Erstens: Sprache lenkt unsere Aufmerksamkeit. Woran denken Sie, wenn ich Ihnen sage: Bitte denken Sie nicht an einen schwarzen Hund, der einer weißen Katze nachläuft? – Selbstverständlich haben Sie einen schwarzen Hund vor Augen.

Woran denken Sie, wenn wir von Gewalt an Frauen reden, gegen die Sie und ich selbstverständlich sind? Sie imaginieren Gewalt an Frauen. Denn so funktionieren Verneinungen: Das Verneinte muss in der Imagination erscheinen. Und es tut das umso heftiger, je mehr Emotionen mit dem Genannten verbunden sind.

Wie Sprache wirkt

Zweitens: Das Imaginierte ist einer Umsetzung in die Tat näher als das nie (oder selten) Imaginierte. Das heißt also, je lauter und je öfter gegen Gewalt an Frauen geworben wird, umso öfter muss Gewalt an Frauen in der Vorstellungswelt der Menschen aufgerufen werden und umso näher bringen diese Slogans (oft unbewusst und meist unabsichtlich) die verabscheute gewalttätige Verwirklichung.

Belege zu dieser Wirkungsweise von Sprache liefern uns die Neurowissenschaften ebenso wie der Alltag. Wenn Sie beispielsweise einer übermütigen Gruppe von Zehnjährigen sagen, "Benehmt euch doch nicht wie im Kindergarten!", – das habe ich am Beginn meiner Berufstätigkeit als Englischlehrerin einmal und nie wieder gesagt –, dann vervielfachen die Kinder automatisch den Wirbel, den Sie eben eindämmen wollten. Sagen Sie hingegen: "Benehmt euch doch bitte wie Erwachsene!", versuchen einige Kinder sofort, Erwachsene zu imitieren.

Viktor Frankl, Neurologe, Psychiater und Begründer der Logotherapie, studierte einmal die Suizid-Statistik von Detroit, USA: Da gab es sechs Wochen lang eine drastisch verringerte Zahl an Selbstmorden. Warum? Frankl fand heraus, dass in diesen Wochen ein Zeitungsstreik stattgefunden hatte; die Menschen lasen und sprachen weniger über Suizide – und es gab weniger Suizide. Hierzulande gehört es übrigens zum Ehrenkodex der Printmedien, nicht über Suizide (allen voran nicht über solche von Jugendlichen, die sich vor Züge werfen) zu berichten. Denn es ist bekannt, dass andernfalls die Zahl der Suizide deutlich ansteige.

Silhouetten von Frauen in unterschiedlichen Blautönen
Illustration: Getty Images

Warum sollte die Wirkkraft der Sprache im Zusammenhang mit Gewalt an Frauen anders funktionieren? Tut sie nicht. Sie funktioniert genau so: Je mehr von Gewalt an Frauen und von Femiziden gesprochen wird, umso näher liegt die nächste Verwirklichung.

Selbstverständlich fordert so ein Befund nicht ein Verschweigen der Femizide im Sinne einer Verdrängung von Tatsachen. Eine Diagnose des Negativen und der grässlichen Zustände muss gestellt werden dürfen. Aber dann gilt es, die Imagination bitte mit den angestrebten Inhalten zu beschäftigen, damit die Verwirklichung des Gewünschten um ein Stück näherrückt. Bilder vom erwünschten Resultat sind dazu in die Vorstellungswelt zu rufen.

Erwünschtes Resultat

Also Brainstorming, Kreativität, Fantasie voraus: Wie wollen wir das erwünschte Resultat beschreiben?

Wir brauchen Respekt statt Gewalt, wir brauchen Wertschätzung, Ehrerbietung, Hochachtung selbstständiger Frauen und Bewunderung der Eigenmacht. Denn im Kern ist es bei Femiziden das selbstbestimmte Handeln der Frauen, das im Interesse androzentristisch-patriarchaler Hierarchie ausgeschaltet werden soll; und die Täter machen sich zu Handlangern dieses Prinzips.

"Stellen wir uns vor, wir hätten hunderte Male 'Respekt statt Gewalt' gehört und gelesen statt 'Keine Gewalt an Frauen'."

Als günstigste Kurzformel scheint mir (Verbesserungen selbstverständlich willkommen): "Respekt statt Gewalt." Stellen wir uns vor, wir hätten hunderte Male "Respekt statt Gewalt" gehört und gelesen statt "Keine Gewalt an Frauen" oder Ähnliches.

Selbstverständlich gilt meine Hochachtung und Bewunderung all jenen, die sich um geschlagene, gefolterte oder missbrauchte Frauen kümmern und gekümmert haben, wie auch immer sie diese Kampagnen, Leistungen und Hilfestellungen – auch im Parlament – bisher benannt haben! Solche Aktionen sind unumstößlich notwendig, wertvoll und bewundernswert. Sprachliche Vorgaben eines positiven Resultats würden zusätzlich (und kostenlos) helfen, das gewünschte Ziel eines wertschätzenden Miteinanders zu erreichen. (Elisabeth Schrattenholzer, 14.12.2023)