Frau mit buntem Papierkonfetti in Händen
Neues Jahr, neuer Ehrgeiz. Nur wenige Neujahrsvorsätze halten jedoch länger als der Konfettiregen der Silvesternacht.
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Vor einigen Jahren hat mich eine Freundin den Brauch gelehrt, rund um den Jahreswechsel Wünsche zu verbrennen. Das geht so: Man schreibt 13 Wünsche für das kommende Jahr separat auf Zettel und verbrennt während der zwölf Raunächte täglich einen – ung’schaut. Für die Erfüllung dieser Wünsche ist dann das Universum verantwortlich; der eine Wunschzettel aber, der übrig bleibt, für den ist man selbst zuständig, auf den kann man dann seinen gesamten Ehrgeiz legen.

Wenn man nun ein Mensch ist, der glaubt, dass das Universum einem Wünsche erfüllt, dann ist man wahrscheinlich vom Wesen her schon so beglückt, dass man gar keine Wünsche mehr haben muss. Aber der Jahreswechsel bringt nun einmal seltsame Erscheinungen im Menschen hervor, und viele Wünsche haben mit dem Ehrgeiz zu tun, im heranrückenden Jahr endlich etwas zu schaffen, was man in den letzten Jahren nicht geschafft hat. Viele dieser Ehrgeize haben mit einem gesünderen Lebensstil zu tun: mit dem Rauchen aufhören, keinen Alkohol mehr trinken, den Zucker weglassen, mehr Sport machen, you name it. Jedes Jahr weit oben auf der Liste guter Vorsätze steht das Thema Abnehmen.

"Im nächsten Jahr wird alles besser."

Wenn man so wie der Weihnachtsmann ein Dickerl ist oder nicht so recht an Sinn und Zweck der Body-Positivity-Bewegung glaubt, dann ist das natürlich nicht nur ein Neujahrs-, sondern ein lebensbegleitendes Thema. Im nächsten Jahr wird alles besser. Es ist ja kein neuer Trend, dass Begleiterinnen und Begleiter früherer Kindheiten wie Biene Maja oder zwischenzeitlich auch der Pumuckl nach einem Relaunch deutlich verschlankt auftreten müssen. Homer Simpson oder Obelix sind anachronistische Vertreter von männlich-gemütlichen Kugelbauchträgern. Ein beleibtes weibliches Rolemodel fällt mir auch nach längerem Nachdenken nicht ein. Aus dem kindlich-pummeligen Christkind in der Krippe wurde beim Nürnberger Adventmarkt eine großgewachsene 17-Jährige, die offensichtlich nicht beleibt sein sollte. Was also tun, wenn man zu dick ist, um dort je als Christkind ausgewählt zu werden?

Nie wieder Selbstgeißelung

Ein neues Wundermittel dräut am Horizont aller Diätmüden. Der Zaubertrank der Schlankheitswilligen heißt Ozempic und wird mittels Spritze verabreicht. Ozempic ist so beliebt, dass es mittlerweile schon den Diabetikerinnen und Diabetikern weggenommen wird, die es dringend benötigen würden. Wie bei jedem stark nachgefragten Medikament sind auch schon Fälschungen im Umlauf, die teilweise lebensbedrohliche Komplikationen hervorrufen.

Es verspricht all das, was "stark Gebaute" sich so sehr wünschen: frei sein vom Kalorienzählen, nie wieder Selbstgeißelungen nach einem üppigen Mahl und endlich mit einem ansprechend dünnen Körper auf Instagram angeben können. Adipöse können sich in Zukunft Operationen wie den Magen-Bypass ersparen. Ozempic oder die nachfolgende Generation an Wundermitteln wird uns alle schlank und rank machen. Es ist nur mehr eine Frage der Zeit, bis auch der adipöse Weihnachtsmann sich wöchentlich behandeln lässt, um nicht länger den Vorwürfen besorgter Eltern ausgesetzt zu sein, ein schlechtes Vorbild für ihre Kinder zu sein.

Unter die Haut gehende Wahrheit

Langzeitstudien gibt es noch nicht. Bisher scheint jedoch klar zu sein, dass, will man sein neues Körpergewicht halten, eine lebenslange Verabreichung der "Abnehmspritze" unumgänglich zu sein scheint. Gehen wir kurz davon aus, dass dieses Wundermittel tatsächlich ungefährlich ist, nehmen wir an, man kann sich tatsächlich sorglos damit schlank therapieren: Was wird das für soziale Folgen haben? Es gibt jetzt schon Menschen, die es sich verschreiben lassen, ihrer Umwelt aber lieber erzählen, nur ihr eiserner Wille, schweißtreibender Sport und die heilige Ernährungsumstellung hätten endlich zum Erfolg geführt. Dich, der du selbst immer noch nicht in die Jeans von 1995 passt, lassen sie gedemütigter als je zuvor zurück. Erst auf gezielte Nachfrage wird dann mit der unter die Haut gehenden Wahrheit der wöchentlichen Injektion herausgerückt.

Wenn die Spritze erst für alle leicht verfügbar ist, zuvorderst für die, die sie aus medizinischen Gründen wirklich dringend brauchen, ist es dann überhaupt noch möglich, sie nicht zu nehmen? Wenn alle so leicht schlank sein können, wie ist es denn mit jenen, die weiter versuchen wollen, sich ohne medikamentöse Hilfe zu verdünnen? Die nicht an Wunder ohne Nebenwirkungen glauben? Oder, und diese Furcht ist gar nicht selten, was ist dann mit all den Übergewichtigen, die schlichtweg Angst vor Nadeln haben?

Sozialer Konformitätswahn

Wie man auszuschauen hat, ist ein bestimmendes Thema der heutigen Gesellschaft: Menschen, die ohne allgegenwärtige Beeinflussung durch Instagram und Tiktok aufgewachsen sind, können sich glücklich schätzen, weil sie im besten Fall so etwas wie Selbstbewusstsein oder Körpergefühl entwickeln konnten. Der durch soziale Medien befeuerte Konformitätswahn weckt in Menschen immer jüngeren Alters den Ehrgeiz, sich mit Operationen und Body-Modifications dem aktuellen Schönheitsbild anzugleichen. Wer sich Rippen entfernen lässt, um eine Wespentaille zu bekommen, für den ist eine wöchentlich zu setzende Spritze keine Herausforderung mehr.

Ozempic passt perfekt in unsere Gesellschaft. Es beantwortet keine größeren Fragestellungen wie die Verantwortung der Lebensmittelkonzerne in den Industrieländern für zunehmende Fettleibigkeit oder eine grassierende denaturierte, sitzende Lebensweise heranwachsender Jugendlicher und auch Erwachsener, die den Körper in Arbeit oder Freizeit stundenlang ruhigstellt. Ozempic bekämpft Symptome.

Reicht das für den Neujahrsvorsatz? Zu Risiken und Nebenwirkungen befragen Sie am besten das Universum. (Andrea Stift-Laube, 30.12.2023)