Frauen feiern auf einer Weihnachtsparty.
Frauen müssen sich ebenso unbeschwert durch das Nachtleben bewegen können wie Männer.
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Es würde von Fortschritt zeugen, wenn Mädchen sorglos im Crop Top spätnachts und versunken in einen Chat mit einer Freundin durch einsame Straßen heimgehen könnten. Wenn sich Frauen nichts dabei denken müssten, wenn sie ihren Drink an der Bar einfach stehen lassen, während sie tanzen gehen – und dann weiter daraus trinken. Wenn sie in der Dunkelheit keine Sekunde auf die Idee kämen, einen längeren Umweg nach Hause über eine belebtere Straße zu wählen, statt den schnelleren Weg durch den dunklen Park zu nehmen.

Könnten sich Mädchen und Frauen in Zukunft sorglos durch ihren Alltag und das Nachtleben bewegen, hätte man einiges richtig gemacht im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen.

Doch eine neue Anti-Gewalt-Kampagne der ÖVP marschiert in die falsche Richtung. Denn sie setzt dort an, wo Gewaltschutz wenig fruchten wird: beim Verhalten von Frauen und Mädchen. Die eben gestartete Kampagne der Wiener Volkspartei und "der Wienerinnen", wie auf der Kampagnen-Website steht, gibt Frauen und Mädchen Tipps, wie sie sich angeblich sicherer in Wien bewegen könnten.

Selbstbeschränkungen 

Aus dem Empfehlungskatalog: keine Kopfhörer im Ohr, das verringere die Aufmerksamkeit. Das Gegenüber respektive den Angreifer oder Belästiger mit "Sie" ansprechen, mit einer Freundin telefonieren, bis man "sicher zu Hause angekommen" ist. Den sicheren und nicht den kürzeren Weg wählen – oder auch: "Lassen Sie Ihren Drink nicht unbeaufsichtigt." Das sind unter anderem die Tipps, die Teil der Kampagne "Zeig dein Kämpferherz" sind.

Dabei ist es im Grunde schon deprimierend genug, dass Frauen und Mädchen all das ohnehin meist internalisiert haben. Ziel sollte deshalb sein, dass diese Selbstbeschränkungen nicht mehr notwendig sind. Für Frauen und Mädchen wohlgemerkt, Männer und Burschen kämen wohl in den allermeisten Fällen nicht auf diese "Vorsichtsmaßnahmen".

Hinter der veralteten Vorstellung, für ein gewaltfreies Leben müssten vor allem Frauen und Mädchen beratschlagt werden, stehen gefährliche Annahmen: Frauen könnten durch ihr Verhalten der Gewalt vorbeugen. Klar sind Vorsichtsmaßnahmen gut. Doch erstens passiert die meiste Gewalt gegen Frauen nicht in dunklen Parks, sondern im vermeintlich sicheren Zuhause. Und sie wird zum weitaus größeren Teil nicht durch Fremde ausgeübt, sondern durch jene, die man gut kennt und denen man eigentlich vertrauen können müsste.

Falscher Fokus

Natürlich passiert auch Gewalt auf dem späten Nachhauseweg oder beim Ausgehen. Trotzdem sind auch für diese Fälle derartige Ratschläge der falsche Weg, denn sie tun nichts anderes, als Frauen und Mädchen in ihrer Freiheit zu beschränken. Warum sollen sich Mädchen und Frauen nicht ähnlich unbekümmert durch die Dunkelheit bewegen wie Burschen und Männer? Was, wenn man diesen Ansatz, was Frauen tun sollten, um Gewalt zu verhindern, weiterdenkt? Sollten sie am besten nicht ausgehen? Nicht trinken? Nicht angeschickert flirten? Dass Frauen nicht mehr daran denken müssen, womöglich belästigt, begrapscht oder sogar vergewaltigt zu werden, das sollte das Ziel sein. Und im Sinne dieses Zieles sollte es bei einer Gewaltschutzkampagne prioritär sein, Männer zu adressieren.

Das tut die Kampagne nur indirekt. Es kommen, zwar erst weiter unten, "Tipps, wie Sie Ihr Kämpferherz zeigen können", vor. So solle man etwa, wenn man einer ängstlichen Frau am Gehsteig begegnet, die Straßenseite wechseln. Oder dass man das Service- oder Sicherheitspersonal informieren soll, wenn man beobachtet, dass jemand versucht, einer Frau im Club Drogen in den Drink zu schütten. Diese Tipps richten sich an alle. Zivilcourage ist bei Gewalt gegen Frauen enorm wichtig. Aber man darf sich nicht scheuen, Männer direkt anzusprechen. Und statt an oberster Stelle Frauen in ihrem Verhalten anleiten zu wollen, braucht es in erster Linie Tipps für Männer und Burschen, wie sie Grenzen erkennen und akzeptieren.

Hinzu kommt: Wir wissen, wie schnell eine Täter-Opfer-Umkehr bis heute bei der Hand ist. Wir wissen, wie brutal mitunter das Verhalten von Gewaltopfern durchleuchtet wird und damit einmal mehr die Verantwortung von den Tätern weggelenkt wird. Man scheint noch immer nicht ganz verstanden zu haben, dass Gewalt nur durch die verhindert werden kann, die sie potenziell ausüben. Sie sind es, die Ratschläge benötigen. (Beate Hausbichler, 7.12.2023)