Waren einst enge Vertraute: Der FPÖ-Europaabgeordnete Harald Vilimsky und Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache.
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Öffentlich meidet Harald Vilimsky das Thema "Spesenaffäre", jenen Komplex um mutmaßliche Korruption, der in der FPÖ im Nachgang der Ibiza-Affäre seit 2019 schwelt. Doch die Brisanz der Causa scheint dem designierten blauen Spitzenkandidaten für die Europawahl 2024 bewusst zu sein. Fast ein Jahr hat Vilimsky versucht, volle Akteneinsicht zu erhalten – vergebens. Das geht aus einem Beschluss des Wiener Landesgerichts für Strafsachen vom 29. Juni 2023 hervor, der dem STANDARD und dem "Spiegel" vorliegt.

Wie die Justiz Vilimskys Antrag auf Akteneinsicht abschmettert, ist in kompliziertem Juristendeutsch formuliert und gespickt mit Expertise. Auf den zwölf Seiten geht es aber auch um bislang unbekannte Details und um die Frage, wie nahe sich Vilimsky und Heinz-Christian Strache nach wie vor sind.

Der frühere FPÖ-Chef, dem die Partei nach seinem jähen Sturz noch im Ibiza-Jahr die Mitgliedschaft entzogen hatte, steht im Zentrum der Spesenaffäre: Jenem Finanzkrimi mit vielen Strängen, der sich um die mutmaßliche Veruntreuung von Parteigeldern für private Zwecke dreht. Doch die Staatsanwaltschaft Wien führt weitere langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Parteikader als Mitbeschuldigte – darunter eben auch Vilimsky.

Was Vilimsky vorgeworfen wird

Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien dürfte den Schatten vergrößern, den die Affäre auf den FPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament wirft. Dort steht nicht nur schwarz auf weiß der Vorwurf, dass Vilimsky eine damalige Vertraute von Strache dazu angewiesen haben soll, Geld aus der Handkassa der FPÖ Wien für "parteifremde Zwecke" einzusetzen. Und zwar um "Warenbestellungen im Internet, etwa Mobiltelefone samt Zubehör oder Restaurantkonsumationen zu begleichen und als Spesen von Heinz-Christian Strache zu verrechnen".

Vilimsky soll zudem als Finanzreferent des Parlamentsklubs dafür gesorgt haben, dass Handyrechnungen von zwei Kindern Straches aus erster Ehe mit FPÖ-Geld bezahlt wurden. Es handelte sich um "rein privat genutzte Mobilfunkdienstleistungen", heißt es in dem Gerichtsdokument. Der Zeitraum erstreckt sich demnach von Oktober 2011 bis August 2019. Pikantes Detail: Bereits im Mai 2019 musste Strache als Vizekanzler und FPÖ-Chef zurücktreten, nachdem "Spiegel" und "Süddeutsche" die Ibiza-Affäre enthüllt hatten. Die Ermittlerinnen und Ermittler halten es also für möglich, dass Vilimsky trotz Straches Abgang dafür sorgte, dass die FPÖ zunächst weiter für die Handykosten der Kinder aufkam. Gesamtbetrag: 9030,09 Euro.

Straches Anwältin vermied es in ihrer Reaktion auf eine STANDARD-Anfrage auf den Sachverhalt einzugehen. Man äußere sich "nicht zu laufenden Ermittlungen", erklärte sie. Die Rede war von "wiederholt aufgegriffenen Vorwürfen, die absurd bzw. auch längst widerlegt" seien. Auf Anfrage des STANDARD bestritt auch Vilimsky den Vorwurf bezüglich der Handyrechnungen, so wie er früher schon andere Verdachtsmomente im Zusammenhang mit der Spesenaffäre zurückwies.

Fast einjähriges juristisches Gezerre

Begonnen hatte das juristische Gezerre mit einem Antrag des blauen Granden auf Akteneinsicht. Die Ermittlerinnen und Ermittler stellten ihm daraufhin zwar manche Dokumente zur Verfügung, verfügten aber gleichzeitig den Ausschluss von bestimmten Aktenteilen. Das wiederum sorgte für Unverständnis bei Vilimsky, der daraufhin Einspruch erhob: Er beklagte, in seinen Rechten als Beschuldigter verletzt worden zu sein, ihm fehlte vor allem eine Begründung der verwehrten Akteneinsicht.

Die Staatsanwaltschaft Wien pochte hingegen darauf, dass die Motive "für die erfolgte Beschränkung der Akteneinsicht dem Beschuldigten“ nicht mitzuteilen seien. Das Landesgericht für Strafsachen Wien sah das ähnlich und wies Vilimskys Einspruch Ende November 2022 ab.

Doch Vilimsky ließ nicht locker: Auch gegen diesen Beschluss erhob er Beschwerde und brachte die Sache vor das Oberlandesgericht Wien. Dieses folgte Ende April 2023 der Ansicht Vilimskys: Es ortete "einen Eingriff in ein subjektives Recht". Deshalb müsste die Staatsanwaltschaft sehr wohl "detailliert und nachvollziehbar" begründen, warum Vilimsky die Einsicht in gewisse Aktenteile verweigert wurde. Darüber hinaus tadelte das Oberlandesgericht, dass der Beschuldigte "über den Inhalt der von der Akteneinsicht ausgenommenen Aktenbestandteile, deren grobe Umschreibung ohne Gefahr für den Erfolg der Ermittlungsmaßnahme durchaus möglich gewesen wäre, völlig im Dunkeln gelassen" worden sei.

Naheverhältnis einstiger Gefährten

Das Oberlandesgericht kippte deshalb den ersten Beschluss und trug dem Landesgericht für Strafsachen Wien auf, über die Causa erneut zu entscheiden. Doch das stellte in dem zu Beginn des Artikels erwähnten Beschluss vom 29. Juni 2023 fest, dass der Staatsanwaltschaft "kein Ermessensmissbrauch vorzuwerfen" sei - und begründete dies diesmal ausführlich. Einerseits wird eine inzwischen erfolgte Sicherstellung genannt. Mit der Herausgabe der Aktenbestandteile hätte "Verdunkelungsgefahr" bestanden.

Außerdem ist die Rede von einer "Vielzahl von Beschuldigten", zwischen denen teils Naheverhältnisse bestehen – da würde eine einzelne Akteneinsicht "die angestrebten Ermittlungen konterkarieren". Namen werden bei dieser Passage keine genannt, doch es liegt nahe, wer gemeint ist: Langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der FPÖ sowie nach wie vor aktive FPÖ-Kader gelten in dem Spesenkomplex ebenfalls als Beschuldigte. Für sie alle, wie auch für Vilimsky und Strache, gilt die Unschuldsvermutung.

Mitentscheidend für die Ablehnung für Vilimskys Ansinnen auf Akteneinsicht ist wohl ein Absatz, der sich auf Seite 11 findet. Dort heißt es mit Blick auf den EU-Parlamentarier und Strache, es wäre "zu befürchten gewesen", dass Vilimsky seinem langjährigen politischen Weggefährten über "von der bevorstehenden Sicherstellung informiert hätte".

Aber stehen Vilimsky und Strache, die seit Jahrzehnten einander vertraut sind, tatsächlich noch in Kontakt? Straches Anwältin ging auf diesen Aspekt einer STANDARD-Anfrage nicht ein. Und Harald Vilimsky antwortete lediglich mit einem Wort: "Nein."

Informationen des STANDARD und "Spiegel" zufolge dürfte dieser Beschluss dann nicht noch einmal von Vilimsky bekämpft worden und damit rechtskräftig sein - eine entsprechende Frage beantwortete dieser allerdings nicht. (Oliver Das Gupta, Sandra Schieder, 9.12.2023)