Drei Jahre lang lebte er bei einer verfeindeten Gruppe. "Während einer Dürre ist alles anders", sagt Guyo Galgallo an einem heißen Tag im Juni. Der 59-Jährige lebt als Hirte im Norden Kenias, heute lässt er die Kamelherde seines Stammes in einer kleine Oase inmitten einer Wüste trinken. Um sie durch die dreijährige Dürrezeit zu bringen, zog er zusammen mit einigen weiteren Männern und den Tieren in Richtung Norden – über die Grenze nach Äthiopien. Die Stämme, mit denen seine Gruppe ansonsten auf Kriegsfuß steht und die sich gegenseitig Vieh stehlen, wie er erzählt, nahmen sie auf.

Heute zählen die Kamele, die sich hier in der Oase versammeln, zu den wenigen in der Region, die noch am Leben sind. Der Großteil der Ziegen, Kühe und Kamele starb während der langen Dürre und der darauffolgenden Überflutung – bis heute zeigen nur noch Haufen von Tierskeletten, dass die Region von Hirten belebt wird.

Guyo Galgallo hat die Zeit mit den Kamelen seines Stammes in Äthiopien verbracht und kam erst zurück, als die Dürre vorbei war.
Alicia Prager
Die Herden, die sich in der Oase versammelt haben, zählen zu den wenigen, die noch am Leben sind.
Alicia Prager
Doch die schwierige Zeit ist nicht vorbei. Die Menschen haben alles verloren. Auch Galgallo erzählt: Er habe heute nur eine Tasse Tee getrunken.
Alicia Prager
Die dreijährige Dürre in Kenias größtem Bundesstaat Marsabit tötete unzählige Ziegen, Kühe und Kamele.

Auch wenn die Landschaft heute wieder etwas grüner ist als noch vor zwei Monaten, ist das Überleben für die Hirten ohne ihre Herden hart. Die meisten sind sind auf Nahrungslieferungen von NGOs oder der Regierungen angewiesen, so auch Galgallo. Vor der Dürre besaß er selbst 400 Ziegen und 37 Kamele – überlebt haben davon nur fünf Ziegen und vier Kamele. "Wir haben so etwas noch nie erlebt. Niemals zuvor starben so viele Tiere", sagt Galgallo.

Fonds für Klimaschäden

Die verheerende Dürre Ostafrikas: Die Erderhitzung machte sie hundert Mal wahrscheinlicher, rechnen Fachleute. Einige Länder, allen voran die kleinen Inselstaaten, aber auch Kenia fordern bereits seit vielen Jahrzehnten von industrialisierten Ländern, die den Planeten schließlich sehr viel stärker erwärmt haben als sie selbst, finanzielle Unterstützung, um mit den Schäden fertigzuwerden.

Auf dem Weltklimagipfel im vergangenen Jahr erstritten sie ein neuen Fonds für Klimaschäden und -verluste – Loss and Damage auf Englisch. Die Debatte wurde zum alles bestimmenden Thema und stellte sämtliche anderen Bemühungen in den Schatten.

Heute, ein Jahr später, ist die Debatte bereits sehr viel weiter. Ein Ausschuss von 24 Staaten hatte in den vergangenen Monaten Details zu dem Fonds ausgearbeitet. Auf dem Weltklimagipfel in Dubai (COP 28) mussten ihre Vorschläge angenommen werden: Die Einigung zur Einsetzung des Fonds gelang gleich am allerersten Tag – ein historischer Erfolg, den das Gastgeberland für sich verbucht. Nie zuvor in der Geschichte der Konferenzen war so schnell eine ähnlich große Einigung gelungen.

Das war Strategie: Das Gastgeberland, Deutschland und die EU-Kommission hatten die Abstimmung gemeinsam vorbereitet und versprachen sofort, jeweils 100 Millionen Dollar in den neuen Fonds einzuzahlen. Auch der EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra war im Vorfeld der Konferenz durch die Hauptstädte getourt, um auf neue Zusagen zu dem Fonds zu drängen.

Rund 700 Millionen Dollar

Damit wollten sie den schwierigen Gipfel mit einem positiven Knall beginnen – ein Vorhaben, das zunächst tatsächlich aufging, wie Beobachtende meinen. Die Stimmung zu Beginn war gut. Einige Staaten zogen mit Zusagen für den Fonds nach: Immerhin rund 700 Millionen Dollar stellten Länder insgesamt bisher bereit.

Im Gegensatz zu den benötigten Geldern ist das allerdings noch immer ein Tropfen auf den heißen Stein, kritisieren die betroffenen Staaten – unter ihnen sind Länder, die mit Dürren, Überflutungen oder Stürmen zu kämpfen haben, sowie Inselstaaten, die gleich als Ganzes im Meer zu versinken drohen. Schätzungen sprechen von einem Finanzierungsbedarf von rund 400 Milliarden im Jahr – sofern sich die Schäden überhaupt in Geld ausdrücken lassen. Die Finanzierungszusagen, die auf dem Gipfel gemacht wurden, nennen ärmere Staaten deshalb mager.

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Keine Anpassung ohne Entschädigung

"Wir können uns nicht an die Folgen der Erderhitzung anpassen, wenn wir nicht zuerst entschädigt werden. Hirten haben in der Dürre alles verloren", sagt Mana Omar, eine 29-jährige Klimaaktivistin aus Kenia. Ihre Eltern sind – so wie Galgallo – Hirten aus dem Norden Kenias. Heute lebt sie in Nairobi und ist nach Dubai gereist, um für den Klimaschädenfonds zu lobbyieren.

In ihrer eigenen Gemeinschaft will sie Brunnen bauen, resistentere Vieharten kaufen und in den Hirtenstämmen für Agrarwirtschaft werben. Andere Organisationen gehen weiter: Die NGO Pacida – kurz für Pastoralist Community Initiative and Development Assistance – schlägt etwa Dammprojekte vor, damit Wasser in Regenzeiten besser gespeichert werden kann. Auch diese Organisation hat zwei Vertreter vor Ort in Dubai.

Zweifel haben sie an der Einigung, dass die Weltbank den neuen Fonds für Klimaschäden verwalten soll. "Es ist sehr kompliziert, an Gelder der Weltbank zu kommen. Wir müssen jetzt weiterverhandeln, wie die Hirten dann tatsächlich Geld bekommen", sagt Omar, während Konferenzteilnehmer vorbeieilen. Positiv sei aber, dass der Fonds ein eigenes Board, zusammengesetzt aus 24 Staaten, bekommen soll, auch Kenia müsse sich dort eine Stimme verschaffen, meint Omar. Ein erstes Treffen dieses Boards könnte schon für Jänner angesetzt werden.

Nächstes Jahr geht es wieder ums Geld

Hier auf der COP 28 werden nun Details ausverhandelt, wie es weitergehen soll – wenngleich die Diskussion nach der Einigung am ersten Tag dieses Mal an den Seitenrändern stattfindet. Auf der diesjährigen Konferenz geht es darum, schlimmere Schäden überhaupt erst zu verhindern: Die Staaten feilschen um eine Zusage zum Ausstieg aus Kohle, Erdöl und Erdgas. Im kommenden Jahr wird voraussichtlich die Frage nach dem Geld erneut ins Zentrum rücken: Dann wird das neue globale Ziel für die Klimafinanzierung verhandelt. Bisher galten 100 Milliarden Dollar jährlich als Zielmarke – diese Latte soll stark angehoben werden.

Mehreren Staaten – unter ihnen auch Kenia – schwebt allerdings vor, weiterzugehen, als auf das Geld wohlhabenderer Staaten zu hoffen. So forderten die afrikanischen Staaten im Herbst auf ihrem ersten eigenen Klimagipfel in Nairobi unter anderem eine globale CO2-Steuer auf besonders schmutzige Industrien – allen voran auf den Schiffstransport, die Flugindustrie, die Produktion fossiler Brennstoffe sowie den Finanzsektor.

Seither nimmt die Forderung an Schwung auf: Auf der Weltklimakonferenz starteten Kenia und Frankreich eine neue Arbeitsgruppe, die nun zwei Jahre Zeit hat, eine neue Besteuerung für die Bereiche vorzuschlagen. Die Einnahmen sollen dann in die Klimafinanzierung fließen – und etwa Hirten wie Galgallo zugutekommen, die sich heute, nach der dreijährigen Dürre, ein neues Leben aufbauen. (Alicia Prager aus Marsabit und Dubai, 12.12.2023)