Für die katholische Kirche ist es ein großer Schritt, und es stärkt das Profil von Franziskus als fortschrittlicher Papst; die starken reaktionären Kräfte im Vatikan werden ihm das wohl nicht so einfach nachsehen.

Aus dem Blickwinkel einer spätmodernen Gesellschaft wie der österreichischen hingegen ist das offizielle Ja der katholischen Kirche zu Segnungen homosexueller Paare und nach Scheidung Wiederverheirateter eine halbe Sache. Als Lockerung eines bisher harten Ausschlusses nichtheterosexueller Verbindungen und anderer Lebensgemeinschaften, der sonst im Land großteils überwunden wurde, kommt es recht spät.

Papst Franziskus
Seine Erklärung bringt keine Gleichstellung: Papst Franziskus.
REUTERS/GUGLIELMO MANGIAPANE

Der österreichische Weg und jener in vielen anderen Staaten der Welt führte über eine Vielzahl von Gleichstellungsschritten. Sie haben das Leben homosexueller und unverheirateter Paare in weiten Teilen dem von verheirateten Mann-Frau-Paaren angeglichen, bis hin zur Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule.

Mit einer solchen Gleichstellung hat die am Montag veröffentlichte Erklärung Fiducia supplicans nichts zu tun. Vielmehr privilegiert der Text die Mann-Frau-Ehe mit Kindern klar und deutlich. Nur in diesem Rahmen entspreche Sexualität den theologischen Vorgaben und Überlegungen, wird mehrfach betont. Damit bleiben andere Paare, die ihre Verbindung vor Gott ebenfalls bestärken wollen, die Sünderinnen und Sünder, die sie im Licht der katholischen Lehre schon seit vielen Jahrhunderten sind.

Anordnungen

Das drückt sich auch in einer Reihe von Anordnungen für die nun erlaubten Segnungen aus. So dürfen sie nicht in Zusammenhang mit einer standesamtlichen Feier erfolgen. "Kleidung, Gesten und Worte, die Ausdruck für eine Ehe sind", sind zu vermeiden. Auch darf kein spezifisches Ritual für sie entwickelt werden.

Stattdessen sollen die von der katholischen Norm abweichenden Paare zum Beispiel "beim Besuch eines Heiligtums, bei einem Gebet oder während einer Pilgerreise" gesegnet werden. Das drückt eine Zweitrangigkeit aus, eine Verbannung an den Katzentisch, die der Praxis in vielen Kirchen Österreichs widerspricht. Mutige Pfarrer geben dort homosexuellen und unverheirateten Paaren schon seit vielen Jahren ihren Segen.

Nun mag an dieser Stelle der Einwand kommen, dass es in der katholischen Kirche nicht um säkulare Gleichstellung geht, sondern um Theologie und Moral in Fragen der Ehe. Das stimmt: Die Fiducia supplicans-Erklärung ist nicht zuletzt ein starkes Signal nach innen. Sie eröffnet strenggläubigen Katholikinnen und Katholiken, etwa nach einer Scheidung, die Möglichkeit, eine neue Partnerschaft vor ihrer Kirche zu dokumentieren, ohne wie bisher in die Verbotszone zu geraten.

Auch sollte die Neuerung nicht allein vor einem europäischen – oder auch: westlichen – Hintergrund betrachtet werden. Der Katholizismus ist eine Weltreligion, die im Globalen Süden immer mehr Gläubige auf sich vereint, während sich deren Zahl in Ländern des Nordens unaufhaltsam verringert. In ärmeren Regionen kann die größere vatikanische Toleranz gegenüber Homosexuellen vielleicht auch insgesamt zu Verbesserungen für sie führen – hierzulande erscheint sie unzureichend. Auch das zeigt, wie weit der inhaltliche Spagat für Papst Franziskus ist. (Irene Brickner, 19.12.2023)