Kai Jan Krainer wird auch bei dem von ihm gemeinsam mit der FPÖ initiierten Cofag-U-Ausschuss Fraktionsführer der SPÖ sein.
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Es ist mittlerweile zu so etwas wie einer roten Tradition geworden: Wann auch immer die Bundespartei – unabhängig davon, wer gerade an der Spitze steht – etwas vorschlägt oder auf den Weg bringt, dauert es nicht lange, bis aus den Reihen der roten Landesorganisationen Stimmen laut werden, die offen oder hinter vorgehaltener Hand Stimmung gegen das Vorhaben machen.

Dieser Tage lässt sich das etwa am Untersuchungsausschuss zur Covid-19-Finanzierungsagentur (Cofag) beobachten. Das Verlangen hatten SPÖ und FPÖ am Freitag vor einer Woche im Nationalrat eingebracht. Rote und Blaue wollen in diesem U-Ausschuss die Milliardenzahlungen durch die Cofag und in diesem Zusammenhang vor allem die Unternehmer Siegfried Wolf und René Benko unter die Lupe nehmen. Die beiden unterhielten in der Vergangenheit bekanntlich gute Kontakte in die Sphäre der ÖVP und zu Altkanzler Sebastian Kurz. Kurzum: Einmal mehr widmen sich SPÖ und FPÖ, diesmal ohne die Neos, einem U-Ausschuss, der die ÖVP ins Visier nimmt.

Die Angst vor dem "Scherbengericht"

Vor wenigen Tagen berichtete der "Trend", dass das rot-blaue Bündnis vor allem der Wiener SPÖ sauer aufstößt. Am Montag legte auch der "Kurier" nach, dass Kai Jan Krainer, künftiger Fraktionsführer im Cofag-U-Ausschuss, insbesondere von seiner Wiener Landespartei für die Einberufung des U-Ausschusses nicht nur Applaus erhalten hätte.

Die Wiener Genossen sollen der Bundes-SPÖ und Krainer tatsächlich ins Gewissen geredet haben, damit der Untersuchungsausschuss möglichst sachlich über die Bühne gehe. Das sei aber nicht als Kritik gegen Babler und seinen Abgeordneten zu verstehen, wird bei den Hauptstadtroten beteuert. Sondern als tiefe Sorge von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, dass vor allem die Freiheitlichen von einem solchen U-Ausschuss profitieren könnten.

Im roten Rathausbüro wird nämlich bereits intensiv über eine Taktik für die nächste Nationalratswahl im Herbst nachgedacht. Und in das Wiener Szenario passt keine besonders schwache ÖVP, die unter 20 Prozent purzelt. Mit anderen Worten: Ein U-Ausschuss als "Scherbengericht", das die Kanzlerpartei als "Gauner" und die Republik als "kaputtes System" stilisiert, käme da doch recht ungelegen. Die Wiener Genossen gehen nämlich davon aus, dass ein Großteil der türkisen Wählerinnen und Wähler, die der ÖVP den Rücken kehren, direkt zu den Freiheitlichen abwandern.

Weniger Polarisierung, mehr Sachthemen

Den Überlegungen aus Ludwigs Umfeld kann der Politikbeobachter Peter Filzmaier einiges abgewinnen. Die größten Wählerbewegungen gab es im Jahr 2019 sowohl bei der Nationalratswahl als auch bei der Europawahl jeweils zwischen ÖVP und FPÖ. Damals noch zugunsten der Türkisen. "Es ist also wahrscheinlicher, dass bei einem diesmal schlechten Abschneiden der ÖVP ebenfalls die FPÖ am stärksten profitiert", sagt Filzmaier. "Und generell: SPÖ und ÖVP sehen sich als Hauptrivalen, was ein kapitaler strategischer Fehler ist." Hauptgegner sei für die ehemaligen Großparteien eigentlich die FPÖ, die von "jedem Scharmützel zwischen ÖVP und SPÖ" profitiere.

Ludwig und Co verfolgen deshalb eine andere Devise: weg von der Polarisierung, hin zu Sachthemen. Die Hauptstadtroten sehen die SPÖ bei der kommenden Wahl speziell dann im Vorteil, wenn es möglichst lange einen blau-rot-türkisen Dreikampf gebe – bei etwas mehr als 20 Prozent in Umfragen jeweils für ÖVP und FPÖ. Dann sei ein Wahlsieg wahrscheinlicher. Käme es stattdessen zu einem Duell zwischen Babler und Kickl, sehen die roten Strategen in Wien die Blauen davonziehen, da moderaten Türkisen der rechte Rand in dieser Konstellation womöglich wählbarer erscheint als der Linkskurs des SPÖ-Chefs.

Hinzu kommt, dass es in der SPÖ nicht wenige Befürworterinnen und Befürworter einer Neuauflage einer Koalition zwischen SPÖ und ÖVP gibt – nicht zuletzt in Wien. Krainer – er war bereits in der Vergangenheit in U-Ausschüssen Fraktionsführer seiner Partei – wiederum sehen die Wiener Roten als "rotes Tuch für den pragmatischen Flügel der Wiener SPÖ", sagt ein Funktionär zum STANDARD. Dieser äußert auch die Sorge, dass Krainer "mit einem Flammenwerfer die ÖVP anzündet".

Auch die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures, wichtiger Machtfaktor in der Wiener SPÖ, soll keine Freude mit dem rot-blauen U-Ausschuss haben – nicht zuletzt deshalb, weil die ÖVP deswegen einen Gegen-U-Ausschuss auf den Weg gebracht hatte, der einen möglichen "rot-blauen Machtmissbrauch" in einst von SPÖ und FPÖ geführten Ministerien untersuchen will. STANDARD-Informationen zufolge soll Bures als Auskunftsperson geladen werden – und nicht nur sie. Dem Vernehmen nach plant die ÖVP auch Ludwig, Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, Ex-Kanzler Christian Kern sowie Jörg Leichtfried, Alois Stöger und Gabriele Heinisch-Hosek – sie alle hatten einst Ministerämter inne – zu laden. Von der FPÖ sollen unter anderem die ehemaligen Minister Norbert Hofer und Beate Hartinger-Klein geladen werden.

"Sinnlose U-Ausschüsse" würden FPÖ nützen

Auch in manch anderer roten Landesorganisation zeigt man mitunter Verständnis für die Wiener SPÖ – selbstverständlich ist das nicht, haben die Wiener Roten in den anderen Landesparteien doch teils einen eher schweren Stand. Gleichzeitig gibt es aber auch jene Stimmen, die darauf verweisen, dass die Wiener SPÖ seit jeher eine Regierungspartei sei, "und Regierungsparteien generell nie etwas von U-Ausschüssen halten". Außerdem wird Verständnis dafür geäußert, dass es auf parlamentarischer Ebene Arbeitsbeziehungen zu allen Parteien – und damit auch zur FPÖ – brauche.

Nur einer nimmt sich einmal mehr kein Blatt vor dem Mund: Tirols SPÖ-Chef und Landeshauptmann-Stellvertreter Georg Dornauer. "Anstatt sich nur in sinnlosen U-Ausschüssen an der ÖVP abzuarbeiten, sollte die SPÖ Perspektiven für die Menschen aufzeigen", richtete Dornauer am Montag der Bundespartei in einem Interview mit der "Tiroler Tageszeitung" aus. Mit ihrer U-Ausschuss-Politik sah er die Bundes-SPÖ "einmal mehr dem Kickl und seiner Truppe in die Karten spielen". Dornauer regiert in Tirol mit der ÖVP und machte in der Vergangenheit nie ein Hehl daraus, dass er auch auf Bundesebene eine Koalition mit der Volkspartei präferiert.

Öffentlich Kritik am U-Ausschuss üben möchte sonst niemand – auf STANDARD-Anfragen verweist man darauf, dass man derlei Dinge in den Bundesgremien besprechen würde. Präsidium und Vorstand hatten am Montag getagt. Dort hatte Parteichef Andreas Babler ein Machtwort gesprochen. "Ich habe heute in den Gremien sehr deutliche Worte gefunden" sagte er in der "ZiB 1". Er habe "auch erklärt, dass es wichtig ist, wenn 20 Milliarden Euro vorbei am Parlament intransparent vergeben werden, dann gehört das aufgeklärt". Die Kritik aus Tirol sei „mit heute erledigt“.

"Milliardengrab Cofag" gehört untersucht

Zuvor schon hieß es aus der Bundes-SPÖ, dass man mit wahltaktischen Überlegungen im Zusammenhang mit U-Ausschüssen nichts anfangen könne. "Wir nähern uns U-Ausschüssen grundsätzlich inhaltlich und nicht taktisch", heißt es auf STANDARD-Anfrage. Die Entscheidung, "das Milliardengrab Cofag, das größer ist als jenes der Hypo Alpe Adria Bank", zu untersuchen, hält man in der Bundes-SPÖ für richtig. Denn nur weil nächstes Jahr gewählt werde, könne die parlamentarische Arbeit – in diesem Fall die Kontrollarbeit – nicht aufhören, heißt es.

Dass das Verlangen nach einem U-Ausschuss nicht schon früher im Nationalrat eingebracht wurde, hätte nichts mit internem Widerstand zu tun gehabt. Vielmehr sei ein Sammelsurium an möglichen Untersuchungsthemen auf dem Tisch gelegen, was die Entscheidung für ein Thema nicht leicht gemacht hätte. Außerdem wollte man auf den Entscheid des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) in Sachen Cofag warten –dieser kippte im Oktober Grundlagen der Corona-Finanzierungsagentur.

Krainer selbst will die Angelegenheit auf STANDARD-Anfrage ebenfalls nicht groß kommentieren. Er betont lediglich, dass er keinen Widerstand verspürt habe, den U-Ausschuss im Klub durchzubringen. Außerdem sei es ihm ein Anliegen, "wie immer total sachlich und seriös" an die Untersuchung heranzugehen. Interesse an einer Schlammschlacht habe er keines. (Jan Michael Marchart, Sandra Schieder, 4.12.2023)