Selbst im Fußballstadion wird gegen die EU-Pläne protestiert.
IMAGO/Fotostand/Voelker

Die Verhandlungen über die höchst umstrittenen Pläne zur Chatkontrolle in der EU stecken in einer Sackgasse. Währen das Parlament den ursprünglichen Kommissionsentwurf deutlich abgeschwächt hat, finden die einzelnen EU-Staaten keine gemeinsame Position. Nun hat auch Frankreich erstmals Bedenken bezüglich der Messengerüberwachung angemeldet.

Würden die Pläne wie von der Kommission vorgeschlagen umgesetzt, stünde am Ende die anlasslose Kommunikationsüberwachung. Dienste wie Whatsapp, Messenger und Signal müssten ihrerseits sämtliche Nachrichten von EU-Bürgerinnen und -Bürgern auf mögliche Darstellungen von Kindesmissbrauch (Child Sexual Abuse Material, CSAM) scannen. Anschließend soll illegales Material an ein noch nicht näher definiertes "EU-Zentrum" weitergeleitet werden, das erste Ermittlungen führt.

Da die Suche nach Darstellungen von Kindesmissbrauch bereits am Smartphone selbst passieren soll, wird dies auch als "Client Side Scanning" bezeichnet. Oder, anders gesagt: Die verschlüsselte Kommunikation innerhalb der 27 EU-Staaten wäre Geschichte und ein Präzedenzfall für die "massenhafte Ausspähung privater Kommunikation geschaffen", wie es die Initiative European Digital Rights (EDRi) formuliert.

Das führt zu Kritik von Menschenrechts- und Datenschutzorganisationen sowie von Kinderschutzzentren selbst. Dazu kommen schwere Vorwürfe gegen die zuständige Kommissarin Ylva Johansson. Sie soll von einer angeblichen NGO beeinflusst worden sein und versucht haben, die Stimmung mit eigentlich verbotener politischer Werbung zu drehen. In Österreich wurden deshalb schon Rücktrittsforderungen laut.

24 Verhandlungsrunden, kein Ergebnis

Wie netzpolitik.org berichtet, haben die Regierungen bereits 24-mal in der Arbeitsgruppe Strafverfolgung über den umstrittenen Entwurf verhandelt. Die spanische Ratspräsidentschaft will den Entwurf nun noch vor der EU-Wahl am 9. Juni 2024 durchpeitschen und beklagt sich gleichzeitig, dass die EU-Staaten den aktuellen Gesetzesvorschlag "nicht in ausreichendem Maß unterstützen". Deshalb steht jetzt ein Kompromiss im Raum: Während das Parlament die Chatkontrolle nur im Verdachtsfall einsetzen möchte, fordert Spanien, die Inhalte aller EU-Bürgerinnen und -Bürger nach CSAM zu scannen und erst später nach Grooming, also der Anbahnung von sexuellen Kontakten zu Kindern.

Aus einem geleakten Sitzungsprotokoll geht nun hervor, dass mittlerweile nur 13 Staaten diesen Kompromissvorschlag unterstützen: Spanien, Irland, Italien, Kroatien, Ungarn, die Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Zypern, Litauen, Lettland und Dänemark.

Sperrminorität in Mitteleuropa

Andere Staaten wie Schweden, Portugal und Finnland tun sich laut dem Bericht schwer, eine Position zu finden. Mittlerweile ist auch die Unterstützung Frankreichs gebröckelt: Seitdem das Thema bei Élisabeth Borne liegt, sieht die französische Regierung "Probleme bei der Verhältnismäßigkeit".

Dagegen sind aktuell fünf Staaten, hauptsächlich aus Mitteleuropa: Österreich, Slowenien, Deutschland, Polen und Estland. Das reicht für eine Sperrminorität, da in den genannten Ländern mehr als 35 Prozent der EU-Bevölkerung leben. Deutschland hat vorgeschlagen, die Chatkontrolle aus dem Entwurf auszuklammern und später zu beschließen, was wiederum die Kommission sowie die Präsidentschaft ablehnten.

Vor allem Letztere macht nun Druck: Spanien wollte einen neuen Text vorlegen, doch dazu kam es nicht, wie netzpolitik.org berichtet. Als Gründe werden "politische Entwicklungen" genannt. Eine angekündigte Abstimmung Ende September wurde abgesagt, ebenso wie der zweite Versuch Ende Oktober.

Den Institutionen läuft jedenfalls die Zeit davon. Am 1. Dezember will die Ratspräsidentschaft die Arbeitsgruppe Strafverfolgung über den Stand der Dinge informieren. Auch die Kommission will beim Treffen der Justiz- und Innenminister am 5. Dezember "informieren".

Wenn das Gesetz doch noch beschlossen werden soll, müssen sich die Staaten untereinander einigen, bevor Rat und Parlament in die Trilogverhandlungen gehen können. Spanien versucht nun, doch noch Unterstützer zu finden, und führt Einzelgespräche mit den Vertreterinnen und Vertretern von kritischen Staaten. (pez, 24.11.2023)