Roland Weißmann hat in kaum zwei Jahren als ORF-Chef ein neues ORF-Gesetz mit Haushaltsabgabe von allen, unabhängig vom Empfang, durchgebracht. Freunde machte er sich damit nicht viele.

Der Verfassungsgerichtshof verlangt bis März 2025 neue Bestellregeln für den ORF-Stiftungsrat. Solche neuen Regeln für die Aufsichtsgremien verkürzten schon zweimal die Amtszeit eines ORF-Chefs. Wer sich um den Job des ORF-Generals bewirbt, sollte "kein Hasenfuß" sein, sagt Weißmann im STANDARD-Interview.

Roland Weißmann
"Man soll sich nicht für die Führung des ORF bewerben, wenn man ein Hasenfuß ist", sagt Roland Weißmann zu FPÖ-Ankündigungen, den neuen ORF-Beitrag gleich wieder abzuschaffen und den ORF zusammenzustutzen.
Heribert Corn

"Da sollte man kein Hasenfuß sein"

STANDARD: Noch zwei Monate bis zum ORF-Beitrag von allen. Haben Sie den Eindruck, dass alle, die künftig zahlen müssen, auch wissen, warum und wofür sie zahlen sollen?

Weißmann: Es ist ein besonderer Auftrag für uns, von allen finanziert zu werden, den nehmen wir sehr ernst. Mit sehr vielen haben wir schon jetzt laufend Kontakt: Täglich nutzen 6,4 Millionen Menschen ein Angebot des ORF. Natürlich nutzen wir die kommenden Wochen, um weiter dafür zu werben. Wir haben die sehr erfolgreiche Kampagne "ORF für alle". Ich bin sehr optimistisch, dass wir am Ende des Tages eine sehr große Mehrheit erreichen werden und überzeugen können.

STANDARD: 25 Prozent der Menschen waren zuletzt selbst laut Umfragen im Auftrag des ORF nicht davon überzeugt, dass es den ORF braucht. Wie wollen Sie die überzeugen?

Weißmann: Wir leben natürlich in einer sehr polarisierenden Zeit, auch und insbesondere in Zeiten von Social Media. Ich bin in einer europäischen Tradition überzeugt: Ein öffentlich-rechtliches Medium ist so etwas wie die mediale Infrastruktur eines Landes. Wir werden vielleicht nicht all diese 25 Prozent überzeugen können. Aber unser Ziel ist, auch für möglichst viele dieser 25 Prozent Angebote zu machen.

STANDARD: Wofür braucht es öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Was ist diese mediale Infrastruktur für Sie? Was können nicht auch private Medienunternehmen?

Weißmann: Ich orientiere mich da an der BBC, die ihren Auftrag in drei Wörtern definiert mit: Educate, Entertain and Inform, also Bilden, Unterhalten, Informieren. Als Beispiel: Frauenfußball haben wir in ORF 1 gebracht. Rein marktwirtschaftlich würde sich das nicht rechnen, das gilt auch für vieles andere, was wir anbieten. Aber es ist Teil unseres Selbstverständnisses, wofür wir Gebühren einsetzen. Wir investieren jedes Jahr mehr als 100 Millionen Euro in den Spitzen- und Breitensport. Über 100 Millionen in die heimische Filmwirtschaft. Und mehr als 100 Millionen in Kunst und Kultur. Das würde sich in der Form niemand leisten können, das gilt umso mehr für einen kleinen Werbemarkt wie Österreich. Wir übertragen aus dem österreichischen Parlament und teilen diesen Content auch. Dafür gibt es einen öffentlichen Rundfunk. Wie viel Geld wir brauchen, um diesen diesen öffentlichen Auftrag zu erfüllen, wird von der Medienbehörde geprüft.

STANDARD: Das neue ORF-Gesetz ab 2024 mit Haushaltsabgabe und mehr Möglichkeiten online für den ORF könnte das kurzlebigste Gesetz der Geschichte werden. Die FPÖ liegt in den Umfragen deutlich vorne, und sie hat vielfach angekündigt, die Haushaltsabgabe abzuschaffen. Stellen Sie sich schon darauf ein?

Weißmann: Man soll sich nicht für die Führung des ORF bewerben, wenn man ein Hasenfuß ist.

"Ein zusammengestutzter ORF, manche sagen dazu 'Schärfung des Auftrags', ist wohl nicht im Sinne des Verfassungsgerichtshofs."

STANDARD: Sie könnten schon jetzt zu rechnen beginnen, was sich in zwei Jahren mit der Finanzierung aus dem Bundesbudget bei deutlichen Kürzungen auf einen "Grundfunk", so die FPÖ, noch ausgeht.

Weißmann: Es ist ein Faktum, dass große Teile des ORF-Gesetzes mit einer einfachen parlamentarischen Mehrheit zu ändern sind. Als ORF-Generaldirektor werde ich immer dafür kämpfen, den ORF in seiner Vielfalt und Breite zu erhalten. Und es gibt jetzt zwei Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs, die vom Gesetzgeber eine ausreichende Finanzierung für den ORF verlangen. Ein zusammengestutzter ORF, manche sage dazu "Schärfung des Auftrags", ist wohl nicht im Sinne des Verfassungsgerichtshofs.

STANDARD: Die FPÖ scheint das bisher nicht von der Idee abzubringen.

Weißmann: Man bekommt damit Zeitungsschlagzeilen. Man muss in diese Diskussion gehen, man muss sich mit Kritik auseinandersetzen. Natürlich ist nicht alles sakrosankt. Bis zu einem neuen Gesetz ist noch viel Zeit. Bis dahin werden wir leidenschaftlich dafür werben, was der ORF alles bietet. Der ORF ist der Lieblingssender der Österreicherinnen und Österreicher in Radio, Fernsehen und Online. Wenn man davon etwas wegnimmt, ist es unumkehrbar verloren. Niemand wird diese Lücken schließen. Es gibt Millionen Fans von Sport, von österreichischem Kabarett, von österreichischem Film, den Landesstudios. Ich sehe keinen Grund, hier etwas infrage zu stellen.

"Warum man ORF 1 abschaffen sollte, weiß ich wirklich nicht."

STANDARD: GIS- oder künftige Beitragszahler fragen, warum man für die x-te Wiederholung von "Malcolm mittendrin" und andere US-Kaufserien zahlen soll.

Weißmann: Das ist inzwischen ein Mythos. Seit 2022 kaufen wir keine solchen Serienrechte mehr ein, aber wir haben noch Verträge, die wir abspielen müssen. Wir spielen am Vorabend Wiederholungen von "Soko Kitzbühel" und zwei eigenproduzierte Quizsendungen. Wir haben fünf von sieben Hauptabenden die Woche mit österreichischen Eigenproduktionen programmiert.

STANDARD: Der FPÖ-Mediensprecher sieht keinen Sinn in ORF 1, man könne den Kanal praktisch ersatzlos streichen.

Weißmann: ORF 1 ist sowohl beim Gesamtpublikum ab zwölf Jahren als auch beim Publikum zwischen zwölf und 50 Jahren etwa gleich groß wie Servus TV, Puls 4 und ATV zusammen. Warum man ORF 1 abschaffen sollte, weiß ich wirklich nicht. ORF 1 ist der Sender für die österreichische Kabarett- und Comedy-Szene, für die großen Family-Shows wie "Dancing Stars", es ist der Sender für österreichische Filme und Serien. Er ist die Heimat für den österreichischen Sport. Wir haben etwa den Frauenfußball in die Prime Time gebracht. Und wir bieten dort eigene News und Doku-Formate. ORF 1 ist ein öffentlich-rechtliches Kernangebot.

STANDARD: Bei der EU-Kommission liegen derzeit Beschwerden von privaten Medienhäusern, wonach das neue ORF-Gesetz den EU-Vorgaben für Beihilfen widerspreche. Neue Finanzierung und neue Möglichkeiten online für den ORF würden die Existenz privater Medien bedrohen.

Weißmann: Das neue ORF-Gesetz ist lange und intensiv diskutiert worden. Ich würde nun gerne in die Zukunft blicken. Wir sind zuversichtlich, dass das ORF-Gesetz den Anforderungen der EU entspricht. Natürlich wollen wir auch Mitbewerber und Politiker überzeugen, dass dieses Land einen starken ORF braucht. Aber am Ende des Tages geht es um eine Allianz mit dem Publikum, das ist unser Anspruch.

"Natürlich bestimmt der Standort den Standpunkt: Ich bin ORF-Generaldirektor, also setze ich mich bestmöglich für den ORF ein."

STANDARD: Private Medienunternehmer argumentieren, die Möglichkeiten des ORF und seine Finanzierung verhinderten wirtschaftlich tragfähige private Onlineangebote.

Weißmann: Jeder in der Medienbranche weiß, in welcher schwierigen und teilweise existenzbedrohenden Situation sich die gesamte Medienwelt befindet. Deshalb habe ich immer Kooperationen befürwortet, die für beide Seiten Sinn ergeben. Ich bekenne mich zu einer medialen Infrastruktur, die für mich nicht alleine den ORF beinhaltet, sondern auch private, insbesondere Qualitätsmedien. Im Übrigen lukriert der ORF lediglich ein Prozent der österreichischen Online-Werbeerlöse. Aber natürlich bestimmt der Standort den Standpunkt: Ich bin ORF-Generaldirektor, also setze ich mich bestmöglich für den ORF ein.

STANDARD: Und wo unterstützen Sie eine private mediale Infrastruktur?

Weißmann: Wir haben uns kürzlich an der Audiostreaming-Plattform Radioplayer der Privatradios beteiligt. Wir kooperieren bei Sportrechten mit Servus TV. Sie finden ORF-Programme auf der Streaming-Plattform Joyn von ProSiebenSat1Puls4. Wir haben das gemeinsame Projekt Mediakey. Und der ORF steht bereit für Zusammenarbeit mit Privaten in Sachen künstlicher Intelligenz, wie sie Medienministerin Susanne Raab angeregt hat. Als Marktführer haben wir hier eine Verantwortung. Wir sollten alle den Blick in die Zukunft richten und schauen, wo sinnvolle Kooperationen möglich sind. Wir sollten das Hickhack hinter uns lassen. Alle Verleger haben meine Telefonnummer.

ORF-General Roland Weißmann im österreichischen Parlament beim Beschluss des ORF-Gesetzes im Juli 2023.
"Der Ball liegt hier eindeutig beim Gesetzgeber": ORF-General Roland Weißmann im österreichischen Parlament beim Beschluss des ORF-Gesetzes im Juli 2023.
APA Roland Schlager

STANDARD: Der Verfassungsgerichtshof liefert ebenfalls einen Anlass für ein neues ORF-Gesetz. Die Höchstrichter verlangen neue Bestimmungen für die Besetzung eines Teils der ORF-Gremien. Rechnen Sie mit einer Reparatur noch vor der anstehenden Nationalratswahl 2024?

Weißmann: Ich rede laufend und stets gerne mit meinen Aufsichtsgremien, aber nicht über die Gremien. Wir haben eine exzellente Zusammenarbeit mit den Gremien, die meisten Beschlüsse fallen einstimmig oder einhellig. Alle Beschlüsse finden bis zu einer Neuregelung auf rechtlich korrekter Basis statt. Der Ball liegt hier eindeutig beim Gesetzgeber. Die Frist für eine Reparatur ist März 2025.

STANDARD: In der ORF-Geschichte hat der Gesetzgeber schon zweieinhalb Mal die Amtszeit von ORF-Chefs vorzeitig und bewusst beendet, indem die sie bestellenden ORF-Gremien neu geregelt wurden. Rechnen Sie mit einer vollen Amtszeit? Sie sind bestellt bis Ende 2026, die Gremien sind bis 31. März 2025 neu zu regeln.

Weißmann: Das liegt in der Hand des Gesetzgebers. Ich bin bis Ende 2026 bestellt. Ich bin mit meiner Geschäftsführung eineinhalb Jahre im Amt, und wir haben schon sehr viele Projekte und Veränderungsprozesse umgesetzt und in der Pipeline, um den ORF zukunftsfit aufzustellen. Ich arbeite, solange ich bestellt bin, zu 120 Prozent für den ORF.

STANDARD: Die ÖVP wirkt mit dem ORF nicht wirklich zufrieden. Hat man sich dort mehr von Ihnen erwartet? Einen freundlicheren, weniger kritischen ORF womöglich? ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker denkt etwa laut über eine "Gesamtänderung des ORF-Gesetzes" nach.

"Mein Job ist es nicht, Parteien glücklich zu machen."

Weißmann: Mein Job ist es nicht, Parteien glücklich zu machen. Der ORF hat einen ausgewogenen Programmauftrag. Ich werde immer dafür kämpfen, dass der ORF in der heutigen Größe, im heutigem Umfang, mit seinem heutigen Programmauftrag und in seiner Unabhängigkeit erhalten bleibt. Der Zuspruch unseres Publikums spricht dafür.

STANDARD: Das Bundesverfassungsgesetz Rundfunk verlangt Unabhängigkeit, Ausgewogenheit und Vielfalt des ORF und seiner Berichterstattung.

Weißmann: Ich werde meine ganze Kraft dafür einsetzen, dass wir weiterhin unabhängig und ausgewogen berichten können.

STANDARD: Sie besetzen gerade die Führung des ORF-Newsroom neu, also der größten Redaktion im Land. Bis Donnerstag noch sind die Positionen von drei Chefredakteurinnen und drei Stellvertretern ausgeschrieben. Kann die neue Besetzung die ÖVP beruhigen?

Weißmann: Die Information des ORF ist die wichtigste und sensibelste Aufgabe des ORF. Ich habe gleich am Beginn meiner Amtszeit als ORF-Generaldirektor ein neues Redaktionsstatut vereinbart, das die Rechte der einzelnen Redakteurin und des einzelnen Redakteurs noch weiter stärkt. Die neue, multimediale Struktur für den Newsroom habe ich gemeinsam mit der Redaktion ausgearbeitet. Das passiert völlig unabhängig von Zurufen von außen. Der ORF ist die Informationsquelle, der die Österreicherinnen und Österreicher am meisten vertrauen. Das ist in Zeiten der Polarisierung und der Fake News besonders wichtig. Das wird gestärkt und möglichst noch ausgebaut.

STANDARD: Im ORF werden für die drei Positionen der bisherige APA-Chefredakteur Johannes Bruckenberger, die bisherige Radiochefredakteurin Gabi Waldner-Pammesberger und der bisherige Chef des ORF-Newsdesk, Sebastian Prokop, als aussichtsreichste Kandidaten gehandelt. Auch von Ihnen?

"Die Bewerbungsfrist läuft bis 26. Oktober. Warten wir ab, wer sich überhaupt bewirbt."

Weißmann: Die Bewerbungsfrist läuft bis 26. Oktober. Warten wir ab, wer sich überhaupt bewirbt. Auswahlverfahren im ORF laufen – im Unterschied zum Beispiel zum STANDARD, wo der neue Chefredakteur von der Geschäftsführung einfach verkündet wird – transparent und völlig unabhängig ab, mit Ausschreibung, Hearings, Redaktions-Hearings etc. Ich bin sicher, dass die besten Kandidaten und Kandidatinnen zum Zug kommen werden.

STANDARD: Bruckenberger hat gleich mit seiner Bewerbung die Chefredaktion der APA zurückgelegt. Kann er sich seiner Sache so sicher sein?

Weißmann: Die Frage müssen Sie Johannes Bruckenberger stellen. Ich würde es eher so sehen, dass er hier ein persönliches Risiko eingeht. Grundsätzlich freut es mich, wenn sich die Besten in Österreich dafür interessieren. Das spricht für das Unternehmen. Die Bewerbung läuft noch. Ich weiß nicht, wer sich schon beworben hat oder noch bewerben wird.

STANDARD: Digital ist das zentrale Thema in der Zukunftsperspektive aller Medienunternehmen. Ist Johannes Bruckenberger ein digitales Signal?

Weißmann: Ich kommentiere mögliche Bewerberinnen und Bewerber nicht. Generell gilt: Der ORF vereinigt mit TV, Radio und Online drei Mediengattungen. Es geht um die multimediale Zusammenarbeit, das Zusammenspiel. Und wir haben nicht einen Chefredakteur, sondern ein Team von Chefredakteuren. Ich weiß noch nicht einmal, wer sich auf welchen Bereich bewirbt. Es geht, zugespitzt, darum, aus drei Orchestern ein Orchester zu machen, zugleich aber Binnenpluralismus und Meinungsfreiheit zu erhalten.

STANDARD: Würden Sie heute, im Oktober 2023, den ORF-Newsroom noch einmal so aufstellen, so konzipieren – nicht nur baulich, sondern vor allem auch strukturell?

Weißmann: Die Frage stellt sich so nicht. Meine Aufgabe ist, gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den bestehenden Rahmenbedingungen das Beste herauszuholen. So halte ich es auch mit dem Newsroom. Aber wenn wir bemerken, dass etwas nicht optimal läuft, wollen wir das viel schneller als früher zum Positiven verändern. Das gilt auch für die Struktur im Newsroom und für viele Bereiche im Haus.

Ein Rücktritt aus "Hoffnungslosigkeit"

STANDARD: Der Außenpolitikchef des ORF-Radios hat gerade seinen Job hingeschmissen, laut Ohrenzeugen "aus Hoffnungslosigkeit" und wegen der Arbeitsbedingungen. Es fehle an "einer klaren Vision, Führungskultur, Geld, Personal, vor allem aber Motivation und Wertschätzung für die journalistische Arbeit". Das muss doch ein Alarmsignal sein.

Weißmann: Die Ressorts werden in Kürze multimedial ausgeschrieben. Wir werden sehen, wer sich bewirbt. Ich bin sicher, wir werden top Bewerberinnen und Bewerber haben. Ich nehme Kritik oder Ängste von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr ernst. Ich bitte aber um Verständnis, dass wir das in der Redaktion besprechen. Aber der ORF ist sicher eine jener Redaktionen in Österreich, wo Außenpolitik die größten Möglichkeiten hat. Die Medienbranche insgesamt ist herausgefordert. Es braucht Führungskräfte, die auch in schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anpacken und gute Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter schaffen.

"Der ORF hat 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nun gibt es zwei Fälle, die gerichtsanhängig sind, einer davon reicht weit in die Vergangenheit zurück."

STANDARD: Arbeitsbedingungen im ORF sorgen in den vergangenen Monaten für einiges Aufsehen. Eine Managerin klagte den ORF, sie würde nicht entsprechend eingesetzt, und berichtet von verbaler sexueller Belästigung. Eine langjährige Journalistin wurde erst quasi strafversetzt und später gekündigt, nachdem sie sich bei einem Ministerinterview nicht von ihrer Ressortchefin Themen vorgeben ließ, auch dieser Fall liegt beim Arbeitsgericht und zudem bei der Medienbehörde. Ein Zeuge, der offenbar vor einer internen Kommission über Einflussnahme des langjährigen Chefredakteurs zugunsten der ÖVP im Studio Niederösterreich berichtete, hat den ORF verlassen. Moderatorinnen gingen. Was ist da los? Fährt der ORF unter Roland Weißmann einen härteren Kurs gegen Kritik von innen?

Weißmann: Ich ersuche um Verständnis, dass wir nicht zu laufenden Gerichtsverfahren Stellung nehmen. Jedes Verfahren ist ernst zu nehmen. Der ORF hat 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nun gibt es zwei Fälle, die gerichtsanhängig sind, einer davon reicht weit in die Vergangenheit zurück. Es ist auch eher ungewöhnlich, dass Verhandlungstermine am Arbeits- und Sozialgericht von der APA als Pressetermin ausgesendet werden, ich kenne das von anderen Unternehmen nicht.

STANDARD: Hat sich das Gesamtklima gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verschärft?

Weißmann: Nein überhaupt nicht. Es gab immer wieder solche Fälle in der Vergangenheit, das Medieninteresse ist jetzt nur deutlich höher. Bewerten wir das, wenn die Gerichte entschieden haben. Der ORF hat diese Fälle nicht in die Öffentlichkeit getragen.

'Wir erleben in diesen Tagen eine Polarisierung wie noch nie."

STANDARD: Muss der ORF-Generaldirektor seine Journalistinnen und Journalisten tatsächlich daran erinnern, wie wichtig es ist, "journalistisch sorgfältig zu recherchieren und richtig zu kontextualisieren"? Sie haben das in einer Mail an die gesamte Redaktion geschrieben, vermutlich aus Anlass der "ZiB Zack", der die Verharmlosung des Hamas-Blutbades in Israel vorgeworfen wurde.

Weißmann: Ich habe in der Mail nicht daran erinnert, sondern geschrieben, dass wir diese Aufgabe tagtäglich wahrnehmen. Jeder Redakteur, jede Redakteurin gibt täglich das Beste. Wir erleben aber in diesen Tagen eine Polarisierung wie noch nie. Die "ZiB Zack Mini" habe ich zu Beginn des Ukrainekrieges wieder ins Programm geholt. Junge Menschen sehen die Bilder auf ihren Handys, ob ihre Eltern es wollen oder nicht. Wir wollen mit der "ZiB Zack Mini" den Kontext bieten. Es ist die schwierigste Aufgabe, komplexe Materien kindergerecht zusammenzufassen. Wenn uns ein Fehler unterläuft, stellen wir das so rasch wie möglich richtig.

STANDARD: Als in einem Beitrag von Christian Wehrschütz in der "Zeit im Bild" zwei Videos in einen falschen Zusammenhang präsentiert wurden …

Weißmann: … haben wir uns in der "ZiB" dafür entschuldigt. Bei der "ZiB Zack Mini" haben wir den Beitrag sofort entfernt und einen Hinweis eingeblendet. Wir nehmen das sehr ernst. Wenn Fehler passieren, werden sie korrigiert und transparent gemacht. Wir haben derzeit pro Woche 100.000 Social-Media-Kommentare zum Nahostkonflikt und dafür den Kundendienst aufgestockt, weil wir das alles auch beantworten wollen und strafrechtlich relevante Postings löschen müssen. In dieser Dimension haben wir das noch nicht erlebt.

STANDARD: Sie haben von schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gesprochen. Hat der ORF eine zweite, politische Diskussionssendung am Freitagabend vor "Im Zentrum" am Sonntagabend gebraucht – auf ORF 3 läuft jetzt zusätzlich "Zur Sache"?

Weißmann: Zur Programmgestaltung würde ich ersuchen, die Programmdirektorin und den ORF-3-Geschäftsführer zu fragen.

"Bei einem Unternehmen dieser Größe gibt es viele Bereiche, über die man diskutieren kann."

STANDARD: Grundsätzlicher gefragt: Warum legt der ORF allerorts Bereiche multimedial zusammen, vereint seine Redaktionen in einem Newsroom – und ORF 3 ist weiterhin extra als Tochterunternehmen mit eigener Inforedaktion organisiert?

Weißmann: Der ORF hat gewachsene Strukturen. Ich bin mit meiner Geschäftsführung angetreten, uns diese gewachsenen Strukturen genauer anzusehen und, wenn sinnvoll, zu verändern. Da muss nicht alles bleiben, wie es derzeit ist. Ich habe die Redakteurinnen und Redakteure von ORF.at, die ebenfalls in einer Tochter angestellt waren, in den ORF geholt, weil sie nun im Newsroom arbeiten. Bei einem Unternehmen dieser Größe gibt es viele Bereiche, über die man diskutieren kann.

STANDARD: Auch die Struktur mit einem getrennt organisierten ORF 3?

Weißmann: In dieser äußerst schnelllebigen Zeit ist nichts in Stein gemeißelt. Es hat sehr gute Gründe gegeben, ORF 3 quasi als "Start-up" in einer Tochterfirma zu organisieren. Und in dieser Eigenständigkeit ist Tolles gelungen – ein Sender mit heute knapp drei Prozent Marktanteil. Da sind viele Faktoren zu berücksichtigen. Wir schauen uns die Strukturen im Haus genau an und verändern sie, wenn notwendig und sinnvoll – Religion, Wissenschaft wurden und werden etwa multimedial neu aufgestellt, mittelfristig auch die Kultur.

STANDARD: ORF 3 ist ja erfolgreich und relativ kostengünstig, weil es außerhalb der ORF-Strukturen funktioniert. Nun könnte man ORF 3 ja als Vorbild für den übrigen ORF nehmen.

Weißmann: Der ORF ist das Mutterschiff und ORF 3 das Beiboot. Aber natürlich lernt man wechselweise voneinander. Und, viel wichtiger, es gibt natürlich eine enge Zusammenarbeit. Der neue Unterhaltungschef Martin Gastinger kooperiert bei Kabarett und Kleinkunstproduktionen mit ORF 3, vermehrt die Kultur von ORF 3 mit jener von ORF 2. Und natürlich wird auch in der Information immer enger zusammengearbeitet.

"Aus heutiger Sicht kann ich nichts mit Bestimmtheit ausschließen. Wir gehen jedenfalls möglichst sozial vor."

STANDARD: Der ORF hat sich laut dem ORF-Gesetz dazu verpflichtet, über vier Jahre von 2023 bis 2026 kumuliert 325 Millionen Euro einzusparen. Wird man da mit natürlichen Abgängen in die Pension auskommen, oder wird es auch Jobkürzungen geben?

Weißmann: Wir stehen vor einer herausfordernden Situation, für alle Medienhäuser.

STANDARD: Beim ORF abgefedert mit fix jährlich 710 Millionen Euro aus ORF-Beiträgen im Schnitt der nächsten drei Jahre, plus Bundeszuschüsse von 70 bis 100 Millionen Euro.

Weißmann: … mit denen wir zahlreiche gesetzliche Aufträge erfüllen müssen. Fix ist mit dem neuen ORF-Gesetz eine nicht zu üppige, aber doch nachhaltige Finanzierung durch Beiträge des Publikums. Das ist kaufmännisch wichtig. Aber die Einnahmen des ORF kommen ja nicht nur aus Beiträgen des Publikums, sondern auch aus der Werbung. Von deren Entwicklung wird abhängen, ob wir mit natürlichen Abgängen und Pensionierungen durchkommen. In den kommenden Jahren gehen rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Pension, einen Teil davon möchte ich jedenfalls nachbesetzen. Aus heutiger Sicht kann ich nichts mit Bestimmtheit ausschließen. Wir gehen jedenfalls möglichst sozial vor. Wir brauchen andererseits auch junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Haus. Seit meinem Amtsantritt 2022 habe ich 40 Menschen unter 30 ins Haus geholt.

STANDARD: Die hauseigene Druckerei für Drucksorten schließt der ORF mit Jahresende, da waren aber offenbar großteils Leiharbeitskräfte beschäftigt.

Weißmann: Wir müssen uns im ganzen Haus ansehen, was wir besser selber machen oder was wir günstiger zukaufen. Das ist so ein Fall. Wie alle Medienunternehmen ist auch der ORF herausgefordert.

STANDARD: Mit dem neuen ORF-Gesetz kommt eine Reduktion der Textinhalte auf ORF.at. Bedeutet das auch eine Jobreduktion in der Redaktion?

Weißmann: Nein. Im Gegenzug werden ja Bewegtbild und Audio ausgebaut.

STANDARD: Im Sport hat der ORF immer weniger Liverechte – die sich Private wie Servus TV sichern. Braucht der ORF-Sport also weniger Personal?

Weißmann: Wir teilen uns auch Rechte mit Privaten. Wir sind insgesamt in einem Transformationsprozess vom Broadcaster zur Plattform. Das werden wir auch in den Strukturen angehen. Das heißt nicht automatisch, dass Jobs abgebaut werden. Arbeitsressourcen werden auch verschoben.

Streaming-Plattform ORF On als "Nummer eins in Österreich"

STANDARD: Was kann das Publikum, das ja auch dafür zahlen soll, von der ab 2024 neuen Streaming-Plattform ORF On erwarten?

Weißmann: Eine große zeitgemäße Streaming-Plattform, die Nummer eins der Publikumsakzeptanz in Österreich, wie es der ORF schon in Radio, Fernsehen und Online ist.

STANDARD: Gemessen woran?

Weißmann: An der Nutzung – unter den österreichischen Anbietern. Wir können unsere Inhalte länger abrufbar halten, in der Regel ein halbes Jahr statt heute sieben Tage. Wir werden auch Fiction vermehrt vorab im Streaming zeigen können, wir arbeiten am neuen Kinder-Online-Angebot und, nach einer Auftragsvorprüfung durch die Medienbehörde, können wir in Zukunft auch Online only im Streaming anbieten. Mit ORF On wollen wir unsere Inhalte zeit- und ortsunabhängig anbieten, wie es das Publikum erwartet.

STANDARD: Der ORF kann mit dem neuen Gesetz pro Woche bis gut 26 Stunden Newssendungen allein für online produzieren – das ist praktisch ein zusätzlicher Infokanal.

Weißmann: Nein, wir machen keinen zusätzlichen Infokanal. Ich habe ja auch nicht mehr Redakteurinnen und Redakteure. Mehr Bewegtbild-Content in der Information gibt es künftig nur auf ORF.at. ORF On, also die Mediathek, orientiert sich künftig klar an den Streaming-Gewohnheiten der Menschen, mehr als bisher die TVthek. In der Mediathek der ARD ist die "Tagesschau" erst die vierte Kategorie.

STANDARD: Sie wollten nach einer ersten Halbzeit als ORF-General prüfen, ob die Führungsstruktur noch zeitgemäß ist.

Weißmann: Ich habe davon gesprochen, die Strukturen zu überprüfen. Wir haben schon viel verändert und werden auch viel verändern. Jetzt setzen wir den multimedialen Newsroom auf. Eines nach dem anderen.

STANDARD: Wann wird Ingrid Thurnher Infodirektorin?

Weißmann: Die Info-Agenden liegen jetzt bei mir. Sollte ich die Geschäftsverteilung ändern wollen, müsste ich das beim Stiftungsrat beantragen.

"Ich hoffe, dass der ORF für die Gesellschaft noch so eine Klammer sein kann in polarisierenden Zeiten von Pandemien und Kriegen."

STANDARD: Wie wird der ORF am Ende dieser Geschäftsführungsperiode aussehen? Woran wird man erkennen, dass Roland Weißmann Generaldirektor war?

Weißmann: Jünger, digitaler, diverser, wie ich in meiner Bewerbung geschrieben habe. Das ist das Ziel. Digitaler, um dem Publikumsverhalten entsprechen. Und hoffentlich genau so groß und relevant in der Information, in der Unterhaltung, im Sport, in der Kultur wie bisher. Ein ORF, der von möglichst vielen akzeptiert wird. Der ORF ist für mich eine der wenigen verbliebenen Institutionen, die eine Klammer über die Gesellschaft bilden. Ich hoffe, dass der ORF für die Gesellschaft noch so eine Klammer sein kann in polarisierenden Zeiten von Pandemien und Kriegen.

STANDARD: Und ist das dann nach einer Periode für Sie erledigt – oder wollen Sie sich noch einmal für den Job bewerben?

Weißmann: (lacht) Schauen wir, wenn es so weit ist. (Harald Fidler, 25.10.2023)