Eine Familie mit Mutter, Vater und Kind liegen auf einem Fußboden und lachen
Ist man nur dann eine richtige Familie, wenn man genetisch verwandt ist? Adoptiv- und Pflegeeltern beweisen: nein!
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Kinder oder keine. Recht kann man es niemandem machen. Schon gar nicht, wenn man Ende Zwanzig ist und in Beziehungen steckt. Menschen mit Uterus werden auf "tickende Uhren" aufmerksam gemacht, die mit Samenleiter und Penis sollen sich "um die Fortführung des Stammbaumes kümmern". Wir sind beide Ende Zwanzig und kinderlos. Ja, vielleicht sogar kinderwunschlos. Sicher sind wir uns hierbei: Fragen rund um die Familienplanung sind kein Small Talk. Vor allem dann nicht, wenn Kinder zu bekommen als Muss vorausgesetzt wird. Familie kann vieles sein. Und das ist gut so. Daher machen wir uns auf die Suche nach Familienkonstellationen, die keine genetische Verwandtschaft als Beweis für Zusammengehörigkeit brauchen. Und wir werden fündig.

Adoption – die Lösung?

Adoption ist kein bloßes rechtliches Verfahren oder eine bürokratische Hürde. Sie ist eine emotionale Reise, die im Idealfall in einer lebenslangen Verbindung endet. Von den Händen der Adoptiveltern, die sich liebevoll um ein Kind kümmern, bis hin zu den Flugreisen, die Eltern unternehmen, um Kinder aus weit entfernten Ländern aufzunehmen, zeichnet sich das Bild der Adoption in Österreich durch eine Vielzahl von Facetten aus.

Bei konkreten Umsetzungsversuchen, ein nicht-leibliches Kind aufzunehmen, tendieren viele zur altbewährten Adoption. Dieses Konzept existiert bereits seit Jahrhunderten in verschiedenen, anfangs wenigen, nun stark regulierten Varianten. Die Nachfrage ist groß, das "Angebot" begrenzt. Jährlich bewegen sich die Zahlen von Inlandsadoptionen in den österreichischen Bundesländern im einstelligen bis niedrigen zweistelligen Bereich.

In Österreich werden zumeist anonym geborene oder in Babyklappen abgelegte Kinder zur Adoption freigegeben. Die Entscheidung, ein Kind anonym zur Welt zu bringen oder in einer Babyklappe abzugeben, ist ein komplexer Schritt. Sie ist verwoben mit individuellen Umständen, Ängsten und emotionalen Herausforderungen. Manche Eltern hoffen, ihrem Kind eine bessere Zukunft zu ermöglichen und gleichzeitig ihren eigenen Belastungen zu entkommen. Anderen dient die Anonymität als Schutz vor gesellschaftlichen Erwartungen und Stigmatisierung.

Wartezeit zu lang?

Wie läuft eine Adoption ab? Grundsätzlichen arbeiten die zuständigen Ämter wie etwa Affido (zuständig für den Raum Graz) Hand in Hand. Die private Einrichtung fördert Kinder und Jugendliche in Pflege- und Adoptivfamilien, in Wohngemeinschaften und Familien in herausfordernden Lebenssituationen.

Im Gespräch mit der Abteilung für Familie und Jugend der Stadt Graz werden die ersten Fallstricke deutlich: "Grundsätzlich melden sich Adoptivwerberinnen beim Amt selbst und durchlaufen ein Eignungsverfahren. Gesetzlich ausgeschlossen sind Personen, die das 46. Lebensjahr überschreiten. Außerdem darf der Altersunterschied zwischen Adoptivkind und -elternteil nicht mehr als 45 Jahre betragen", heißt es dort.

Die Wartezeit auf ein Kind beträgt im Schnitt sechs bis sieben Jahre. Das heißt: Wer sich im Alter von 39 Jahren für die Adoption entscheidet, läuft Gefahr, aus der Warteliste zu fallen. Weitere Ausschlusskriterien sind weniger eindeutig. So können sich chronische Krankheiten, Sucht oder psychische Erkrankungen negativ auf die Eignungsprüfung auswirken. Wer es mit der Adoption ernst meint, muss auch verpflichtende Vorbereitungs- und Qualifizierungskurse besuchen. Richard Gröller, zweifacher Adoptivvater und Experte bei Affido: "Die Auseinandersetzung mit der eigenen Motivation ist entscheidend, ebenso wie die Verarbeitung von Frust, Trauer oder Wut über die eigene Kinderlosigkeit."

Ist die Auslandsadoption einfacher?

Eine Inlandsadoption ist langwierig. Oftmals scheitern Beziehungen daran, oder der Kinderwunsch geht anderweitig in Erfüllung. Gröller ist einen anderen, nicht weniger nervenaufreibenden Weg gegangen: die Auslandsadoption. Eine Herangehensweise, die vor einigen Jahren laut der Kinderschutzorganisation Unicef noch boomte. "Der große Unterschied ist, dass man ziemlich auf sich allein gestellt ist", sagt Gröller. "Etwa den Kontakt zu den Behörden vor Ort herstellen, Vorgaben und Einschränkungen prüfen, recherchieren, welche Kinder vermittelt werden, wie lange es dauert und wer die Kontaktpersonen sind." Für den zweifachen Adoptivvater war es zum damaligen Zeitpunkt ein echter Spießrutenlauf zwischen Kinderhandel und sicherer Adoption.

Mit Inkrafttreten des Haager Abkommens 1999 sollte sichergestellt werden, dass grenzüberschreitende Adoptionen zum Wohl des Kindes und unter Wahrung seiner völkerrechtlich anerkannten Grundrechte stattfinden. Es soll Kindesentführung, -handel und -verkauf verhindern und die länderübergreifende Zusammenarbeit der Behörden verbessern. Die Hauptverantwortung lastet weiterhin auf den Schultern der Adoptivwerber. Das Abkommen sichert Kindern jedoch auch die Vermittlung innerhalb eines Landes zu, soweit nicht alle Möglichkeiten erschöpft sind. "Mittlerweile ist es kaum der Fall, dass Babys in ein anderes Land freigegeben werden, wenn sie lokal vermittelbar sind. Allerdings crasht das mit den Vorstellungen von Menschen, die ein Kind retten wollen", sagt Gröller.

Der Zeitgewinn und der Aufwand stehen in einem ungünstigen Verhältnis zueinander. Nach einem anfänglichen Boom folgte ein deutlicher Rückgang. Doch wie könnte eine Lösung aussehen? Es gibt zig adoptierwillige Personen, die jahrelang auf ein Kind warten. Im Fall von Pflegekindern verhält es sich umgekehrt: Sie warten auf Eltern.

Ein Pflegekind aufnehmen

Alle sechs Wochen sitzt eine Betreuerin von Affido bei Familie Huber, die eigentlich anders heißt, am Esstisch. Die Besuche durch Affido oder das Kinder- und Jugendamt sind Routine. Elisabeth und Robert Huber haben zwei Pflegekinder, die beide seit ihrem zweiten Lebensjahr bei ihnen ein Zuhause gefunden haben. "Sie sind an ihren Geburtstagen zu uns gekommen, erinnerst du dich?", fragt Elisabeth quer über den Tisch. Robert grinst und schaut auf den Kühlschrank, an dem Fotos und Zeichnungen der Kinder hängen. Noel wird bald elf, Anna acht.

"Wir haben uns recht spät kennengelernt", leitet Elisabeth, die einen erwachsenen Sohn aus einer früheren Beziehung hat, ihre gemeinsame Geschichte ein. Seit elf Jahren sind sie und Robert ein Paar. "Selbst Kinder zu bekommen war physiologisch nicht mehr möglich. Die erste Überlegung war dann zu adoptieren", sagt Robert. Bei näherer Beschäftigung mit der Thematik kommen sie von der Idee ab. Zu kompliziert. Über das Amt und eine Freundin nähern sie sich der Dauerpflege an. "Es ist ein Prozess", sagt Robert. Gesundheitschecks, Wohnraumbesichtigung, Vorbereitungskurse. Wissen zu rechtlichen und psychologischen Aspekten sowie erster Input zur sogenannten Anbahnungsphase (die Zeit, in der sich Kinder und potenzielle Pflegepersonen erstmals kennenlernen) werden neben behördlichen und administrativen Angelegenheiten besprochen.

Als Elisabeth und Robert im November 2015 erfahren, dass ein kleiner Bub dringend ein stabiles Zuhause braucht, lernen sie Noel im Jänner erstmals kennen. Die Anbahnungsphase beginnt. Über sechs Monate hinweg besucht das Paar den Buben und begleitet ihn und seine Krisenpflegefamilie bei Ausflügen. Rasch wird klar: "Ja, das ist unser Kind", sagt Elisabeth. Und sie ist sich sicher, dass auch Noel sich für die Hubers entschieden hätte. Dennoch war es eine unangenehme Situation, den damals zweijährigen Buben nach einem Jahr aus der Krisenpflegefamilie zu nehmen. Er hatte die Krisenpflegeeltern sehr lieb gewonnen, sie bereits Mama und Papa genannt.

Eltern für die Krise

"Wer Krisenunterbringungen macht, der hat einen schweren Job", sagt Uli Reimerth, Geschäftsführerin und Fachbereichsleiterin für Soziale Elternschaft bei Affido. "Die Krisenpflegeeltern müssen immer zur Verfügung stehen und bekommen in der Steiermark nur Geld, wenn ein Kind bei ihnen lebt." Pro Kind bekommen sie für Dokumentation, Arbeit mit den Sozialarbeiterinnen usw. einen freien Dienstvertrag für rund 590 Euro brutto pro Kind und Monat. "Diese Rahmenbedingungen bringen die Wertigkeit nicht zum Ausdruck", kritisiert Reimerth.

In anderen Bundesländern, etwa in Wien oder Oberösterreich, haben Krisenpflegefamilien bereits die Möglichkeit, sich anstellen zu lassen. Sie beziehen laufend ein Gehalt (etwa 1.000 bis 1.500 Euro), egal ob sie ein Kind pflegen oder nicht. In ganz Österreich werden Krisenpflegeeltern seit vielen Jahren dringend gesucht. Die Anstellung und das laufende Gehalt sollen ein Anreiz sein, damit mehr Menschen diesen wichtigen Job machen.

Steiermarkweit gibt es derzeit rund 400 Dauerpflegefamilien und 110 familienpädagogische Pflegestellen. Zum Vergleich: In der Bundeshauptstadt Wien sind es rund 800 Pflegefamilien. Im Gegensatz zu Krisenpflegefamilien, die Kinder nur für Wochen oder ein paar Monate pflegen, übernehmen Langzeitpflegeeltern Kinder, bis sie groß sind. Reimerth betont: "Die leiblichen Eltern haben aber immer das Recht, die Rückgabe des Kindes zu beantragen." Für die Pflegeeltern bedeutet das, dass sie sich eventuell von dem Pflegekind wieder trennen müssen, wenn die Herkunftsfamilie es in einem gewissen Zeitraum schafft, sich wieder selbst um das Kind zu kümmern.

"Im Österreich-Vergleich stehen wir in der Steiermark an der ersten Stelle, was die Anzahl der fremduntergebrachten Kinder in Pflegefamilien betrifft. Das heißt aber nicht, dass es nicht besser sein könnte", sagt Reimerth. Für sie ist Dauerpflegschaft die beste Alternative, wenn Kinder nicht in ihren Herkunftsfamilien bleiben können – was unterschiedliche Gründe haben kann: Verwahrlosung, Suchterkrankung der Eltern, Inhaftierung, aber auch sexualisierte Gewalt.

Langzeitpflegefamilien

Noel wurde mit vier Wochen erstmals aus seiner Herkunftsfamilie genommen und bei einer Krisenpflegefamilie untergebracht. Die Rückführung zu seinen leiblichen Eltern basiert auf dem Versprechen, einen Entzug zu machen, den die Eltern abbrechen. Beim zweiten "Gefahr in Verzug"-Alarm wird Noel erneut entzogen. Uli Reimerth betont: "Das Wesentliche in der Pflegeplatzunterbringung ist, die Übergänge für die Kinder gut zu gestalten. Beim Übergang von einer Krisen- in eine Dauerpflegefamilie ist die Krisenpflegefamilie sehr wertvoll, da sie die Kinder meist schon gut kennen. Dieser Phase muss genug Zeit gegeben werden. Das erhöht auch die Erfolgschance für die Dauerpflegschaft."

Eigentlich sollen Kinder nicht mehr als sechs Monate in Krisenunterbringung verbringen, damit keine engen familiären Beziehungen aufgebaut werden. Doch bei anhängigen Gerichtsverfahren oder anderen Verzögerungen kann es weitaus länger dauern. Noel und Anna verbrachten etwa ein Jahr bei der Krisenfamilie. Reimerth: "Es wäre verrückt zu sagen, dass da keine Beziehung entsteht!"

Pflegekinder müssen per gerichtlichem Beschluss weiterhin Kontakt mit ihren leiblichen Eltern haben. Soweit das möglich ist. "Noels Eltern haben die geregelten Besuchskontakte nicht eingehalten. Beide sind alkoholkrank", erzählt Elisabeth, die Pflegemutter. Keine Entschuldigung, aber eine Erklärung. Vor ein paar Jahren verstirbt Noels biologische Mutter. Den leiblichen Vater sieht er ein- bis zweimal pro Jahr. Robert: "Wir haben den Kontakt außergerichtlich geregelt. Wenn es nach Noel geht, sind wir seine Eltern."

Die ersten beiden Jahre mit Noel vergehen schnell. Als er fünf wird, entscheidet sich das Paar, ein zweites Pflegekind aufzunehmen. "Noel hat einen kleinen Bruder bestellt", lacht Elisabeth. Dabei ist das gar nicht so abwegig. Bei der Bewerbung um Pflegekinder können sowohl Alter und Geschlecht als auch andere Merkmale wie etwa körperliche Behinderung ausgewählt werden. Uli Reimerth: "Grundsätzlich schaut man, dass nachkommende Kinder jünger sind. Die Familien sollen mit den Kindern mitwachsen. Größere Kinder sind oft schon sehr geprägt."

"Ich wünschte, ich wäre in deinem Bauch gewachsen!"

"An den Moment, als wir erfahren haben, dass wir Anna bekommen, erinnere ich mich so gut! Im Auto, mit dem schlafenden Noel auf der Rückbank, haben sie uns am Telefon gesagt, dass ein kleines Mädchen auf uns wartet", sagt Elisabeth. Der biologische Vater ist nicht greifbar, die leibliche Mutter psychisch instabil. Doch die Treffen fordert sie vehement ein. Elisabeth: "Anna sieht ihre Mama einmal im Monat für circa eine Stunde. Und die kann echt lange dauern."

Die Besuchskontakte regelmäßig aufrechtzuerhalten wird immer schwieriger. Anna muss ihre leibliche Mutter treffen, doch sie wehrt sich zunehmend dagegen. Auch Uli Reimerth kennt solche Situationen – ihrer Aussage nach fehlt es an Herkunftsfamilienarbeit: "Leibliche Eltern kommen häufig sehr langsam zur Erkenntnis, dass es nur darum geht, das Beste für das Kind zu wollen."

Nicht immer sind die Treffen mit der Herkunftsfamilie das Beste für das Kind. Die Pflegemutter erzählt: "Wir hatten einen Tag, an dem ich Anna schreiend ins Auto gesetzt habe, um sie zum Treffen zu bringen." Anna will nicht. Sie bezeichnet sich selbst nicht als Pflegekind – wird sie in der Schule nach ihrer Familienkonstellation gefragt, erzählt sie stolz, adoptiert zu sein. "Mama, warum heißt das Pflegekind? Ich bin doch kein Pferd!" – mit dieser Frage setzen sich Anna und Elisabeth immer wieder auseinander. Auf die Erklärungsversuche kommt dann meist die Antwort: "Ich wünschte, ich wäre in deinem Bauch gewachsen!"

Ignorieren wollen und können Elisabeth und Robert Annas Herkunft nicht. Auch wenn die Besuchskontakte und Erklärungen sehr fordernd für alle sind: "Ich glaube, es ist wichtig, dass Anna hin und wieder damit konfrontiert wird, wer ihre leibliche Mutter ist. So entsteht kein Fantasiebild von einer perfekten Mama, die irgendwo sitzt und sie einfach nicht will."

Adoption erst mit 18 Jahren möglich

Auf dem Papier besteht immer die Möglichkeit, Pflegekinder in ihre Herkunftsfamilien rückzuführen. Ein Thema, über das Pflegepersonen nicht gerne nachdenken. Zumindest Robert blendet es mit aller Kraft aus: "Die Angst, dass Anna irgendwann den Vater sucht und zu ihm will, ist da. Aber man muss davon ausgehen, dass so was nicht passiert. Sonst kann man sich nicht auf die Kinder einlassen!"

Wie wahrscheinlich eine solche Rückführung ist, kommt auf die familiären Umstände an. Häufig kommt es nicht vor. Weder bei Anna noch bei Noel scheint dies eine echte Option zu sein. Was aber feststeht: Mit dem Vollenden des 18. Lebensjahres endet das Pflegeverhältnis. Danach können Pflegekinder adoptiert werden. Eine Adoption von minderjährigen Kindern in Dauerpflegschaft scheitert meist an den Herkunftsfamilien, die um das Rückerlangen der Obhut kämpfen und sich das Recht auf Kontakt nicht nehmen lassen wollen.

Besuchskontakte sind in Adoptionsverhältnissen nicht vorgesehen. Elisabeth und Robert wünschen sich, Noel und Anna zu adoptieren, damit die familiäre Verbundenheit auf dem Papier auch nach dem Ende der Pflege weiterbesteht. Sofern sich die Kinder das auch wünschen, versteht sich. "Auch was unsere Namen betrifft, wollen wir die Kids entscheiden lassen. Im Moment haben wir alle unterschiedliche Nachnamen. Wenn es für die Kinder mal wichtig werden sollte, werden wir uns schon auf einen Namen einigen", sagt Elisabeth.

Kinderwunsch bei gleichgeschlechtlichen Paaren

Bislang lag der Fokus der Recherche auf kinderlosen Hetero-Pärchen. Wie kann die Erfüllung des Kinderwunsches bei gleichgeschlechtlichen Paaren aussehen? Vor dem Med-Uni Campus (Graz) treffen wir Hedy (die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will). "Kinder waren für mich eigentlich nie ein Thema. Wenn man in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt, passiert es eben nicht mal so." In der Tat sind gleichgeschlechtliche Paare zu einer "geplanteren" Herangehensweise gezwungen.

Nach einer Reise ans sprichwörtlich andere Ende der Welt – Neuseeland – war für Hedy und ihre Partnerin die Entscheidung klar: Wir wollen ein Kind. "Den Wunsch, ein Kind auszutragen, gab es bei uns nicht." Also keine künstliche Befruchtung. Adoption war aufgrund des Alters keine Option. Letzte Alternative: ein Pflegekind.

Vier Jahre nach dem Entschluss und viel Vorbereitung später kommt ein dreijähriges Mädchen aus einer schwierigen Zeit in Krisenpflege zu Hedy und ihrer Partnerin. Wenn davon die Rede ist, dass Menschen stets einen Rucksack an Erfahrungen mit sich tragen, so ist der Rucksack der dreijährigen Hannah schon jetzt prall gefüllt. Auch Hannah heißt aus Datenschutzgründen in Wirklichkeit anders. Zu lange hat sie physische und psychische Gewalt sowie Vernachlässigung ertragen müssen.

In der Anbahnungsphase besprechen Pflegepersonen mit ihren Betreuerinnen alle potenziellen Herausforderungen wie Gesundheitsprobleme oder Entwicklungsverzögerungen. Anschließend folgen Einschätzungen und die Betrachtung der eigenen Belastbarkeit. Hedy und ihre Partnerin scheinen für Hannah das perfekte Match zu sein. "Im Austausch mit der zuständigen Sozialarbeiterin wurde schnell klar, dass ein Kind mit Gewalterfahrungen durch Männer gut in unseren Haushalt passt. Immerhin ist kein Mann vorhanden", erklärt Hedy.

Die mit den drei Mamas

Die Folgen der frühen Kindheit trägt Hannah aber mit sich. Mithilfe des organisatorischen Unterstützungsangebots des Amtes und von Affido besuchte das Mädchen Anfangs die Frühförderung – ein Angebot zur Unterstützung von Kindern ab dem Babyalter und ihrer Familien mit Entwicklungsverzögerungen, ADHS, ASS, Verhaltensauffälligkeiten und vielen anderen Diagnosen. Finanzielle Unterstützung bekommt die Familie nicht. Der Grund: eine föderalistische Hürde. "Wir beantragen alles, die Stadt Graz ist prinzipiell sehr großzügig. Bekommen tun wir aber nix, da Hannah aus Kärnten stammt, wodurch länderüberschreitende Differenzen vorherrschen", sagt Hedy.

Die monatlichen Treffen mit der "Bauchmama", wie Hannah ihre biologische Mutter nennt, verlaufen gut. Kontakt zum leiblichen Vater gibt es keinen. Mittlerweile ist sie eben die, die drei Mamas hat. Neben der "Bauchmama" trifft Hannah auch regelmäßig auf ihre drei leiblichen Geschwister. So lebt ihre jüngste Schwester bei der leiblichen Mutter, die anderen beiden leben bei einer Adoptivfamilie. Ein familiäres Netzwerk ist also gegeben. Anders als üblich, aber ebenso richtig. Von wegen Blut sei dicker als Wasser. Hedy und ihre Partnerin sind vom Gegenteil überzeugt: "Seitdem Hannah erstmals bei uns übernachtet hat, war uns klar: Das ist unser Kind." (Claudio Niggenkemper, Nadine Mousa, 29.11.2023)