Ein Mädchen steht hinter einer Scheibe und tippt mit dem Zeigefinger auf einen lachenden Smiley, daneben hängen noch andere Emojis
Positives Denken kann für Kinder in schwierigen Situationen ein gutes Bewältigungsinstrument sein und ihre Zuversicht stärken.
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Manchmal geht es schon direkt nach dem Aufwachen los: "Papa, ich habe Bauchweh, ich kann heute nicht in die Schule." Manchmal fließen erst beim Schultor die Tränen: "Ich will da nicht rein." Als Elternteil in ein trauriges oder ängstliches Kindergesicht zu blicken, das schmerzt. Wenn kein tröstendes Wort, kein Ansporn hilft, liegen mitunter die Nerven der Eltern blank, denn klar ist: Das Kind muss in die Schule.

Trennungsschmerz

Gerade in den ersten Monaten nach der Einschulung fällt vielen Kindern der Abschied von Mama und Papa schwer. Neue Bezugspersonen, neue Freunde, neue Umgebung, aber auch die vielen Erwartungen an das Schulkind können Stress und Ängste verursachen. Das Kind empfindet dann einen ähnlichen Trennungsschmerz wie Kindergartenkinder bei der Eingewöhnung. Es weint, klammert, verweigert.

Wie gehen Eltern damit um? "Wichtig ist, mit dem Kind in Ruhe über seine Ängste zu sprechen", sagt Hans Otto Thomashoff. Der Psychotherapeut weiß: "Die Angst kann viele Ursachen haben, und diese gilt es zu klären." Auf keinen Fall sollten Eltern die Gefühle des Kindes herunterspielen oder es bestrafen. Dies könnte die Angst nur weiter verstärken, oder es kommt es zu einer Totalverweigerung.

Schulangst erkennen

Wenn das Kind jeden Morgen über Bauchschmerzen klagt, so muss das laut Thomashoff nicht geschwindelt sein, um sich vor der Schule zu drücken, denn "Ängste können tatsächlich krankmachen". Kinder reagieren bei Angst und Stress mit ähnlich körperlichen Symptomen, wie es auch Erwachsene tun: Übelkeit, Herzrasen, Schwindel, Bauchschmerzen. Auch Schlafstörungen und Verhaltensauffälligkeiten wie Nägelkauen, Müdigkeit, Trödeln, Einnässen oder sozialer Rückzug weisen darauf hin, dass mit dem Kind etwas nicht stimmt.

Bei Schulanfängern sollte sich die anfängliche Angst aber nach wenigen Wochen legen. Kennt das Kind die Lehrerin oder den Lehrer besser, hat es Vertrauen geschöpft und Freunde gefunden, reagiert es in der Regel mit Neugierde und Freude auf die Schule. "Bleiben die körperlichen Symptome bestehen oder verweigert das Kind jeden Morgen, ist das nicht normal und Ausdruck einer psychischen Problematik", sagt Thomashoff.

Neueren Untersuchungen zufolge leiden etwa 20 Prozent aller Schülerinnen und Schüler unter Schulangst, häufig bereits in der Volksschule. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Das Kind fürchtet sich etwa vor einer Lehrerin oder einem Lehrer, es fühlt sich mit dem Lernstoff überfordert und steht unter Leistungsdruck – oder es wird in der Schule gemobbt.

Manchmal haben auch Kinder Angst vor der Schule, wenn kein offensichtliches Problem in der Schule vorliegt. "Wenn Kinder total überbehütet aufwachsen, sind sie später in der Schule überfordert", sagt Thomashoff. "Eltern müssen dann erkennen, dass sie ihr Kind nicht vor dem wirklichen Leben abschirmen können." Der Psychiater weiß, dass oft die Eltern selbst das Problem sind: "Bei Angststörungen schaue ich auch immer bei den Eltern hin. Gegebenenfalls müssen die zuerst ihre eigenen Ängste aufräumen, damit sie diese nicht mehr auf das Kind übertragen."

Notendruck und Stress

Häufig tritt Schulangst im Zusammenhang mit Prüfungen auf. Kinder sind also von Versagensängsten geplant, sie fühlen sich unter Druck gesetzt, eine Leistung abzuliefern, der sie aber womöglich nicht gerecht werden. Wenn die Angst vor einer Prüfung zu groß wird, steigt die Anspannung enorm, was dazu führt, dass das Gehirn nicht richtig arbeitet. Die gelernte Information kann nicht gut verarbeitet und abgerufen werden. Im schlimmsten Fall kommt es zu einem "Blackout". Das Kind hat womöglich viel gelernt, kann aber sein Wissen nicht mehr abrufen. Was danach passiert: Das Kind hat noch mehr Angst, es entsteht ein Teufelskreis.

"Das schaff ich ja eh nicht!" Oft ist der Grund für Versagensangst oder Prüfungsangst ein mangelndes Selbstwertgefühl oder Misstrauen in die eigene Leistungsfähigkeit. Manchmal spielt der Erwartungsdruck der Eltern eine Rolle, ältere Schülerinnen machen sich vor allem selbst Druck, wie eine kürzlich durchgeführte Umfrage des Nachhilfeinstituts Lernquadrat zeigt. Die Hälfte der befragten 500 Schülerinnen und Schüler zwischen 15 und 19 Jahren berichtete darin von immer stärker werdendem Leistungsdruck, ebenso von den vielen wachsenden Versagensängsten. Der Druck kommt laut Studie überwiegend aber nicht von der Familie, sondern von den Jugendlichen selbst.

Umgekehrt gibt es auch Kinder, die in der Schule durch eine permanente Unterforderung gestresst sind. "Ich habe immer wieder Kinder in der Praxis, die überdurchschnittlich intelligent sind und sich in der Schule unterfordert fühlen, was ihnen Stress bereitet und zu Resignation und Protest geführt hat", sagt Thomashoff.

Mentaltraining für Kinder

"Wir lernen in der Schule Rechnen, Schreiben, Lesen, aber leider nicht, wie wir richtig mit Alltagsherausforderungen umgehen", sagt Natalie Kolbe. Die Mentaltrainerin hat sich auf die Arbeit mit Kindern und Eltern spezialisiert. In ihrer Praxis begleitet sie Kinder, die unter Prüfungs- oder Schulangst leiden, die sich nicht konzentrieren können oder Probleme mit dem Selbstwertgefühl haben.

"Kinder sind von Natur aus neugierig, kreativ, und sie besitzen ein hohes Maß an Intuition", sagt Kolbe. Zeitdruck, Reizüberflutung und Stress würden aber den natürlichen Entdeckergeist und die Konzentration von Kindern stören. Mentaltraining sei ein gutes Werkzeug, um die eigene Motivation zu steigern oder in stressigen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. "Die Kraft der Gedanken können Kinder gut nutzen, da sie eine sehr hohe Vorstellungskraft haben." Mit kleinen Übungen für den Alltag hilft Kolbe Kindern, ihre Stärken und Fähigkeiten in Belastungssituationen bewusst umzusetzen. Etwa negative Glaubenssätze in positive verwandeln. In Prüfungssituationen wird dann aus einem "Das schaffe ich eh nicht" ein "Ich schaffe das ganz sicher".

Ab einem Alter von etwa fünf Jahren ist Mentaltraining für Kinder geeignet. Dann sind sie laut Kolbe kognitiv in der Lage, in einem Gespräch ihre Ängste zu ergründen, wobei der Fokus nicht auf den Ängsten, sondern auf den Stärken des Kindes liegt: "Jedes Kind kann etwas anderes gut. Dies gilt es herauszufinden und die eigenen Stärken weiter zu fördern", sagt Kolbe.

Selbstbewusst wie ein Wolf

Sich der eigenen Stärken bewusst zu sein fördert automatisch das Selbstvertrauen der Kinder. Aber auch zu wissen, was in schwierigen Situationen zu tun ist, gibt Sicherheit. Genau hier kommt die Kraft der Gedanken ins Spiel. Nach dem Motto "Glaube nicht immer alles, was du denkst" versucht Kolbe blockierende Glaubenssätze bei Kindern zu hinterfragen und diese zu transformieren. "Unser Verstand ist eine Datensammlung aus unserer Kindheit, aus Erfahrungen und Erlebnissen. Dieses Sammelsurium an Informationen führt dazu, dass uns unser Verstand nicht immer die beste Lösung für Probleme präsentiert."

Andrea Klein, Mentalcoach und Gehirntrainerin, formuliert es so: "Wir sind entweder Schafe oder Wölfe." Jedes Kind, jeder Mensch habe in schwierigen Situationen die Möglichkeit zu entscheiden. "Bei Prüfung gilt es, aus der Bequemlichkeit des Schafszustandes herauszukommen und Wolf zu sein – selbstbewusst, entschlossen, mächtig und souverän", sagt Klein. Passend dazu sollten die Schülerinnen und Schüler am besten zwei Sekunden lang die Faust ballen und ein motivierendes Wort sagen wie Los!

Richtig atmen

Aber auch andere Techniken, etwa die richtige Atmung, können helfen, stressige Situationen besser zu meistern. Klein etwa schwört auf das sogenannte Box-Breathing. Dabei atmet man durch die Nase tief ein – hält den Atem für vier Sekunden an, atmet langsam aus und hält den Atem wieder für vier Sekunden an. Um die Atmung zu visualisieren, hilft es, sich ein Quadrat vorzustellen, dessen vier Seiten man mit jedem Atemzug abfährt.

Eltern als Vorbild

"Eltern, die gut auf sich selbst und ihre Bedürfnisse achten, sind für Kinder die besten Vorbilder", sagt Natalie Kolbe. Sie lädt beim Mentaltraining mit Kindern deswegen auch immer die Eltern zum Mitüben ein. "Kinder beobachten ihre Eltern sehr genau und ahmen nach: Wie geht mein Vater mit Stress um? Was macht Mama, wenn sie wütend ist?"

Wichtig sei der stetige Austausch mit dem Kind und das Interesse am Kind. Manche Kinder geben mehr von ihren Gefühlen preis, andere sind eher introvertiert. Bei Letzteren sei es wichtig, dass Eltern zeigen: "Ich bin da." Kolbe weiß aus der Arbeit mit Familien, dass viele Kinder vor allem vor dem Schlafengehen anfangen zu quasseln. "Auch wenn alle müde sind, sollten Eltern gerade dann zuhören und über die Gefühle und Gedanken des Kindes sprechen."

Dies würde auch zu einem besseren Schlaf beitragen. Und Eltern hätten die Möglichkeit, Kinder mit positiven Affirmationen zusätzlich zu stärken: "Loben Sie Ihr Kind am Ende des Tages – auch für Kleinigkeiten", sagt Kolbe. Die Mentaltrainerin nennt Beispiele: "Ich fand es sehr schön, dass du heute deinen Teller allein in den Geschirrspüler gestellt hast", "Mir ist aufgefallen, dass du dich heute angezogen hast, ohne dass ich etwas sagen musste", "Toll, wie du heute deine Hausübungen allein gemacht hast".

Der Austausch, der Fokus auf die Stärken des Kindes, die positiven Affirmationen führen laut Kolbe letztendlich häufig auch zu mehr Harmonie und Verständnis innerhalb der Familie. (Nadja Kupsa, 3.12.2023)