Othmar Karas, Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments, will bei der kommenden EU-Wahl nicht mehr für seine Partei antreten. Mein politischer Traum ist noch nicht ausgeträumt, ließ er allerdings kürzlich verlauten.

Wenn es künftig eine Liste Karas ("OK") geben sollte, wäre das jedenfalls ein Warnsignal in Richtung der derzeitigen ÖVP-Führung: Es gibt noch Christdemokraten, die die halbherzige Haltung der Türkisen gegenüber der FPÖ und deren Themen und Ideologien nicht goutieren.

Tritt nicht mehr bei der Europawahl an: ÖVP-Politiker Othmar Karas.
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Was heutzutage konservativ oder bürgerlich ist, scheint nicht mehr so klar zu sein wie in früheren Zeiten. Anzug und Krawatte tragen statt Jeans und T-Shirt? Bei Konflikten zu den Unternehmern und nicht zu den Gewerkschaften halten? Mindestens drei Kinder haben und gleichgeschlechtliche Beziehungen grauslich finden? Mehr privat, weniger Staat? Das auch. Aber bei der praktischen Frage, ob die ÖVP nach den nächsten Nationalratswahlen eine Koalition mit der FPÖ eingehen sollte oder nicht, gibt es Differenzen.

Türkis-Blau

Vielen Bürgerlichen sind Herbert Kickls Schimpfereien unsympathisch, aber wenn es hart auf hart geht, ist ihnen Türkis-Blau immer noch lieber als Türkis-Rot.

Bernhard Görg, Ex-Obmann der Wiener ÖVP, hat dazu kürzlich im STANDARD Klartext gesprochen: Er würde zwar Magenschutztabletten brauchen, um einen Koalitionspartner wie den niederösterreichischen FPÖ-Chef Udo Landbauer auszuhalten, aber für die Mehrheit der ÖVP-Wähler sei die Alternative, der SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler, "der Leibhaftige höchstpersönlich". Daher sei eine Festlegung im Voraus auf ein Nein zu einer Koalition mit den Freiheitlichen schädlich für die ÖVP und daher abzulehnen.

Karas, der abtrünnige ÖVPler, hat im EU-Parlament mehrmals gegen die Parteilinie gestimmt. Einmal beim sogenannten Green Deal, der Renaturierung von Bodenflächen, einmal bei der Frage, ob Rumänien und Bulgarien der Eintritt in den Schengenraum gewährt werden solle oder nicht, und einmal beim Problem der Einstimmigkeit bei EU-Entscheidungen. Hier ging es darum, ob ein Land mit seinem Veto eine gemeinsame Entscheidung verhindern können soll, wie es Ungarns Viktor Orbán wiederholt getan hat.

Was ist wichtiger – Europa, das große Friedensprojekt, oder nationale Partikularinteressen? Auch das ist eine Frage, an der sich in der Kanzlerpartei die Geister scheiden. Und nicht nur dort, auch in der SPÖ gibt es EU-Skeptiker.

"Brandmauer hält"

Inzwischen sehnen sich auch auf der Linken nicht wenige Menschen nach "Schwarzen" alter Schule, bei denen wenigstens klar ist, dass sie uneingeschränkt gegen jede Art von Autoritarismus und Faschismus in neuem Gewand und verlässliche Europäer sind. "Die Brandmauer hält", versicherte vor einiger Zeit ein führender Politiker der deutschen CDU. Aber auch daran wird in unserem Nachbarland heute gezweifelt.

"Echte" Christdemokraten und "echte" Sozialdemokraten – Politikermodelle, die keine Selbstverständlichkeiten mehr sind. Eigentlich schade. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 10.1.2024)