Geiseln Hamas
Ein Hubschrauber brachte freigelassene Geiseln der Hamas in ein Krankenhaus.
AP/Ohad Zwigenberg

Avigail, Emily und Ohad sind nur drei jener Kinder, die in den vergangenen Tagen den Menschen in Israel die Tränen in die Augen trieben, als sie nach mehr als 50 Tagen in der Gewalt der Hamas endlich nach Hause zurückkehren durften und ihren Angehörigen in die Arme fielen – denen, die nicht ermordet wurden. Jeden Abend begann das Zittern von neuem, ob die Hamas ihren Verpflichtungen nachkommen würde.

Am Samstag zeigte die Terrorgruppe, dass sie mit diesem Bangen allzu gern spielt. Während die Raketen schweigen, läuft die psychologische Kriegsführung der Hamas auch in der Waffenruhe auf Hochtouren. Stundenlang musste Israel am Samstag auf die Geiseln warten, Regierung und Armee standen machtlos da. Erst als Ägypten einschritt, klappte es – mit sechsstündiger Verspätung und in klarem Bruch der Vereinbarung, da zwei der minderjährigen Geiseln von ihren Angehörigen getrennt worden waren. Die Hamas machte klar: Ihr könnt Gaza in Schutt und Asche legen – wir haben immer noch das Sagen.

Der Deal Israels mit der Hamas war wichtig, um Geiseln zu befreien, Zivilisten in Gaza ein paar Tage der Ruhe zu verschaffen und dringend benötigte Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu bringen. Trotzdem hilft er der Hamas, sich längerfristig zu stabilisieren.

Aufwärtskurs der Hamas

Der Aufwärtskurs der am 6. Oktober in Gaza noch weitgehend unpopulären Radikalislamisten hat zwar schon am 7. Oktober begonnen: Viele Palästinenser und propalästinensische Kräfte sahen nur allzu gern über die Gräuel, die Folter und die Massenmorde hinweg, um zu feiern, dass Palästina in der globalen Wahrnehmung wieder auf der Landkarte erschien. Plötzlich sprachen alle wieder über das Volk ohne Staat, das längst auch von der arabischen Welt ignoriert worden war. Dass dafür ein Genozid in Israel begangen und ein Krieg angezettelt wurde, der bereits tausende palästinensische Kinder das Leben gekostet hat, wird in einem Denkschema, das außer Unterdrückern und Widerstandskämpfern nichts kennt, stillschweigend in Kauf genommen.

Die Waffenruhe gab nun tausenden Menschen in Gaza die Gelegenheit, den verwüsteten Norden zu besuchen. Die Bilder der Bombenruinen werden von der Hamas benutzt, um in Gaza ihr zuvor beschädigtes Image zu sanieren: Nicht wir sind es, die euch das Leben zur Hölle machen – sondern Israel.

Im Westjordanland und in Ostjerusalem wiederum sind es die freigelassenen Häftlinge, die der Terrororganisation auch bei Hamas-Skeptikern Pluspunkte bringen. Man darf den Symbolwert nicht unterschätzen: Israelische Gefängnisse werden als mindestens so mächtiges Werkzeug der Unterdrückung gesehen wie Trennmauern und Checkpoints. Wenn nun 300 Palästinenser, die mehrheitlich nicht gerichtlich verurteilt wurden, wieder in Freiheit sind, dann feiert man nicht nur ihre Freiheit, sondern auch jene, die sie möglich gemacht haben – wie viel Kinderblut dafür auch geflossen ist. Umso mehr, wenn die Alternative zur Hamas eine korrupte Fatah-Regierung ist, die mit den Israelis kooperiert.

Israels Armee setzt alles daran, die Hamas in Gaza zu bezwingen. Im Westjordanland, wo die Mehrzahl der Palästinenser zwischen Mittelmeer und Jordanfluss lebt, ist die Terrorgruppe aber längst auf dem Vormarsch. (Maria Sterkl, 27.11.2023)