Bambuszahnbürste; Holz
Die kleinen Schritte zu einem nachhaltigeren Leben fallen leicht – leichter als so manche großen Veränderungen. Aber sind sie auch sinnvoll?
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Klein anfangen ist besser als gar nicht anfangen

Seit einigen Jahren landen die Plastikbecher, die auf einem Flug der Austrian Airlines gesammelt werden, nicht mehr im Restmüll. Die Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter sammeln sie getrennt ein. Der Grund: Die Becher werden gereinigt sowie zerkleinert, und daraus entsteht schließlich synthetisches Rohöl. Dieses Rohöl liefert die Basis für Treibstoffe und Kunststoffe. Mit der Sammelaktion unterstütze man eine "ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft", heißt es von der AUA.

Der Nachhaltigkeitsgedanke ist lobenswert, erscheint aber auch irgendwie absurd, wenn man sich verdeutlicht, welch schiere Menge an CO2-Emissionen bei einem Flug ausgestoßen wird. Im Gegensatz dazu erscheinen die Plastikbecher, aus denen Passagiere trinken, als eine zu vernachlässigende Kleinigkeit.

Und dennoch: Die Masse macht's. In einem Airbus haben rund 200 Menschen Platz. Angenommen jeder Passagier und jede Passagierin trinken durchschnittlich ein Getränk (auf Kurztrecken gibt es inzwischen keine Gratisgetränke mehr, aber auf der Langstrecke wird wahrscheinlich umso mehr getrunken), kommen pro Tag 200 Becher zum Einsatz. Wenn nach Angaben der Airline aktuell durchschnittlich circa 220 Flüge täglich abheben, kann man sich ausrechnen, wie viele Becher täglich gebraucht werden, nämlich 44.000. Und das nur bei einer einzigen Airline an einem einzigen Tag.

Natürlich wird es nicht das globale Müllproblem lösen, wenn Austrian Airlines ihre Becher wiederverwerten, aber sonst alles weitergeht wie bisher. So wie es nicht die finale Lösung sein wird, wenn Supermärkte Gemüsesackerln anbieten, die aus Biomasse anstatt Plastik gefertigt werden, oder Kaffeehäuser wiederverwendbare To-go-Becher einführen. Ebenso wenig wird die Kreditkarte aus Holz die Klimaproblematik lösen. Auch die Bambuszahnbürste wird zwar aus einem schnell nachwachsenden Rohstoff gefertigt, enthält jedoch Kunststoffe oder Kleber, weshalb sie im Restmüll entsorgt werden muss wie jede andere Zahnbürste auch. Genauso übrigens wie die Ökowindel oder das Kaktusleder.

Dennoch: Auch diese Veränderungen sind wichtig. Nicht zuletzt deshalb, weil sie ein Nachdenken in Gang setzen können – darüber, was falsch läuft und wie man es besser machen könnte. Muss es wirklich immer Plastik sein? Müssen wir wirklich alles wegschmeißen, können wir nicht mehr wiederverwenden? Haben Dinge nicht auch noch nach deren Gebrauch einen Wert? Bambuszahnbürste, Mehrwegbecher oder Holzkreditkarte retten vielleicht nicht die Umwelt, aber sie erinnern an einen sorgsameren Umgang damit und sind im besten Fall ein Anstoß für einen Systemwandel. Außerdem: Wenn wir nicht bei kleinen Dingen anfangen, dann fangen wir womöglich gar nicht an. (Lisa Breit, 10.1.2024)

Nicht prokrastinieren

Klimaschutz ist en vogue. Unternehmen buhlen mit Versprechungen zur angeblichen Nachhaltigkeit ihrer Produkte um ökologisch bewusste Käuferinnen und Käufer. Biologisch abbaubare Materialien, kurze Transportwege oder ein geringerer Fußabdruck sollen die Zahnbürste, das T-Shirt oder das Auto zur Lösung im Kampf gegen die Klimakrise machen.

Doch abgesehen davon, dass es sich bei vielen Aussagen um Greenwashing handelt, machen die meisten Verbesserungen nur einen marginalen Unterschied. Jetzt kann man natürlich argumentieren, dass jede CO2-Einsparung, vom Klima-Hunderter auf Autobahnen bis hin zur CO2-Steuer, im Vergleich zu den weltweiten Emissionen nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist.

Doch es gibt eben kleinere und größere Tropfen. Rund ein Drittel der globalen CO2-Emissionen entfallen auf die Erzeugung von Strom und Wärme, weitere 15 Prozent auf Mobilität. Jedes neue Solardach und jede neue Öffi-Verbindung sind ein größerer Schritt in Richtung Klimaneutralität als die Präsentation einer klimafreundlicheren Zahnbürste oder Handyhülle.

Das heißt nicht, dass wir diese Innovationen belächeln oder herunterspielen sollen. Es ist wichtig, für jeden noch so kleinen Lebensbereich ökologischere Alternativen aufzuzeigen – deshalb berichten wir auch darüber. Schließlich sollen im Jahr 2050 auch Zahnbürsten und Handyhüllen klimaneutral sein (sie werden vielleicht nicht aus Bambus sein). Aber wir sollten die kleinen Lösungen als das betrachten, was sie sind: nämlich klein.

Unsere Aufmerksamkeit ist beschränkt, deshalb sollte sie zunächst den großen Brocken gelten, die es für den Weg in eine klimafreundliche Zukunft zu beseitigen gilt. Wer sich bei der Planung eines Hauses in der Auswahl der Knäufe für die Badezimmerkommode verliert, fängt vielleicht nie an, das Fundament zu bauen.

Genau dieses ist auch beim Klimaschutz notwendig. Denn auf ein nachhaltiges System der Energieerzeugung und des Transports bauen alle anderen Bestandteile der Klimawende auf. Für Prokrastination ist keine Zeit. (Philip Pramer, 10.1.2024)