Unser Bildungssystem ist veraltet, zu teuer und ungerecht. Das sind keine Neuigkeiten, das ist ein Zustand, der seit Jahrzehnten diskutiert und analysiert wird. Jeder innovative Vorschlag, der hier Abhilfe schafft, ist willkommen. Der neueste Einwurf kommt von AMS-Chef Johannes Kopf. Der Arbeitsmarktexperte fordert, dass alle Schulen danach bewertet werden sollten, wie gut sie ihre Schülerinnen und Schüler "auf das Leben vorbereiten". Bereits vor zehn Jahre soll Kopf seine Idee im Bildungsministerium vorgetragen haben, stieß dort aber auf taube Ohren.

In Wien ist es längst bekannt, was eine "gute" und was eine "schlechte" Schule ist.
Christian Fischer/Der Standard

Kopf hat konkrete Vorschläge, wie die Evaluierung vonstattengehen soll. Die bereits vorhandenen Bildungslaufbahndaten können zum Beispiel Aufschluss darüber geben, wie viele Absolventen einer Schule später arbeitslos werden, ob und welches Studium sie abschließen und wie viel sie in ihren Jobs verdienen. Die Auswertung dieser Daten würde allerdings, auch wenn Kopf das anzweifelt, zunächst einmal den Status quo bestätigen.

Der Status quo

Ein Döblinger Gymnasium oder eine private Eliteschule würde, nach den oben genannten Kriterien, dabei als Schule, die "besser aufs Leben vorbereitet", abschneiden. Denn derzeit landen an diesen Schulen ohnehin jene Schülerinnen und Schüler, die aus der kaufkräftigen Umgebung der Schulen kommen, finanziell besser gestellte und besser ausgebildete Eltern als der Durchschnitt haben. Die "Vorbereitung fürs Leben", oder besser gesagt die erfolgreiche Berufskarriere, leisten hier nicht die Schulen, sondern oftmals der familiäre Hintergrund.

Noch immer landen mehrheitlich jene Kinder im Gymnasium und später auf einer Universität, die aus Akademikerhaushalten stammen. Bildungsaufstieg ist in Österreich keine Selbstverständlichkeit. Nachhilfeunterricht hingegen schon. Die Defizite des Bildungssystems werden durch privaten Lernhilfe ausgeglichen, und diese kostet. Damit sind Kinder aus finanziell schlechter aufgestellten Familien erneut im Nachteil. Auch wenn diese Regeln in den letzten Jahren etwas aufgeweicht wurden, bescheinigten uns internationale Vergleichsstudien, wie der Bericht "Chancengleichheit in der Bildung" der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), vor Corona ungleiche Verteilung der Chancen im Bildungsbereich. Diese Kluft wurde, so eine Studie aus Deutschland, in den Jahren der Pandemie vertieft.

Der AMS-Chef ist sich dieser Benachteiligung natürlich bewusst und schlägt auf X (vormals Twitter) folgende zusätzliche Erhebungen vor: "Damit ein fairer Vergleich möglich ist, müssten diese "harten" Ergebnisse noch mit existierenden soziodemografischen Daten (z. B. Bildungsstand der Eltern, Muttersprache usw.), wahrscheinlich auch sonstigen Rahmenbedingungen, z. B. regional, gewichtet werden." Aber diese zusätzliche Gewichtung würde lediglich bereits bekannte Zustände, die in der Hauptstadt herrschen, bestätigen: Es gibt Brennpunktschulen in Bezirken mit hohem Migrantenteil, beziehungsweise in Gegenden mit niedrigem Durchschnittseinkommen. Und dann wiederum gibt es Schulen, öffentliche wie private, die sich ausschließlich auf das Erreichen pädagogischer Ziel konzentrieren können und keine sozialen Probleme ausbalancieren müssen. Diese Schulen werden von Bildungseliten oder Kindern aus finanziell bestens gestellten Familien besucht.

Seine Forderung nach dem Ranking unterstreicht Kopf auch mit dem Argument, dass eine Auswertung eine Entscheidungshilfe für Eltern wäre. Doch auch ohne ein Ranking, das nach einer derartigen Evaluierung öffentlich zugänglich wäre, ist unter den Wiener Eltern bekannt, wo die "guten Schulen" zu finden sind. Je nach Kontext spricht man seit Jahrzehnten mehr oder weniger offen darüber, dass Schulen mit hohem Migrantenanteil "nicht infrage kommen". Nicht wenige Familien gehen sogar so weit, sich für eine kurze Zeit umzumelden, um im Einzugsgebiet der "richtigen Schule" zu sein.

Brennpunktschulen leisten mehr

Spannend ist aber die hoffnungsvolle Prognose mit der Kopf in der "Kleinen Zeitung" zitiert wird: "Es kann durchaus sein, dass ein Döblinger Gymnasium, das viele ausgezeichnete Studenten hervorbringt, in Wirklichkeit gar nicht besser ist als jene Floridsdorfer Schule, die mit einem hohen Anteil an Kindern aus bildungsfernen Familien oder mit Migrationshintergrund in Wirklichkeit Unglaubliches leistet."

In den sogenannten Brennpunktschulen wird tatsächlich bereits Unglaubliches geleistet und von den Lehrkräften und den Schülern und Schülerinnen Unglaubliches verlangt. Doch das bleibt unbemerkt. Diesen Umstand zu evaluieren, in Zahlen zu gießen und daraus Schlüsse zu ziehen, wäre tatsächlich ein lohnenswertes Unterfangen. In Schulen mit Kinder aus bildungsfernen Familien sind Lehrerinnen und Schülerinnen oft mir mannigfaltigen Problemen alleingelassen: Armut, interkulturelle Konflikte, Diskriminierung. Ob begabte und fleißige Kinder aus sogenannten Brennpunktschulen erfolgreich Berufskarrieren oder einen Universitätsabschluss schaffen, hängt oft von einzelnen engagierten Lehrkräften ab. Aus den eigenen Familien haben diese Kinder bestenfalls emotionale Unterstützung zu erwarten, andere Ressourcen, wie Unterstützung bei den Hausaufgaben, teure Nachhilfe, Sprachunterricht oder Auslandsaufenthalte, können die Eltern nicht zur Verfügung stellen.

Statt weiterer Evaluierungen bereits bekannter Umstände und Missstände wäre endlich eine Modernisierung und Reform des Bildungssystems fällig. Eine Gesamtschule, die allen Kindern das gleiche Bildungsangebot bis zum 14. Lebensjahr gewährleistet, schafft mehr Chancengleichheit. Ebenso wie flächendeckende Ganztagsschulen, die ohne Hausaufgaben auskommen. Besondere Bildungsangebote und spannende Schwerpunktsetzungen an Brennpunktschulen könnten die Ghettoisierung verhindern und auch für Akademikerkinder interessant werden. Das sind Maßnahmen, deren positive Auswirkungen längst bekannt sind und die Österreich seit Jahrzehnten verschläft. (Olivera Stajić, 30.11.2023)