DFB-Teamchef Julian Nagelsmann
DFB-Teamchef Julian Nagelsmann drang im Happel-Stadion nicht wirklich zu seinen Spielern durch. Und auch der Griff in die Trickkiste sollte nichts bringen.
REUTERS/LEONHARD FOEGER

Zwei ungewöhnliche Vorfälle binnen kurzer Zeit, und doch eine fast deckungsgleiche Situation. Auch Norbert Wess sind die Parallelen zwischen dem Wiener Fußballderby und dem Ländermatch Österreich gegen Deutschland ins Auge gesprungen. Als stellvertretender Vorsitzender des Bundesliga-Strafsenats hatte er sich sehr eingehend mit dem Derby befasst, in dessen Folge Austria-Trainer Michael Wimmer eine bedingte Sperre für ein Spiel erhielt. Und dann kam am Dienstag im Ernst-Happel-Stadion der deutsche Teamchef Julian Nagelsmann daher und hat Wimmer förmlich kopiert. Auch "sein" Goalie (Kevin Trapp) musste sich verarzten lassen, auf dass der Coach die Gelegenheit bekam, den Feldspielern eine neue Spielausrichtung zu verklickern.

Natürlich gab es einige Unterschiede. Erstens hatte die Austria im Derby am ersten Oktober nach zwei Ausschlüssen nur noch neun Mann auf dem Platz, bei Deutschland waren es nach Leroy Sanés Tätlichkeit immerhin noch zehn. Zweitens brachte die Austria in Unterzahl heroisch ein 0:0 über die Runden, während Deutschland gar nicht heroisch mit 0:2 verlor. Und drittens ist der Strafsenat für freundschaftliche Länderspiele nicht zuständig. Wäre er es, so hätte er sich wohl auch der Causa Nagelsmann-Trapp angenommen. "Denn eine Verletzung vorzutäuschen", sagt Wess, "ist kein Kavaliersdelikt." Im Gegenteil, hier sei ein eindeutiger Verstoß nicht nur gegen den Fairplay-Gedanken, sondern auch gegen Regeln gegeben. Schon in der ORF-Liveübertragung von Österreich gegen Deutschland hatte u.a. TV-Experte Herbert Prohaska die Nagelsmann-Aktion heftig kritisiert.

Glimpflich davongekommen

Die sogenannte ÖFB-Rechtspflegeordnung gilt für die Bundesliga, aber auch für untere Klassen. In Kapitel II heißt es unter Paragraf 111a, Absatz 1: "Wer gegen den sportlichen Anstand, die sportliche Disziplin, die sportliche Integrität oder die Prinzipien des Fairplay bzw. der Sportlichkeit verstößt, kann, sofern dieses Vergehen nicht einen anderen Tatbestand erfüllt, mit folgenden Sanktionen bestraft werden: a) Ermahnung; b) Sperre von 1 bis 12 Pflichtspielen; c) Funktionssperre von einem Monat bis einem Jahr; d) Geldstrafe von bis zu € 15.000,-; e) Austragung eines oder mehrerer Spiele unter Ausschluss eines Teiles oder der gesamten Öffentlichkeit; f) Abzug von Punkten; g) Wettbewerbsausschluss; h) Zwangsabstieg; i) Ausschluss aus dem Verband." So gesehen ist Wimmer, zuvor freilich unbescholten, noch relativ glimpflich davongekommen.

Rechtsanwalt Norbert Wess
Norbert Wess kickte einst in der U21 von Mödling, nach einem Gespräch mit Trainer Hans Krankl wurde er Jurist.
EPA/CHRISTIAN BRUNA

Der ÖFB orientiert sich am "Fairplay-Reglement" des europäischen Fußballverbands Uefa. Im Artikel 7 ("Respekt für den Gegner") wird unter Punkt 7.05 explizit "Simulieren und Vortäuschen einer Verletzung" als "negatives Verhalten" aufgelistet. Noch deutlicher wird der Weltverband Fifa, in dessen Regeln es unter "Verwarnung für unsportliches Betragen" heißt: "Ein Spieler ist wegen unsportlichen Betragens zu verwarnen, wenn er versucht, den Schiedsrichter durch das Simulieren einer Verletzung oder eines angeblichen Fouls (,Schwalbe’) zu täuschen."

"Keine Abstufung"

Dass es sich bei Österreich gegen Deutschland um ein Freundschaftsspiel gehandelt hat, ist für den Juristen Wess völlig nebensächlich. "Da gibt es keine Abstufung. Eine Tätlichkeit wie jene von Sané ist schließlich auch immer eine Tätlichkeit, die mit Ausschluss zu ahnden ist." Andere Trainer würde Wess jedenfalls davor warnen, sich diesbezüglich ein Beispiel an Nagelsmann (und auch Wimmer) zu nehmen. Und Nagelsmann selbst wäre gut beraten, sich ähnliche Aktionen künftig, etwa bei der EM 2024 in Deutschland, zu sparen.

Im Brotberuf ist Norbert Wess (ein renommierter) Strafverteidiger, auf seiner Mandantenliste stehen etwa die Namen Grasser und Karmasin. Dass Fußball sein Steckenpferd ist, kommt nicht von ungefähr, er kickte einst selbst sehr passabel. Bei seinem Stammverein Mödling spielte er in der U21-Mannschaft, Mödling-Trainer war damals ein gewisser Hans Krankl. Der fragte Wess ganz offen: "Was würdest du tun, wenn du bei mir nicht zum Spielen kommst? Was ist die Alternative zum Fußball?" Wess antwortete etwas zögerlich: "Jus studieren." Und Krankl bestärkte ihn sofort: "Super Idee!" Nun gehört Wess seit bereits 17 Jahren dem Bundesliga-Strafsenat an, sein "Spieltag" ist der Montag. Da gibt es fast immer etwas zu tun. Ausschlüsse, Fouls, Rassismus, Beleidigungen, Ausschreitungen, Spielabbrüche - der Fußball hat so viel zu bieten. Neuerdings auch angeordnete Torhüterverletzungen, mit denen Trainer Zeit gewinnen wollen. (Fritz Neumann, 25.11.2023)