Deutschlandsberg in der Steiermark ist eine ländliche Stadt wie viele in Österreich: Im Ort befinden sich Schulen, Geschäfte, Arztpraxen, Gastronomie. Leute aus der ganzen Region gehen hier einkaufen, erledigen Behördenwege, treffen Bekannte in Cafés und Gasthäusern, lernen und arbeiten hier. So ist zumindest die Idealvorstellung von einem "regionalen Zentrum", wie eine Kleinstadt wie Deutschlandsberg im Fachjargon heißt.

Um statistisch als regionales Zentrum zu gelten, muss man eine erkennbare Verdichtung aufweisen, im Kern liegt das Bevölkerungspotenzial bei 2700 Menschen pro Quadratkilometer. Außerdem gilt es, Schulen, ein Verwaltungszentrum, Arbeitsplätze, Öffis oder medizinische Versorgung vorzuweisen.

Leicht ist es für diese Städte mit meist um die 10.000 bis 20.000 Einwohner allerdings nicht, der Versorgerrolle gerecht zu werden. Wir sprechen von den klassischen ländlichen Bezirkshauptstädten, die es in jedem Bundesland gibt – sei es Mistelbach in Niederösterreich, Oberwart im Burgenland oder Perg in Oberösterreich.

In vielen Städten, auch in kleineren, stehen im Zentrum Geschäftsflächen leer. Das macht diese Orte unattraktiv.
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In den vergangenen Jahrzehnten wurden viele Fehler gemacht. Wohnungen rund um die Hauptplätze sind verwaist, weil die Grundrisse nicht mehr zeitgemäß sind oder Sanierungsarbeiten verschleppt wurden. Gebaut wurde stattdessen auf der grünen Wiese, was zur Zersiedelung beitrug. Um in sein Zuhause in der Wohnsiedlung am Stadtrand zu gelangen, braucht man nun ein Auto. An den Ortsrändern entstanden zudem Einkaufszentren, die aber ebenfalls nur motorisiert erreichbar sind. Das ist nicht nur für den CO2-Ausstoß schädlich, auch zur Attraktivität der Kleinstädte tragen die daraus resultierenden verlassenen Ortszentren wenig bei. Wer will schon an verfallenen Wohnruinen vorbeischlendern oder in leere Schaufenster blicken?

Eine Ortseinfahrt aus der Hölle, hier im steirischen Liezen. In den letzten Jahren wurde vielerorts autozentriert geplant – und auf die Ästhetik vergessen.

Deutschlandsberg in der Steiermark hat ein Fachmarktzentrum am Ortsrand, es muss auch gegen das große Einkaufszentrum Seiersberg ankämpfen, das nur 30 Kilometer entfernt ist. "Es ist ein ständiger Prozess, wir müssen dranbleiben und neue Ideen entwickeln, um attraktiv zu sein", sagt Vizebürgermeister Anton Fabian (SPÖ), der als Verantwortlicher für das Stadtmarketing auch für die Belebung des Stadtzentrums zuständig ist.

Es sei gelungen, die Schulstandorte im Zentrum zu halten und Ärzte in gemeindeeigenen Gebäuden anzusiedeln. Eine Initiative in der jüngeren Vergangenheit war etwa, ein leerstehendes Geschäftslokal anzumieten, in dem nun Kunst gezeigt wird.

Deutschlandsberg in der Steiermark von seiner lieblichen Seite. Tatsächlich kämpft man mit 15 Prozent Leerstand im Zentrum.
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Auch wenn in Deutschlandsberg schon vieles richtig gemacht wird – Leerstand gibt es hier trotzdem. Fabian spricht von 15 Prozent im Stadtzentrum. Wohnungen sind noch nicht mitgerechnet, er bezieht sich auf Geschäftsflächen. Andere Städte sind hier noch stärker betroffen. In Hartberg, das ebenfalls in der Steiermark liegt, oder Wiener Neustadt in Niederösterreich stehen mehr als 20 Prozent der innerstädtischen Handelsflächen leer.

Allerdings ist es mit dem Leerstand so eine Sache. Flächendeckende Zahlen, wie viele Gebäude ungenutzt sind, gibt es nicht und eine österreichweite Vergleichbarkeit ist nicht gegeben.

Das Beratungsunternehmen Standort und Markt führt ein jährliches Monitoring von Verkaufsflächen in Stadtzentren durch. Sieben Prozent Leerstand gibt es in guten Lagen quer über alle Stadtgrößen. Gerade im ländlichen Bereich sind die Daten aber lückenhaft, und es ist keine Aussage zu treffen, wie groß die Problematik auf dem Land ist.

Kein Wohnsitz bedeutet nicht automatisch Leerstand

Um sich dem Leerstand in Bezug auf das Wohnen anzunähern, erstellte die Statistik Austria eine Grafik mit den Wohnsitzmeldungen je Wohneinheit. In 13,3 Prozent – rund 653.000 Wohneinheiten – war überhaupt keine Person gemeldet. Daraus kann man aber nicht schlussfolgern, dass jede siebente Wohnung in Österreich leersteht. Es handelt sich zum Teil um Ferienwohnungen in Tourismusgebieten. Dort meldet man in der Regel weder Haupt- noch Nebenwohnsitz an. Auch kann es Leerstand geben, wenn Wohnungen renoviert werden.

Laut der Erhebung der Statistik Austria sind in Deutschlandsberg 17,3 Prozent der Wohnungen ohne Wohnsitzmeldung. Am Tourismus liegt das hier aber wohl kaum, der spielt in der Bezirkshauptstadt in der südlichen Steiermark eine untergeordnete Rolle. Es entspricht aber einem gesamtösterreichischen Trend: Ländliche Regionen haben einen höheren Anteil an Wohnungen ohne Wohnsitzmeldung als urbane Gebiete, wie eine Auswertung des STANDARD zeigt.

Deutschlandsberg unternimmt derzeit einen neuen Anlauf, leerstehende Gebäude wiederzubeleben. Kurz vor Weihnachten gab es ein Treffen mit fünf privaten Investoren, die Gebäude im Zentrum erworben haben. Geplant ist die Schaffung neuer Geschäftsflächen im Erdgeschoß und die Errichtung neuer Wohnungen in den oberen Stockwerken und Gebäuden dahinter.

"Auch wir müssen unsere Hausaufgaben machen", sagt Vizebürgermeister Fabian. Anfallende Infrastrukturmaßnahmen übernimmt die Gemeinde, und sie werden in Abstimmung mit den Investoren umgesetzt. Die Stadt habe sich auch verpflichtet, die Verkaufsstelle für den Deutschlandsberg-Gutschein auf den Hauptplatz zu übersiedeln. Bisher konnte man die Einkaufsgutscheine, die in 250 Geschäften der Region gültig sind, nur im außerhalb der Stadt liegenden Fachmarktzentrum erwerben.

Ortskernkoordinator und Förderungen

Unterstützung erhält Deutschlandsberg vom Land Steiermark, das sich die Wiederbelebung der Ortszentren vorgenommen hat. "Orts- und Stadtkerne sollen als attraktive und multifunktionale Lebensmittelpunkte für alle Generationen dienen und die Lebensqualität vor Ort maßgeblich stärken", heißt es in einem Folder, der sich an Gemeinden richtet, die für Begleitung durch das Land infrage kommen.

Seit eineinhalb Jahren hat die Steiermark mit Stefan Spindler einen Ortszentrenkoordinator. Auf der einen Seite ist es die Aufgabe des studierten Architekten, Wissen zu vermitteln und Gemeinden aufzuzeigen, welche Möglichkeiten der Umgestaltung ihrer Zentren es gibt. Er erteilt auch Auskunft über unterstützendes Geld, das vom Land lockergemacht wird. Mobilitätsförderungen oder Wohnbauförderungen gibt es schon länger. Oft ist aber nicht bekannt, für welche Projekte das Geld eingesetzt werden kann. Seit diesem Jahr können Privatpersonen zudem eine neue Wirtschaftsförderung abholen, wenn sie leerstehende Geschäftsflächen, die im Zentrum liegen, sanieren. 30 Prozent der Kosten werden übernommen, maximal jedoch 100.000 Euro.

Auf der anderen Seite begleitet Spindler Städte und Gemeinden auch im Prozess der Wiederbelebung: Akteure werden zusammengeholt, Workshops abgehalten und Ideen gemeinsam entwickelt.

Bunte Farbe in der Begegnungszone von Trofaiach. Sie soll signalisieren, dass man sich in einer Begegnungszone befindet.
Nonconform

Deutschlandsberg ist nur einer von mehreren Orten, in denen schon viel Hirnschmalz in die Wiederbelebung fließt. Spricht man mit Expertinnen und Experten, fällt immer wieder die Gemeinde Trofaiach als Positivbeispiel. Bürger wurden eingeladen, ihre Ideen einzubringen. Und in den vergangenen Jahren ist einiges gelungen: Die Hauptstraße wurde zu einer Begegnungszone inklusive Straßenbemalung umgestaltet, die Musikschule im Stadtzentrum angesiedelt und Handelsflächen vermittelt. Mit Erich Biberich, der bei der Gemeinde angestellt ist, gibt es einen Verantwortlichen, der die Projekte vorantreibt.

Kümmerer nennt Elisabeth Leitner, Obfrau des Vereins LandLuft, Personen wie Biberich. Leitner begleitet schon seit vielen Jahren Gemeinden bei der Ortskernbelebung. Kümmerer, was genau soll das sein? Es brauche eine Person, die ortskundig ist, die den Überblick über Neuerungen hat und bei der die Fäden zusammenlaufen.

Leitner macht weitere Faktoren aus, die zu beachten sind, will man eine Stadt zum Positiven wandeln. Wichtig sei es, die Bewohnerinnen und Bewohner ins Boot zu holen. Sie müssen gehört werden und Projekte mittragen. Hilfreich sei es, erfolgreiche Beispiele der Stadterneuerung zu besichtigen und abzuwägen, was für die eigene Gemeinde infrage käme. Viele Gemeinden stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Man müsse das Rad nicht jedes Mal neu erfinden.

Maßnahmen wie eine Leerstandsabgabe hält sie "in letzter Konsequenz" für sinnvoll, um Ortszentren zu beleben. Damit ist gemeint, dass Immobilienbesitzer, die ihre Häuser und Wohnungen leerstehen lassen, eine Gebühr zahlen müssen. Eine höchst umstrittene Forderung in Österreich und deshalb noch nicht bundesweit umgesetzt.

Vom Donut zum Krapfen

Erfahrung mit der Wiederbelebung von Ortszentren hat auch das Büro Nonconform. Roland Gruber und Torsten Klafft sprechen vom Donut-Effekt und veranschaulichen damit die Problematik des Leerstands im Zentrum von Städten. Innen drinnen ist nichts, außen um das Zentrum herum aber das pralle Leben: in Form von Shoppingcentern, Wohnsiedlungen, aber auch kommunalen Einrichtungen wie Schulen. Zufällige, spontane Begegnungen gibt es nur selten.

Ziel bei der Wiederbelebung des Inneren von Städten müsse es sein, vom Donut zum Krapfen zu gelangen. Innen drinnen soll sich das Leben abspielen. Die Marmeladenfüllung steht für das prickelnde Angebot und das süße Leben in der Ortsmitte. In jeder Kommune könne das Rezept oder die Zusammenstellung der Füllung eine andere sein. Mancherorts seien Fußgängerzonen nötig, woanders reichen strengere Parkregelungen aus, um die Stadt für alle wieder attraktiv zu machen.

In einer Kleinstadt sollen sich alle Generationen wohlfühlen. Wichtig sind kurze Wege – nicht nur in der Spielzeug-Modellstadt, sondern auch im echten Leben.
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Gruber und Klafft meinen, dass Kleinstädte einen Krapfen-Effekt erzeugen und eine hohe Lebensqualität bieten können, wenn sie gut aufgestellt sind und sich professionell darum kümmern. Sie können kurze Wege und eine gute Nahversorgung ermöglichen. Im Idealfall gibt es bereits eine gute Öffi-Anbindung, Ärzte und Schulen sind vorhanden. Der Weg ins Grüne ist nicht weit, Erholungszonen liegen automatisch fast vor der Haustür. Beim Aufsuchen des Zentrums sei entscheidend, dass gleich mehrere Wege erledigt werden können. Holt man ein Medikament in der Apotheke ab, dann soll man in unmittelbarer Nähe die Möglichkeit haben, beim Bäcker Brot und in der Buchhandlung ein Buch zu kaufen.

Die neue Arbeitswelt ermöglicht es, dezentral zu arbeiten. Gemeinschaftsbüros sind auch eine Option für Städte in der Peripherie.
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Gruber und Klafft finden auch, dass sich Co-Working-Spaces in Stadtzentren gut etablieren ließen. Die Entwicklung hin zum Homeoffice erlaube es, von entlegeneren Wohnorten aus zu arbeiten. Einen Schreibtisch solle man sich am Hauptplatz mieten können – das trage wiederum zur Belebung bei.

Leben auf dem Land und arbeiten von dort aus, schön und gut. Und wenn man trotz Aktivierung bestehender Flächen keinen Platz zum Wohnen findet? Aufmerksam machen Gruber und Klafft auf den ungenutzten Wohnraum Einfamilienhaus. Gerade ältere Leute bleiben oft allein zurück, wenn die Kinder ausgezogen sind – in viel zu großen Häusern. Hier gelte es, kreative Lösungen zu finden. Einheiten können unterteilt werden und Wohnraum anderen Menschen zur Verfügung gestellt werden.

Viel Potenzial für Wohnraum orten Expertinnen und Experten in Einfamilienhäusern. Sie sind oft zu groß für die darin lebenden Bewohnerinnen und Bewohner.
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Wie wichtig das Thema Wohnen im Stadtzentrum ist, weiß auch Anton Fabian, der Vizebürgermeister in Deutschlandsberg. Je mehr Menschen in der Innenstadt wohnen, desto mehr tut sich, ist Fabian überzeugt. Kurze Wege sind ein Qualitätsmerkmal, das sich dadurch einlösen ließe.

Dass Zersiedelung kein Konzept der Zukunft ist, sei mittlerweile in den Köpfen angekommen, sagt der steirische Ortszentrenkoordinator Stefan Spindler. Er nimmt auch die Kommunen in die Verantwortung, als gutes Beispiel voranzugehen. Einen Kindergarten oder eine Schule auf die grüne Wiese zu bauen scheint auf den ersten Blick praktikabler und günstiger. Im Nachhinein stelle sich oft heraus, dass Nachverdichtung im Zentrum möglich gewesen wäre. Ohne dabei Leerstand im Zentrum und mehr Verkehr und Bodenversiegelung am Stadtrand zu erzeugen. (Datenanalyse: Robin Kohrs, Text: Rosa Winkler-Hermaden, 20.1.2024)