Am 23. Dezember habe ich Geburtstag. Als wäre dies nicht Strafe genug, habe ich von meiner Kollegin Ruth Herzberg – Königin des Prenzlauer Bergs – einen Hut geschenkt bekommen. Aber nicht irgendeinen Hut, sondern einen Ikea-Buckethat aus dem gleichen Material wie die bekannten brutalblauen Einkaufstaschen des schwedischen Einrichtungsgiganten.

Das Hutgeschenk der Herzberg war natürlich eine Frechheit. Eine, die ich ihr jedoch ad hoc verzieh, weil es so erfrischend wurstig war und weil die Autorin von "Die aktuelle Situation" einem ihre Wertschätzung nicht über Last-Minute-Geschenke angedeihen lässt. Und nicht zuletzt auch, weil es ein Geschenk war, das zum Nachdenken einlud.

Person mit Ikea-Hut vor dem Gesicht
Ein Geburtstagsgeschenk der besonderen Art: die Einkaufstasche als Hut.
A. Keppel

Schon seit ein paar Jahren fallen mir immer wieder Menschen auf, die in den eher gentrifizierten Bezirken von Wien und Berlin mit Ikea-Taschen und Täschchen unterwegs sind, auch wenn sie sich offensichtlich gerade nicht vollbeladen mit Selbstbausätzen und Nippes auf dem Rückweg aus dem schwedischsten aller Albträume befinden. Nein, vielmehr werden diese Plastiksäcke seit kurzem mit einem merkwürdigen, augenzwinkernden Stolz umhergetragen, vergleichbar etwa mit der ironischen Aneignung von Omi und Opis Jutesäcken durch die Hipster der späten Zweitausender.

Tragbares Zeichen des kollektiven Stockholm-Syndroms

Dass Ikea das Kultpotenzial seiner Frakta-Einkaufstasche erkannt hat, kann man daran ablesen, dass es diese inzwischen auch in handlicheren Größen, anderen Farben – natürlich in Regenbogen – oder, wie ich es am eigenen Leib erfahren musste, eben auch als Hut gibt. Doch wie kann es sein, dass ausgerechnet diese walk-of-shopping-shame-Bags inzwischen zu einer Art Fashion-Statement geworden sind? Und was wollen ihre Trägerinnen und Träger damit eigentlich zum Ausdruck bringen? Denn auch bei allen aus dem Abfluss der Ironie herbeigezogenen Haaren bleibt die Botschaft doch folgende: Seht her! Ich hab mir den Samstag in einem Megastore versaut und mir dann den ganzen Sonntag mit einem Imbusschlüssel verbaut.

Kurzum: Schon die Standard-Frakta-Tasche ist bei ihrem inszenierten Einsatz fernab von Ikea doch einzig Indiz für das kollektive Stockholm-Syndrom ihrer Träger gegenüber diesem Purgatorium aus Pressspan, Köttbullar, Zwangsverduzung und faulen Verkaufstricks. Jeder Mensch, der weiß, was es bedeutet, sich an einem Samstag in die malmenden Mühlen des Kamprad'schen DIY-Paradieses zu begeben, darf sich mit Recht fragen, ob dies wirklich ein Akt ist, der es verdient zum modischen Statement erhoben zu werden. Denn davor braucht sich der sonntägliche Leidensweg zum Prater-Billa um 21.30 auch nicht mehr zu verstecken.

Von der No-Brand zur Yo-Brand?

Doch Ikea ist nicht allein, wenn es darum geht, vermeintlich selbstironisch mit seinem Image zu spielen. Auch bekannte Discounter wie Lidl oder Aldi/Hofer haben in den letzten Jahren durch Kollektionen mit Logo-Badelatschen, Tennissocken, Sweatshirts an der Umdeutung ihrer Shame- oder No-Brands zum Statement beziehungsweise Kult aufmerken lassen. Was bei Balenciaga und Vetements mit ihren Fremd-Logo-Appropriationen irgendwie noch als cleveres Bäuerchen der Postmoderne funktionierte, ging bei Lars Eidingers Aldi-Taschen aus Rindsleder für schlanke 550 Euro – samt Fotoshooting des Schauspielers an Schlafplätzen Berliner Obdachloser – bereits gehörig nach hinten los.

Verunglückte Selbstironie

Allerspätestens ab der nächsten Schwundstufe dieser Strategie der Armutsästhetisierung in Gestalt von Ikea- und Discounter-Fan-Artikeln gerät selbige vollends zur Farce. Denn es macht schon einen Unterschied, ob ich ein T-Shirt mit dem Logo-Highjacking der Berliner Stadtreinigung durch Vetements für 625 Euro trage – was im Prinzip schon idiotisch genug ist – oder ob das Label meines Discounters auf dem Sweatshirt prangt, das dem auf meiner Einkaufstasche entspricht und auch nicht bedeutend mehr gekostet hat als diese.

Personen posieren in von HOFER gebrandeter Kleidung
Botschaft: Du zum Hofer-Preis.
HOFER

So hinterlässt das von halbschlauen Marketing-Witzbolden gemachte und vergiftete Geschenk einer ironischen Affirmationsmöglichkeit ihrer Lidl- und Ikea-Lebensrealitäten an prekarisierungsbedrohte Jungakademiker bei mir ein doch eher mulmiges Gefühl.

Zumindest hatte aber dieser blaue Hut so doch noch sein Gutes, nämlich als der Trigger dieses Textes. Danke Ruth! (Alexander Keppel, 15.1.2024)