Transparent
Auch in Fußballstadien wurden schon Stimmen gegen die Chatkontrolle laut.
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Die EU-Staaten haben bei den Verhandlungen im Europäischen Rat keine gemeinsame Position für den Vorschlag einer Verordnung "zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern" gefunden. Der Rat wird sich somit in diesem Jahr nicht mehr einigen – und das Gesetz wird somit vermutlich nicht mehr vor der EU-Wahl im Juni beschlossen, schreibt Netzpolitik.org und veröffentlicht auch entsprechende Protokolle aus den jeweiligen Sitzungen.

Breite Kritik an Chatkontrolle

Größter Diskussionspunkt in der Erarbeitung der Verordnung war und ist die verpflichtende Chatkontrolle, zu der nach wie vor keine Einigkeit besteht. Darunter versteht man, dass Messenger-Dienste wie Whatsapp und Hostprovider auf Smartphones von Usern nach Missbrauchsmaterial oder Grooming – also der Anbahnung von sexuellen Kontakten zu Minderjährigen – suchen. Hier soll auf das Konzept des "Client Side Scanning" gesetzt werden: Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung per se wird nicht gebrochen, stattdessen wird direkt auf dem Smartphone nach jeweiligen Inhalten gesucht.

Bei Datenschützern lassen diese Pläne ohnehin schon länger die Alarmglocken schrillen, sehen sie doch die Gefahr, dass unter dem Vorwand des Kampfs gegen Kindesmissbrauch die Basis für ein umfassendes Überwachungssystem gelegt wird. Doch auch Kinderschutzorganisationen äußerten zuletzt Bedenken, dass die Chatkontrolle tatsächlich zu einer vermehrten Kriminalisierung von Kindern und Jugendlichen führen könnte. Denn Minderjährige würden auch häufig Bildmaterial an andere Teenager schicken, welches als pornografisch eingestuft wird.

Im Juli warnten zudem hunderte Wissenschafter aus aller Welt vor den Plänen zur Messenger-Überwachung: Maßnahmen wie die Chatkontrolle würden wenig nützen, aber große Gefahren bergen, so der Tenor. Parallel dazu hatten auch zwanzig Forscherinnen und Forscher aus Österreich ihre Einschätzungen zur Chatkontrolle veröffentlicht. Der Vorstoß sei nicht sicher und effektiv umsetzbar, heißt es auch hier. Und: "Derzeit ist keine Weiterentwicklung der entsprechenden Technologien absehbar, die eine solche Umsetzung technisch ermöglichen würde."

Politisches Tauziehen

Bis Jahresende hat Spanien die Ratspräsidentschaft inne, im ersten Halbjahr 2024 geht diese Aufgabe an Belgien über. Die spanische Regierung hatte bereits im Vorfeld der eigenen Ratspräsidentschaft betont, sich für eine verpflichtende Chatkontrolle starkmachen zu wollen. Ursprünglich hatte es dann geheißen, dass die EU-Staaten die Chatkontrolle schon im September beschließen wollen, jedoch stellten sich schrittweise immer mehr Länder gegen die entsprechenden Pläne.

Dem Medienbericht zufolge kritisierten mehrere Staaten "unterschiedliche Bestandteile der Verordnung", wie etwa die betroffenen Dienste, die zu suchenden Inhalte, die einzusehende Technik und den Umgang mit verschlüsselten Inhalten. Zu den Staaten, die die Chatkontrolle ablehnen, gehören auch Deutschland und Österreich. Und auch die französischen Verhandler verwiesen zuletzt auf ein Gutachten des Juristischen Diensts: Die Chatkontrolle müsse weiterhin Grundrechte und Privatsphäre gewährleisten, beides sei bisher aber nicht gegeben.

Die Unterstützer des Vorhabens – neben Spanien vor allem auch Rumänien und Irland – sehen das vorläufige Scheitern der Verhandlungen wiederum kritisch. Diese Staaten blicken auch gespannt auf kommende Trilog-Verhandlungen mit den anderen beiden EU-Institutionen, denn nicht zuletzt haben sich auch die EU-Parlamentarier gegen die Pläne ausgesprochen.

Freiwillige Chatkontrolle

Sehr wohl führen manche Tech-Konzerne jedoch freiwillige Chatkontrollen durch. Innenkommissarin Ylva Johansson plant nun, dies auch für bis zu zwei weitere Jahre zu erlauben. Die Verlängerung soll ab dem 4. August des kommenden Jahres greifen. Nach Johanssons Vorstellung soll dies als Zwischenlösung dienen, bevor eine gesetzliche Grundlage für die verpflichtende Chatkontrolle beschlossen wird. Das EU-Parlament hat für diese Pläne bereits Unterstützung signalisiert, auch die EU-Staaten befürworten eine Verlängerung. Der Beschluss dafür soll am 20. Dezember getroffen werden.

Kritiker merken an, dass auch die freiwillige Chatkontrolle eigentlich gegen die E-Privacy-Richtlinie verstoße. Mitte Juli hatte die deutsche Gesellschaft für Freiheitsrechte gemeinsam mit einem Facebook-Nutzer den Konzern Meta wegen des automatisierten Scannens von Messenger-Nachrichten geklagt. (stm, 13.12.2023)