Am Freitag setzt Vera Russwurm den Schlusspunkt unter ihr Talkformat "Vera". Im Interview mit dem STANDARD blickt sie nach vorne und zurück.

STANDARD: Am Freitag, 1. Dezember, steht Ihre letzte "Vera"-Sendung auf dem Programm. Überwiegt das lachende oder das weinende Auge?

Russwurm: Das lachende Auge. Ich freue mich darauf, wieder eine Show mit Publikum zu machen. Wir hatten das seit Corona nicht mehr. Heuer im Sommer ist es mir wieder bewusst geworden: 45 Jahre ORF, das ist eine lange Zeit. Diese Entscheidung aufzuhören ist mir nicht leichtgefallen, sie ist aber auch eine Erleichterung.

Vom
Vom "Tritsch-Tratsch-Girl" bis zu "Vera": ORF-Talkerin Vera Russwurm.
Foto: ORF/Günther Pichlkostner

STANDARD: Was hat die Entscheidung herbeigeführt oder beschleunigt?

Russwurm: Einfach meine Gedanken über das Leben und die Lebensabschnitte und wie viel Zeit noch bleibt, um kraftvoll miteinander die Welt zu durchreisen, im übertragenen Sinn gesprochen. Es gibt auch abseits der Arbeit noch andere schöne Dinge, die ich mit meinem Mann und mit meiner Familie machen möchte. Und ich möchte nicht aufhören zu arbeiten.

STANDARD: Der ORF hat angekündigt, dass Sie in irgendeiner Form bleiben sollen.

Russwurm: Ich freue mich sehr, wenn der ORF tatsächlich, so wie angekündigt, mir einzelne Shows anbietet und ich das eine oder andere Event moderieren kann. ORF-Chef Roland Weißmann hat sehr schnell reagiert und von einem Angebot gesprochen, das ich nicht abschlagen kann, was ich wirklich super finde. Grundsätzlich will ich nicht mehr in diesem Korsett der wöchentlichen Produktion sein. Irgendwann muss man aufhören und ich möchte nicht rausgetragen werden, weil ich umgekippt oder tot bin. Das Publikum will einen noch sehen, es macht noch Spaß, insofern ist der Zeitpunkt gut, auch wenn es mir schwerfällt. Es ist nicht die Wiederholung des Immerselben, sondern es gibt aus meiner Sicht nichts Spannenderes, als die Wege einzelner Menschen zu beleuchten.

STANDARD: Haben die Quoten auch eine Rolle gespielt?

Russwurm: Man muss alles in Relation zum Budget sehen, das wir haben. Mit der Quotenentwicklung bin ich zufrieden. Natürlich ist es nicht mehr so, wie es einmal war. Ich kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Als ich begonnen habe, gab es ORF 1 und ORF 2 und sonst de facto nichts. Mittlerweile existieren viele anderer Sender, Streamingdienst und die Konkurrenz durch das Internet. Die Quoten sind nicht der entscheidende Punkt.

STANDARD: Aber kratzt das nicht etwas am Ego?

Russwurm: Nein, überhaupt nicht. Ich kann nicht aus der Zeit fallen. Und man muss sich natürlich auch die budgetäre Situation unserer Sendung anschauen, ohne jetzt Zahlen nennen zu wollen. Ein Format wie "Wetten, dass...?" hat zehnmal so viel Budget wie wir oder noch viel mehr. Grundsätzlich haben alle Sender viel weniger Geld als früher.

STANDARD: Apropos "Wetten, dass...?": Thomas Gottschalk hat auch aufgehört. Sie haben zeitgleich mit ihm begonnen, Hauptabendshows zu moderieren.

Russwurm: Das stimmt. Bevor wir beide begonnen haben, Hauptabendshows zu moderieren, waren wir gleichzeitig in einer bayerischen Jugendsendung eingeladen - als quasi künftige Fernsehgrößen von Österreich und Deutschland. Gottschalk war zuerst länger beim Radio und älter, als er auf Fernsehen umgestiegen ist, deswegen diese Parallelität.

STANDARD: Sie sind seit 45 Jahren im ORF. Wenn Sie auf ihre Anfangszeit 1978 zurückblicken: Fernsehen war komplett männerdominiert. Wie war es, diese Domäne aufzubrechen?

Russwurm: Es war vor und hinter den Kulissen total männerdominiert. Vor den Kulissen gab es nur die sehr populären Fernsehsprecherinnen, die Ansagerinnen. Dazu zählte zum Beispiel Chris Lohner, die man heute noch kennt durch die ÖBB-Werbung, oder Ingrid Wendel. Sonst gab es praktisch keine jungen Frauen im österreichischen Fernsehen. Caterina Valente war als Sängerin und Künstlerin im Einsatz, sonst waren da nur Hans-Joachim Kulenkampff oder Rudi Carrell.

"Tritsch Tratsch" mit Vera Russwurm und Josef "Joki" Kirschner.
ORF

STANDARD: Sie haben bereits im Alter von 25 Jahren Hauptabendshows moderiert, das ist schon sehr früh.

Russwurm: Das war sehr früh. Vorher habe die Jugendsendung Okay moderiert, und danach mit Hallo Fernsehen die erste Hauptabendsendung. ZDF-Unterhaltungschef Wolfgang Penk hat mich dort gesehen und sich beim ORF gemeldet. Und so kam es, dass Hans-Jürgen Bäumler und ich die ZDF-ORF-Koproduktion Was wäre wenn moderiert haben. Das war eine Livesendung, die abwechselnd aus Deutschland und Österreich gekommen ist. Es war eine Riesenherausforderung. Ich war nervös, es hat mir aber wahnsinnig getaugt. In Österreich haben zwei oder zweieinhalb Millionen Menschen zugesehen, in Deutschland waren es circa sieben bis acht Mal so viele. Als ich mit meinem ersten Kind schwanger wurde, habe ich für mich beschlossen, damit aufzuhören, weil ich dachte, dass dieser Adrenalinkick nicht gut ist fürs Kind. Das war aber schon eine wirklich coole Sache. Darauf bin ich wirklich stolz.

"Was wäre wenn" mit Vera Russwurm und Hans Jürgen Bäumler.
ORF

STANDARD: Worauf noch?

Russwurm: Dass ich die Erste war, die 1984 den Sender 3sat eröffnen durfte. Das war ein Zusammenschluss zwischen SRG, ZDF und ORF - nach einem Wunsch und der Idee des langjährigen ORF-Generals Gerd Bacher. Darauf bin ich stolz.

STANDARD: War bei Ihnen auch ein feministischer Ansatz im Spiel, in die Männerdomäne TV eindringen zu wollen?

Russwurm: Nein, überhaupt nicht. Ich hatte keinerlei diesbezügliche Ambitionen, sondern ich bin einfach meinen Weg gegangen. Die Zeit war ja im Aufbruch, es hat sich ja sowieso viel getan. Ich habe mich nicht als Vorreiterin gesehen, die jetzt die Lanze bricht, wenngleich es im Rückblick wohl so war. Heute ist es nur eine Randnotiz, aber ein großes Thema war damals meine Schwangerschaft. Das hat polarisiert. Ich habe es halt so gehalten, wie es mir meine Oma gesagt hat: Schwangerschaft ist keine Krankheit, arbeite weiter. Ich fand es auch völlig normal und ich hatte ja auch Gott sei Dank drei unproblematische Schwangerschaften. Viele Leute haben das aber nicht so normal oder gut gefunden und gefragt: Was macht die mit dem dicken Bauch am Schirm? Das gehört zum Leben dazu.

STANDARD: Gab es einen Gast, den Sie gerne in der Sendung gehabt hätten, aber nicht bekommen haben?

Russwurm: Das wäre zu einer bestimmten Zeit Hillary Clinton gewesen. Mich hat diese Frau einfach in ihrem absurden Ehrgeiz wahnsinnig interessiert und wie sie so eine öffentliche Demütigung wegsteckt. Wir haben es aber gar nicht probiert. Und ich würde es auch heute nicht machen. Mehr als acht Minuten ein englisches Gespräch führen mit Overvoice? Da schalten die Leute weg, das ist zu lange. Monica Lewinsky hatten wir übrigens über eine Schaltung acht Minuten lang in der Sendung.

STANDARD: Und gab es einen Gast, auf den Sie besonders stolz waren?

Russwurm: Da gibt es wirklich viele und ich möchte keinen Einzelnen herausgreifen. Nicht-Prominente sind immer genauso wertvoll gewesen wie Prominente und deren Geschichten waren manchmal auch interessanter. Ein Höhepunkt war die Millenium-Show zum Jahrtausendwechsel. Wir haben zwei Welten aufeinanderprallen lassen. Die Welt von gestern und die Welt von morgen. Wir hatten über 100-Jährige da, den zweiten Mann am Mond, Buzz Aldrin oder Otto von Habsburg, den Sohn des letzten Kaisers.

STANDARD: Sie waren ja immer wieder mal mit dem Vorwurf des Voyeurismus konfrontiert, etwa als die Eltern des Briefbombenbauers Franz Fuchs auf Bombenopfer trafen.

Russwurm: Ja, ja, wer sagt das? Sogar der Kurier hat damals geschrieben, dass es eine Sternstunde des Fernsehens war. Es war großartig und nur so habe ich es auch wahrgenommen. Da konnten die Eltern und der Bruder von Franz Fuchs, die das alles nicht wussten, stellvertretend bei einigen der Opfer um Vergebung bitten. Es war sogar ein Roma da, obwohl vier Roma getötet worden waren. Also wenn das nicht großartig ist! Die Mutter von Franz Fuchs hat geweint, weil sie so erleichtert war, dass sie einige der Opfer, eine davon war eine Flüchtlingshelferin, umarmen konnte. Das war so großartig und dieser Vorwurf ist einfach total falsch.

STANDARD: Und aus Ihrer Sicht gab es zu dieser Geschichte keine Kritik oder den Vorwurf des Voyeurismus?

Russwurm: Nein, ich habe zu dieser Geschichte keine Kritik wahrgenommen. Wenn eine Sendung so breit und so groß ist, dann gibt es natürlich immer etwas zu kritisieren. Wenn man nichts findet, dann kritisiert man mein Gewand. Das ist auch kritisiert worden. Also irgendwas findet man immer. Zum Beispiel den abrupten Übergang zwischen traurig und lustig. Wurscht. Zurück zur Fuchs-Geschichte: Was ich in einem Übermaß wahrgenommen habe, waren sehr positive Reaktionen von außen. Das Entscheidende ist doch: Wie geht es meinen Gästen? Was wir bezwecken wollten, ist gelungen. Sie haben sich danach bedeutend besser und erleichtert gefühlt. Also, das ist toll gewesen, aber man kann immer alles schlecht machen. Und der STANDARD hat das liebend gerne bei mir gemacht.

STANDARD: Welche Sendung würden Sie heute nicht mehr machen?

Russwurm: Kaum eine. Vielleicht würde ich jenes Elternpaar nicht mehr einladen, das ihr Kind gegen Geld an den Onkel verborgt hat. Wir wollten zeigen, welche Auswüchse so etwas annehmen kann. Die Eltern waren zwar voller Scham, sie haben aber fast nichts gesagt. So wurden die Motive nicht offengelegt und die Botschaft ist nicht angekommen, wie wichtig es ist, dass die Nachbarn und andere Mitglieder der Familie hinschauen und eben nicht schweigen. Also, das würde ich nicht mehr machen, wenn ich das Ergebnis schon weiß, dass sie eh fast nichts sagen. Aber wie kann man das wissen?

Wir haben das Thema des sexuellen Missbrauchs als erstes großes Medium massiv thematisiert. Die Hauptproblematik war damals die Verjährungsfrist von nur zwei Jahren, so kann man niemals die Täter zur Verantwortung ziehen. Bis Kinder oder junge Frauen begreifen, dass nicht sie die Schuldigen sondern das Opfer sind, dauert das ja. Es vergehen oft Jahre oder Jahrzehnte. In den letzten 25 Jahren ist zum Glück sehr viel passiert. Es gibt viele Anlaufstellen.

STANDARD: In einem STANDARD-Interview vor ein paar Jahren hatten Sie auch gesagt, dass Sie zum Beispiel die Geschichte über ein Paar auslassen würden, das immer Sex hatte, wenn die Mutter anrief. Sie schlug dann dem Paar vor, dass sie damit doch Geld verdienen sollten.

Russwurm: Naja, da ist ja nichts Schlechtes dran. Warum soll man das nicht machen? Das finde ich extrem ungewöhnlich, dass eine Mutter einem Ehepaar, das einfach Spaß am Sex hat, diesen Rat gibt und die erzählen das lachend. Ich finde das witzig. Ich meine, es ist eher sehr außergewöhnlich. Sex gehört zum Leben dazu wie Essen. Entschuldigung. Ich würde das Thema wieder machen. Es ist lustig und positiv. Die genießen ihr Leben mit Sex und die Mutter sagt, dann macht das doch zu Geld. Das ist das Ungewöhnliche daran. So, why not! Eine Talkshow soll auch Geschichten bringen, die besonders sind. Bei einem ist es der Beruf, beim anderen der Vorschlag der Mutter.

STANDARD: Die Kritik ist ja auch so weit gegangen, dass im Jahr 1997 Ernst Strasser, damals ÖVP-Fraktionsführer im ORF-Kuratorium (jetzt Stiftungsrat, Anm.) die Absetzung ihrer Sendung wegen Voyeurismus verlangt hatte. Was sagen Sie heute im Nachhinein dazu?

Russwurm: Arbeiten Sie jetzt alle Themen ab, die auch im Zeit-Interview waren? Ich sage dasselbe wieder: Ernst Strasser kann man nicht ernst nehmen. Er war derjenige, der ins Gefängnis gegangen ist und ich habe ihn auch damals nicht ernst genommen. Es war so, dass mich TV-Media damals damit konfrontiert hat, dass ihm irgendetwas nicht an meiner Sendung gepasst hat und ob ich zu einem Doppelinterview mit ihm bereit wäre. Ich habe das abgelehnt. TV-Media hat dann ein Interview mit ihm gemacht und auf der anderen Seite ein gleich großes mit mir. Sie haben es gegenübergestellt und Herr Strasser hatte seine Publicity. Das war wohl Sinn und Zweck des Ganzen.

STANDARD: Wie gehen Sie generell mit Kritik um?

Russwurm: Wenn sie konstruktiv ist und wo ich daraus etwas lernen oder ableiten kann, dann bin ich dankbar für die Kritik. Ich habe Gott sei Dank einen objektiven Kritiker. Das ist mein Mann. Ich bin auch dankbar für Kritik aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis oder von Mitarbeitern, die mir ehrlich die Meinung sagen. Genauso auch aus Zeitungen nehme ich Kritik an, wenn es eine konstruktive Kritik ist. Polemisieren? Nein, danke.

STANDARD: Lesen Sie das oder ignorieren Sie es einfach?

Russwurm: Na ja. Wenn mich jemand extra darauf aufmerksam macht, dass irgendwo etwas besonders Böses steht, dann lese ich es gar nicht. Ich sage Ihnen etwas: Zehn gute Kritiken entsprechen ungefähr einer negativen. Eine gute Kritik nehme ich an, ich freue mich darüber, aber ich trage sie nicht den ganzen Tag in mir. Eine schlechte Kritik fängt an, in mir zu arbeiten, wogegen ich mich wehre. Warum soll ich mein Leben bewusst mit negativen Energien belasten? Ich versuche mich auf das zu konzentrieren, was Freude macht, was gute Energien und Schwingungen macht. Das ist vielleicht mit ein Grund, warum ich bei diesem durchaus stressigen Leben, das ich bislang geführt habe, bis heute Gott sei Dank gesund geblieben bin. Weil ich mich innerlich und energetisch positiv ausrichte. Und das, glaube ich, hat einen großen Effekt. Etwas Polarisierendes, das tut einfach weh. Warum soll ich mich dem aussetzen? Das ist eine Vermeidungstaktik. Warum soll ich einen Journalisten anrufen und eines Besseren belehren? In tausend Jahren mache ich das nicht.

STANDARD: Zum Beispiel Polemik oder Spott, wie er immer wieder einmal bei Grissemann und Stermann vorkommt…

Russwurm: Was Stermann und Grissemann machen, ist harmlos, das ist mir wurscht. Als Zielscheibe in einem Kabarettprogramm habe ich nur einmal eine Situation erlebt, die mir unangenehm war. Mein Mann und ich waren im Kabarett Simpl und da war eine Vera-Nummer, wovon ich wirklich keine Ahnung hatte. Wir saßen in der ersten Reihe und ich hatte das Gefühl, alle Blicke im Rücken zu haben. Aber ansonsten: Ach, das ist ja wurscht. Die Leute sollen lachen, das gehört dazu.

STANDARD: Sie sind studierte Medizinerin und hatten das Angebot von Wilhelm Molterer, Gesundheitsministerin zu werden. Haben Sie es irgendwann bereut, es abgelehnt zu haben?

Russwurm: Nein, habe ich nicht.

STANDARD: Hatte es keinen Reiz für Sie?

Russwurm: Es hätte sogar einen sehr großen Reiz gehabt. Das ist eine Funktion, da sitzt man an den Schalthebeln und kann vielleicht in einer Legislaturperiode das eine oder andere tatsächlich verändern. Es war auch nicht so, dass ich in der Sekunde abgesagt habe, muss ich ehrlich sagen. Aber dann habe ich erkannt, dass es sich einfach nicht ausgehen kann, wenn. Meine jüngste Tochter ist damals neun geworden und die beiden anderen waren in der Pubertät. Dieser Job ist mit drei Kindern nicht zu schaffen. Also das macht keinen Sinn.

STANDARD: Jetzt, nachdem die drei Kinder erwachsen sind, reizt es Sie nicht, doch noch in die Politik zu gehen?

Russwurm: Ich höre ja mit dem wöchentlichen Format auf, um ein bisschen mehr Freizeit zu haben. Und deshalb sage ich: Nein.

STANDARD: Auch nicht, wenn das Angebot kommt, die Wiener ÖVP zu übernehmen? Diese Möglichkeit hatten Sie bereits und die Partei kommt in Wien nicht so recht vom Fleck.

Russwurm: Ja, das gab es schon mehrfach. Aber auch hier: Nein.

STANDARD: Sie hatten sogar mehrfach das Angebot, die Wiener ÖVP zu übernehmen?

Russwurm: Ja, mehrfach.

STANDARD: Wann zuletzt, wenn ich fragen darf?

Russwurm: Sie dürfen alles fragen, aber ich werde es Ihnen nicht sagen.

STANDARD: Sie sind ein sehr politischer Mensch und haben sich immer wieder für die ÖVP engagiert, was auch für Kritik gesorgt hat. Sehen Sie keine Probleme darin in Sachen Vereinbarkeit mit Ihrem Job als ORF-Talkmasterin?

Russwurm: Ich muss vorausschicken, dass ich nicht so viele Geschichten für die ÖVP gemacht habe und wir eine unabhängige Produktionsfirma sind. Ich bin keine ORF-Angestellte. Aber das ist gar nicht der Punkt, weil man als ORF-Gesicht wahrgenommen wird und da spielt es keine Rolle, ob man angestellt ist oder nicht.

STANDARD: Was sonst?

Russwurm: Es kann nicht sein, dass ORF-Angestellte politische Meinungen posten, egal auf welchem Forum auch immer. Und ich will auch überhaupt keine Namen nennen, aber es passiert. Ich selbst bin auf keinen Social Media unterwegs. Es kann nicht sein, dass andere Mitarbeiter des ORF politische Veranstaltungen vor Nationalratswahlen moderieren – und zwar politische Diskussionsrunden. Abseits vom ORF und in einem Rahmen vor Publikum, wo sie auch ihre eigenen politischen Meinungen kundtun. Für andere Parteien. Wenn ich wiederum mehr oder weniger dasselbe für eine andere Partei in einem anderen Rahmen mache, dann ist die helle Aufregung da. Da muss es einen klaren Kodex geben, wo man sagt: Okay, entweder dürfen alle alles posten, was sie wollen, egal ob sie jetzt angestellt sind oder so wie frei ich. Und sie dürfen alles moderieren, auch für Parteien. Oder es darf eben niemand machen. Dass es der eine macht und der andere eine auf den Deckel bekommt, das geht nicht.

STANDARD: Es gibt ja Social-Media-Richtlinien, an die sich ORF-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen halten müssen.

Russwurm: Mittlerweile gibt es das, aber damals gab es das nicht.

STANDARD: Sie haben erst im Jänner 2023 eine ÖVP-Veranstaltung im Rahmen des niederösterreichischen Wahlkampfes moderiert.

Russwurm: Ja, und dann wurde viel über diese ganzen Social-Media-Richtlinien diskutiert, die es jetzt gibt. Aber nicht über den Umstand, dass andere Leute, die man auch vom Bildschirm her kennt, politische Veranstaltungen für andere Parteien schon davor moderiert haben. Da hat niemand etwas gesagt. Das geht nicht.

Vera Russwurm beim Wahlkampfauftakt der ÖVP Niederösterreich mit Bundeskanzler Karl Nehammer.
Vera Russwurm beim Wahlkampfauftakt der ÖVP Niederösterreich mit Bundeskanzler Karl Nehammer.
IMAGO/SEPA.Media

STANDARD: Wer war das?

Russwurm: Ich möchte jetzt keinen Kollegen hier anschwärzen. Ich sage nur, es war so. Die Partei war die SPÖ. Also ja, es muss für alle dasselbe gelten.

STANDARD: Freie haben einen anderen Status als ORF-Angestellte.

Russwurm: Ja, mir leuchtet aber ein, dass das für den Zuseher irrelevant ist. Der Punkt ist ja, was darf man überhaupt machen? Und wenn ich weiß, jemand macht das für die SPÖ, und es war null Konsequenz, was ist dann dabei, wenn ich das für die ÖVP mache. Und dann war ein Riesentheater. Das ist nicht einleuchtend.

STANDARD: Das heißt, weil es der eine macht, macht es die andere auch? Gleiches Recht für alle?

Russwurm: Sicher, das gleiche gilt für Social Media. Es muss für alle, die im ORF etwas tun oder etwas tun wollen, die gleichen Bedingungen geben. Das ist meine Meinung.

STANDARD: Sie haben sich auch sehr für Ex Kanzler Sebastian Kurz engagiert. Von seiner Strahlkraft gesprochen und dass er ein gutaussehender junger Politiker ist, der dem Land guttut. Haben Sie sich in ihm getäuscht?

Russwurm: Warum sollte ich mich in ihm getäuscht haben? Ich weiß noch gar nicht, wie das jetzt ausgeht. Warten wir mal ab. Das Gericht wird entscheiden, ob diese Anschuldigungen gerechtfertigt sind oder nicht. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

STANDARD: Okay, aber er sitzt auf der Anklagebank und der ÖVP geht es nicht wahnsinnig gut. Und es sind einige Ermittlungen noch am Laufen.

Russwurm: Es sind noch Ermittlungen am Laufen und daher möchte ich mich zu seinem laufenden Verfahren überhaupt nicht äußern. Es ist unbestritten, dass er tatsächlich ein sehr großes politisches Talent hat. Das möchte ich festhalten. Weil Sie selbst gesagt haben, dass ich mit 25 Jahren bereits Hauptabendshows moderiert habe, was toll ist. Eine noch tollere Leistung ist es, wenn man sich mit 25 Jahren hinstellt und mit Außenministern auf Augenhöhe redet, die 20 oder 30 Jahre älter sind. Das ist schon außergewöhnlich und das kann man ihm einfach nicht absprechen. Jeder kann sich hinstellen und mit Außenministern reden, aber von ihnen auch ernstgenommen zu werden, das hat mich schon beeindruckt.

STANDARD: Um noch einmal zum Ausgangspunkt des Interviews zurückzukommen: Was kommt nach "Vera"? Sie bleiben dem ORF verbunden?

Russwurm: Ja, wenn ich Roland Weißmann richtig verstanden habe. Einzelne Events zu moderieren, das ist noch nicht ganz klar. Momentan denke ich nur an die letzte Ausgabe, danach mache ich eine Pause. Eine Auswahl aus tausenden Gästen und Geschichten zu treffen, das war eine Höllenarbeit, aber eine lustige und freudvolle. Ganz verschwinden im Fernsehen möchte ich nicht. Ich bin gespannt, was an Angeboten kommt. (Oliver Mark, 1.12.2023)