Nehammer bei der Präsentation der Kampagne
Nicht mit Herbert Kickl, aber mit der FPÖ – in der Koalitionsfrage will sich Karl Nehammers ÖVP nicht eindeutig festlegen.
Foto: APA / Roland Schlager

Ich halte mich für unverdächtig, auch nur das Geringste für die FPÖ übrig zu haben. Im Jahr 2000 habe ich im Bundesparteivorstand gegen Schwarz-Blau gestimmt.

Nicht, weil Jörg Haider ein verkappter Nazi gewesen wäre. Das war er meiner Meinung nach nicht. Sondern weil er ein verantwortungsloser Spieler gewesen ist, was spätestens mit dem Hypo-Alpe-Adria-Desaster auch denen in meiner Partei klar geworden sein muss, die sich Haider vorher schöngeredet haben. (Natürlich hat er im Teich der Ehemaligen gefischt. Aber das hat Bruno Kreisky viel schamloser getan. Und Haiders immer wieder zitierter Sager von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik" war zwar aus meiner Sicht falsch, weil an einer auf Krieg abzielenden Politik nichts "ordentlich" ist, aber kein Beleg für eine NS-Gesinnung. Viele große und der Hitler-Nähe unverdächtige Kirchenlichter haben das ähnlich wie Haider gesehen. Nur ein Beispiel: die Aussagen des früheren deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt über Hitlers Wirtschaftspolitik in einem legendären Streitgespräch mit dem Harvard-Historiker Fritz Stern in der Zeit.)

Ein Riesenunglück

Habe ich damals Haider für ein Unglück gehalten, so halte ich Herbert Kickl heute für ein Riesenunglück. Weil ich dessen Ungeist, der sich nicht zuletzt aus einem großen Minderwertigkeitskomplex speist, für problematischer halte als Haiders Selbstüberschätzung. So weit mein Verhältnis zur FPÖ.

Nun ist es leider nicht ausgeschlossen, dass meine Partei ähnlich wie vor mehr als 20 Jahren bei der Nationalratswahl wieder hinter der FPÖ durchs Ziel geht. Und zwar deutlicher als damals. Ich gehe allerdings davon aus, dass es in diesem Fall überhaupt keine Debatte über eine mögliche Koalition mit der FPÖ geben wird – weil Kickl anders als Haider einen ÖVP-Kanzler nicht akzeptieren wird. Und das wäre für meine Partei unverzichtbare Grundbedingung. Ich bin zwar schon lange aus dem Geschäft, aber so weit kenne ich die ÖVP noch immer, um das mit Bestimmtheit sagen zu können.

Vorhandener Siegeswille

Wenn es ohnehin zu keiner ÖVP-FPÖ-Koalition kommt, was hindert dann meine Partei daran, nicht von vornherein zu sagen, dass sie eine Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene ausschließt? Die Antwort ist einfach: Gott sei Dank schützt sie ein noch vorhandener Siegeswille oder zumindest ein stark ausgeprägter Überlebenstrieb davor.

Zunächst fällt auf, dass die Forderung an die ÖVP, eine mögliche Koalition mit der FPÖ öffentlich und hochoffiziell abzulehnen, fast ausschließlich von Leuten kommt, die sowieso mit der ÖVP nichts am Hut haben. Mein Freundes- und Bekanntenkreis ist zugegebenermaßen parteipolitisch nicht sehr divers. Die meisten sind ÖVP-affin. Mit Ausnahme von zweien wünscht sich keiner eine Distanzierung von der FPÖ. Interessanterweise sind es just diese beiden, die mir immer wieder zu verstehen geben, dass sie noch nie in ihrem Leben meine Partei gewählt haben.

Meine These: Die Personen, die von der ÖVP eine offizielle Distanzierung von der FPÖ fordern, nehmen bewusst eine Stärkung der FPÖ in Kauf. Hauptsache, die ÖVP verliert krachend.

"Für die Zukunft Österreichs ist die Verhinderung neuer Steuern wichtiger."

Die Haltung der ÖVP-Spitze zur FPÖ scheint mir wesentlich kritischer als die der ÖVP-Basis oder der ÖVP-Wählerinnen und -Wähler. Da finden immer mehr Leute, dass die FPÖ ja eigentlich in Sachen Migration von allem Anfang an richtig gelegen ist und dass man sich in der Wirtschaftspolitik mit ihr eher zusammenraufen wird als mit der von Andreas Babler angeführten SPÖ. Der ist für viele ja der Leibhaftige höchstpersönlich! (Deshalb scheint mir auch die neuerdings von einigen Bundesländergranden gemachte Ansage einer Präferenz für eine Koalition mit der SPÖ zwar nicht gleich politischer Selbstmord zu sein. Aber den Tatbestand der Selbstverstümmelung erfüllt sie allemal.)

Dass die FPÖ im Allgemeinen einen verantwortungslosen Umgang mit Corona propagiert und ihr Parteiobmann im Besonderen geradezu lebensgefährliche Therapievorschläge gemacht hat, wird da schnell vergessen. Und dass sich dort lauter Putin-Versteher tummeln, mag zwar bedauerlich sein. Aber für die Zukunft Österreichs ist die Verhinderung neuer Steuern wichtiger. Das heißt im Klartext: Eine im Vorfeld der Nationalratswahl angekündigte Absage an die FPÖ würde die ÖVP mehr Stimmen verlieren als gewinnen lassen.

Moralisches Anrecht

Bleiben noch zwei Fragen. Die erste, ob nicht die Wählerinnen und Wähler ein moralisches Anrecht darauf haben, zu wissen, wie es die ÖVP im Fall des Falles mit der FPÖ halten würde. Ich sage Nein. Weil diejenigen, denen diese Frage unter den Nägeln brennt, ja nicht wehrlos sind. Verweigert ihnen meine Partei die Antwort, können sie sie in der Wahlzelle mit der Höchststrafe belegen – indem sie nicht die ÖVP wählen.

Und die zweite: Ist eine Verweigerung der Antwort nicht ein Indiz dafür, dass die ÖVP nicht doch im Fall des Falles mit der FPÖ gemeinsame Sache machen würde? Wo sie doch auch in Niederösterreich und in Salzburg sogar gegenüber früherer Ansagen mit ihr koaliert. Auch da sage ich Nein, es sei denn, die FPÖ würde der ÖVP trotz Wahlsiegs den Kanzler überlassen – was sicher nicht passieren wird. Außerdem ist zwischen Land und Bund ein himmelhoher Unterschied. Die Länder können mangels Kompetenzen in grundsätzlichen Fragen nichts anstellen, weswegen man auf der Hut sein müsste. Es ist daher ziemlich egal, welche Partei in einem Bundesland hinter der ÖVP die zweite Geige spielt. Ich gebe zwar zu, dass ich persönlich täglich Magenschutztabletten in Unmengen in mich hineinschütten müsste, um einen Koalitionspartner wie Herrn Landbauer auszuhalten, aber politisch merkt man die FPÖ selbst in Niederösterreich nur in Randbereichen. (Bernhard Görg, 6.1.2024)