Hier beschreibe ich mögliche Gründe aus meiner Arbeit als Klinische Sexologin und Psychologische Beraterin, die selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder medizinische Hilfestellung haben. Ich rege herzlich dazu an, sich je nach Situation Unterstützung zu holen, ob bei geeigneten Mediziner:innen, Therapeut:innen, Physiotherapeut:innen oder auch in der Sexualberatung. Manchmal reagiert die Psyche oder der Körper in für uns selbst nicht nachvollziehbarer Weise. Hilfe und Erleichterung gibt es so gut wie immer.

Ob psychisch oder physisch, manchmal geht's einem nach dem Sex nicht richtig gut. Ob Traurigkeit oder Frust, Leere oder auch Unwohlsein. Viele haben so etwas schon mal erlebt, manche leben ständig mit diesem Leidensdruck.

Paar liegt in Bett, ernstes Gespräch
Eine kaum untersuchte Situation, die in der Praxis aber oft geschildert wird: Es geht einem nach dem Sex nicht gut.
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Sexuelle Mythen

Es gibt unzählige sexuelle Mythen, ja auch echte Märchen, die uns im Weg liegen können, denn den "perfekten Sex" gibt es nicht. Ob bestimmte Bilder, Erwartungen, oft unbewusste Regeln, auch bewusste Do's and Dont's uns prägen oder auch Glaubenssätze, die wir nie hinterfragt haben. Auch Scham oder Schuld, oft Ängste aus Unwissenheit oder Unsicherheit lenken uns in bestimmte, manchmal sehr einengende Bahnen. Viel Prägung läuft und lief unbewusst über Sozialisierung, Erziehung, die Gesellschaft, die Medien. Diese Mythen kann man beginnen zu knacken, indem man sich selbst und einander klar macht, was eigentlich alles zur guten Sexualität gehört – und wir es dabei schaffen, Unterschiedlichkeiten auch als Bereicherung annehmen.

Hormon-Hangover

Während erfüllender Sexualität schüttet der Körper einen wahren Hormon-Cocktail an Endorphinen, Dopamin, Serotonin, Oxytocin etc. aus. Nach dem Sex fällt dieser "Hormonrausch" rasch ab, das kann unter Umständen zu mehr oder weniger leicht depressiver Verstimmung führen. Dies ist bitte nicht zu verwechseln damit, dass manche Frauen erzählen, dass sie nach dem Sex weinen – was gar nicht negativ ist, sondern unglaublich befreiend, weil es tief berührt, emotional ist und nun Spannung abfällt.

Beim Sex erhöht sich der Blutdruck, die Durchblutung wird intensiv angeregt und der Atem wird schneller, ähnlich wie beim Sport. Hier können während oder nach dem Sex, ob durch zu niedrigen oder zu hohen Blutdruck, Kreislaufprobleme, Kältegefühl, Kopfschmerz, ja auch Übelkeit auftreten. Ein Glas (warmes) Wasser, etwas Süßes oder Kräftigendes kann den Kreislauf stabilisieren, bei Unterzuckerung etwas Wärmendes. Übrigens helfen warme Füße bei vielen Frauen, um zum Orgasmus zu kommen – gibt es sexy Socken?

Was nicht dazugehört

Schmerzen oder Brennen beim oder nach dem Sex sind ebenfalls nicht zu ignorieren und sollten einfach nicht zum Sex dazugehören, dieses Thema höre ich immer wieder von Frauen. Manchmal sind es simple Gründe, wie empfindliche Schleimhaut trifft auf Hände, die nicht ganz sauber sind. Je nach hormoneller Zyklusphase oder auch während der Phasen der Menopause können Schleimhäute empfindlicher sein, und es kann eine Infektion auftreten. Wenn die Vagina beim Geschlechtsverkehr schmerzt, können beispielsweise mangelnde Erregung/Lubrication oder auch Vaginismus (Scheidenkrampf) Gründe sein. Innerhalb von einigen Minuten nach einem Geschlechtsverkehr raten viele Medizinerinnen Frauen, die Blase zu entleeren, denn so werden eventuelle Bakterien ausgespült. Bei Männern ist die Harnröhre zur Blase länger, deshalb sind sie hier nicht so gefährdet beziehungsweise können auch Bakterien weitergegeben werden, ohne selbst Symptome zu bemerken.

An der Stelle möchte ich auch explizit darauf hinweisen, dass Untersuchungen bei Gynäkolog:innen nicht schmerzhaft sein sollen, wenn sie fachgerecht durchgeführt werden.

Sexuelle Frustration

Sexuelle Frustration kann viele Gründe haben. Wenn beispielsweise körperliche Dysfunktionen den sexuellen Genuss einschränken, können Mediziner:innen oder auch Sexualberater:innen beziehungsweise Therapeut:innen je nach Thema gute Hilfestellung leisten. Achten Sie darauf, dass der Arzt oder die Ärztin Ihres Vertrauens sich auch auf Sie und Ihre Bedürfnisse einlassen kann. Nicht allen Mediziner:innen fällt es leicht, sich mit Sexualität zu befassen, auch ist es leider noch nicht selbstverständlicher Ausbildungsinhalt.

Sexuelle Frustration entsteht auch, wenn möglichst grandiose Orgasmen kein Wunsch, sondern Voraussetzung sind, die nicht erfüllt werden. Hier könnten also auch bestimmte Erwartungen im Weg stehen oder schlicht auch ein mangelndes Bewusstsein dafür, was wir selbst überhaupt alles als sexuell erregend empfinden, und was die andere Person. Ich erlebe immer wieder Menschen mit bestimmten Bildern im Kopf, die nicht realistisch erlebbar sind, weil sie sich beispielsweise an Pornos (= Spielfilmen) orientieren.

Psychische Ursachen

Psychische Gründe gibt es vielfältige. Sei es, dass die eigenen Bedürfnisse in der aktuellen Situation nicht gewahrt wurden, ob von einem selbst oder von Partner:innen. Innerhalb einer Beziehung, wenn sich laufend eine:r "zur Verfügung stellt", kann dies natürlich auch zu großem Unwohlsein beitragen. Wenn jemand mitmacht und nicht möchte, tut das meist beiden nicht gut. Wenn Handlungen beispielsweise als übergriffig, grob, abwertend oder ignorant empfunden wurden. Wenn eine emotionale Verbindung zu dem Menschen, mit dem der Sex stattfand nicht wohltuend oder gar fehlend ist. Wenn Unklarheit herrscht bezüglich des Commitments. Wenn die Beziehung eigentlich nicht mehr guttut, Sie nicht mehr glücklich sind. Wenn es in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Sexualität gegeben hat, etwas getriggert wurde. Wenn es eine rasche Momentbefriedigung sein soll, die einen schalen Geschmack zurücklässt, gerade Singles erzählen dies immer wieder, die (zu) rasch Sex mit noch Unbekannten haben. Das sind einige jener Gründe, mit denen ich immer wieder in der Beratung zu tun habe.

Fehlende Studien

Leider gibt es kaum Studien zur postkoitalen Dysphorie, und doch erleben es viele Menschen manchmal, manche auch öfter dieses "verlorene" Gefühl nach dem Sex. Oft auch nach erfüllender Sexualität können negative Gefühle oder Empfindungen auftreten. Manche Menschen fühlen sich ängstlich, innerlich unruhig, vielleicht auch melancholisch.

2016/17 hatte das Sozialministerium in Österreich eine Tagung zum Thema "Sexuelle Gesundheit – ein blinder Fleck im österreichischen Gesundheitssystem?". Leider fehlen weiterführende klinische Studien und Initiativen um biologische, physische und psychologische Faktoren und Hilfestellungen. Die einzigen Daten, auf die ich mich beziehen kann, sind aus einer Studie 2015, sie wurde in Australien mit circa 230 Frauen, Durchschnittsalter 26 durchgeführt. Hier kam heraus, dass jede zweite Frau unter einem depressionsähnlichen Zustand leidet, und zwar, weil es hier keine wohltuende oder sogar eine fehlende emotionale Bindung zum Partner gab.

Positiven Zugang finden

Zu bitten, dass rasch Gras über die Sache wachsen möge, nützt leider meist nicht, sondern lässt oft das Unwohlsein wachsen. Was jedem Menschen helfen kann, ist, mit einer Person des Vertrauens, manchmal auch im ersten Schritt mit dem:der Partner:innen, über die Herausforderungen und Gründe jedweder Art von Unwohlsein, Schmerzen oder Traurigkeit, Frust, unerfüllten Sehnsüchten und Erwartungen zu sprechen und sich im nächsten Schritt passende fachliche Unterstützung zu holen. Denn gesunde Sexualität ist nicht nur das Fernbleiben aller Einschränkungen, sondern vor allem auch das freudvolle und genussvolle Gestalten und Erleben von Sexualität, einen positiven, respektvollen Zugang. (Nicole Siller, 29.12.2023)