch den Kinderkanal ab 1. Jänner 2024 mit meinem neuen Team. Das ist eine komplett andere Herausforderung, ein Programm für Drei- bis Neunjährige zu entwerfen, das es noch nicht gibt. Und einen Kanal zu machen, der 24 Stunden verfügbar ist. Von den älteren Herrschaften bis zu den ganz Jungen: Solche Möglichkeiten habe ich sonst nirgends.

STANDARD: So gesehen sind Sie zu einem guten Zeitpunkt zum ORF gekommen, nachdem das ORF-Gesetz dem Sender mehr Möglichkeiten für Kanäle und Inhalte gibt.

Gastinger: Ja, eh. Mit dem Player oder dem Kinderkanal. Das ist eine tolle Aufgabe, für diverse Zielgruppen Programm zu entwickeln.

STANDARD: Der Kinderkanal startet am 1. Jänner 2024 um 6 Uhr in der Früh und soll kein Spiegel des Kinderprogramms sein, das in ORF 1 läuft, oder?

Gastinger: Wir machen neue Eigenproduktionen mit einem neuen Team. Es ist alles sehr knapp. Ich habe am 1. August 2023 als Unterhaltungschef begonnen, jetzt arbeiten wir bereits im Probebetrieb für den Kinderkanal. Langsam trudeln die Eigenproduktionen ein, noch dazu mit neuen Methoden wie Smart Producing. Mit anderen Stilmitteln und jungen Moderatorinnen. Das ist mit ORF 1 nicht vergleichbar, auch wenn wir zum Beispiel die eine oder andere Okidoki-Sendung im Programm haben werden. (Oliver Mark, 22.11.2023)