GASTBEITRAG: Tobias Glück

Im Angesicht multipler, globaler und existenzieller Krisen scheint Angst aktuell die einzige verbindende Konstante zu sein. Noch nie schien unsere Zivilisation so herausgefordert wie heute. Bis zur Pandemie lebten wir in der VUCA-Welt (volatil, ungewiss, komplex, ambig), die noch handhabbar schien, wenn auch fordernd. Mit der Pandemie, den immer klarer spürbaren Folgen des Klimawandels, der gefühlt wachsenden Ungleichheit, sich verhärtenden Fronten und den globalen Frieden bedrohenden Kriegen wurde die BANI-Welt proklamiert – brüchig, ängstlich, non-linear und unbegreiflich.

Dies liegt nicht nur an den realen Bedrohungen, sondern in unserer heutigen vernetzten, chaotischen Welt auch daran, wie diese Bedrohungen dargestellt werden, und an dem Gefühl, dem ausgeliefert zu sein. Trotz aller technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen scheitern wir noch immer an unserem unveränderten Unvermögen, emotional und sozial adäquat auf diese Herausforderungen zu reagieren.

Eine Frau blickt angstvoll zwischen auseinander geschobenen Lamellen einer Jalousie durch
Angst lässt uns schnell in Filterblasen vereinsamen, wenn wir ihr nicht begegnen.
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Emotionen sind das Schmerzsystem für unerfüllte Bedürfnisse und schützen vor Bedrohung. Sie warnen, können aber auch täuschen. Angst entsteht unter anderem, wenn wir glauben, keine Kontrolle zu haben und das Bedürfnis nach Sicherheit nicht befriedigt wird. Das Gehirn reagiert allergisch auf Unsicherheit und giert nach Kontrolle und Information. Angst macht sprachlos, lässt uns hektisch nach Lösungen suchen, engt das Blickfeld ein und treibt uns dazu, jegliche Unsicherheit vermeiden zu wollen.

Angst ist auch der Vorbote von Misstrauen, Hass und Gewalt. Sie treibt uns weg von der Ursache, lässt uns flüchten, macht uns misstrauisch und verhindert so, Probleme zu benennen und sich ihnen zu stellen. Gleichzeitig vereinsamen wir in unseren Filterblasen, meiden die geistige Auseinandersetzung mit anderen und den konstruktiven Austausch mit ihnen.

Gefangen in der Grübelschleife

In Zeiten von Social Media und KI wird das zum Teufelskreis. Statt mit Fakten und Informationen ein Gegenmittel zur Verfügung zu stellen, vermitteln Echokammern und Algorithmen ein falsches Gefühl der Sicherheit und verstärken letztlich Ängste. Das Gehirn sagt: "Fake News is better than no news." Der Vertrauensverlust in Institutionen und Wissenschaft, der vermeintliche Verlust verbindender Werte und gesellschaftlicher Einbettung, die Privatisierung von Fakten und Moral und die damit einhergehende Entfremdung und Frontenbildung tun ihr Übriges. Das Gefühl, all dem nichts entgegensetzen zu können, bewirkt, dass Angst und Hoffnungslosigkeit unser Zeitalter bestimmen. Willkommen im Phobozän.

Als Individuum obliegt es mir, wie ich auf Ängste und Sorgen reagiere und dass ich lernen kann, sie bewusst wahrzunehmen und auszuhalten. Angst, wie jede Emotion, flutet an, erreicht einen Peak und flaut wieder ab. Das Problem entsteht dann, wenn ich Angst nicht fühlen will, diese Welle unterbreche oder durch Grübelschleifen und irrationale Handlungen kontrollieren will und die Angst damit aufrechterhalte. Notwendig wäre, statt automatisch in alte, wenig hilfreiche Reaktionsmuster zu verfallen, zuerst zu erkennen, dass es die Angst ist, die mich so reagieren lässt.

Angst, Härte, Ignoranz

Oft erleben Menschen sich als schwach und verletzlich, wenn sie Angst haben, und verurteilen sich dafür. Viele haben jedoch unbewusst am meisten Angst vor sich selbst, da sie selbst ihre größten Kritiker sind. So verharren sie in ihrer Angst, treffen keine Entscheidungen, benennen andere als Schuldige, vermeiden den Dialog und stehen so einer Veränderung im Weg.

Anzuerkennen, dass unangenehme Gefühle bei jedem auftreten, sich selbst und anderen gegenüber mit Freundlichkeit und Fürsorge zu reagieren, statt mit Härte und Ignoranz, erzeugt Verbundenheit und Sicherheit. So erweitert sich das Blickfeld, und Schuldzuweisungen erübrigen sich. Stattdessen wächst Akzeptanz, man traut sich Verantwortung für sich und sein Erleben zu übernehmen und erlernt neue, überlegte und wirksame Antworten. Gleichzeitig kann ich mich abgrenzen und für mich einstehen, wenn es gefordert ist, ohne andere moralisch abzuwerten.

Besonders Organisationen und Gesellschaften tragen Verantwortung dafür, Austausch und Entwicklung zu ermöglichen. Das heißt, Themen anzugehen, die Menschen wichtig sind, aber auch, welche Führungspersonen ausgewählt und gegebenenfalls zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie Fehler machen oder sich falsch verhalten.

Angst verleitet dazu, kurzsichtige Entscheidungen zu treffen und denen zu folgen, die ein Trugbild von Kontrolle vermitteln und einfache Lösungen versprechen, Fakten negieren oder vorgeben, sich um das gesellschaftliche oder organisationale Wohlergehen zu kümmern, nur um ihre eigenen Bedürfnisse nach Macht, Anerkennung und Reichtum zu befriedigen. Sie unterdrücken, wovor sie Angst haben, und suchen es im schlimmsten Fall zu vernichten.

Fehlende soziale Innovation

Helfen würden Transparenz, die Ermöglichung und Förderung gesellschaftlicher Teilhabe und Verantwortungsträger, die Fehler eingestehen und Konsequenzen daraus ziehen sowie Entscheidungen treffen, die auf Fakten basieren. Was keinesfalls hilft, sind falsche Versprechungen, angekündigte Veränderungen, die nicht umgesetzt werden, und Strukturen, die Menschen durch ihre Gleichgültigkeit hilflos machen. Es bedeutet aber auch, endlich die entsprechenden Ressourcen für Bildung und soziale Belange bereitzustellen und notwendige Innovationen zu fördern.

Für Unternehmen heißt das, mehr Zeit und Geld in die sozialen und emotionalen Fertigkeiten ihrer Mitarbeiter und Führungskräfte zu investieren. Gesellschaftlich, dass bereits im Kindergarten und in der Schule praktisches Wissen dazu vermittelt wird, Konflikte konstruktiv durch Empathie und Zuhören zu lösen und gesund mit Emotionen umzugehen. Wir brauchen Bildungssysteme, die Menschen beibringen, wie sie Wissen und Fakten erkennen und sich aneignen, die eine auf Fakten basierte eigene Meinung belohnen und Zivilcourage fördern.

Der amerikanische Klimaforscher Michael Mann sagt: "Wut ist die beste Emotion, um den Wandel voranzubringen." Er meint konstruktive Wut über Missstände, die uns Energie und Mut für Veränderung gibt. Es gäbe viele mutmachende Beispiele, aber wenn wir nicht endlich aufwachen und anerkennen, dass soziale Innovationen nicht mindestens genauso mächtig, wertvoll und finanzierenswert sind, dann versagen wir als Menschheit. (Tobias Glück, 4.1.2024)