Jörg Haider (FPÖ) und Wolfgang Schüssel (ÖVP) 
Ausfahrt im "Koalitions-Porsche": Jörg Haider (FPÖ) und Wolfgang Schüssel (ÖVP) im Jahr 2000.
GERT EGGENBERGER / APA / picture

Nicht ohne Rührung habe ich den mir so vertrauten, schönen Gastkommentar von Bernhard Görg über die Undenkbarkeit einer Koalition von ÖVP und FPÖ nach der kommenden Nationalratswahl gelesen (siehe "Der starke Überlebenstrieb der Volkspartei", DER STANDARD, 5./6./7. 1. 2024). Das erste Mal habe ich den Text so gut wie wortidentisch mündlich, in einem Privatissimum von Görgs Parteifreund, Peter Marboe, vorgetragen bekommen.

Es war im Frühjahr 1999 bestimmt ungehörig von mir, bei meinem Antrittsbesuch als designierter Intendant des Klangforum Wien den damaligen Wiener Kulturstadtrat Marboe dazu aufzufordern, sich öffentlich von seiner eigenen Partei zu distanzieren, weil diese sich – damals ganz genau so wie heute – weigerte, eine Koalition mit der Haider-FPÖ definitiv auszuschließen.

Marboe, ganz Grandseigneur, hat mir die Anmaßung dieser Demarche mit keinem Wort verwiesen, sondern mir stattdessen in seiner freundlichen und besonnenen Art eben jene Rede gehalten, die ich nun, fünfundzwanzig Jahre später, von seinem Parteifreund Görg als Festgabe zum Dreikönigstag zu Papier gebracht, im STANDARD wiederfinden darf. Nie und nimmer, sprach Marboe, werde Herr Schüssel. Undenkbar, dass er. Das sei doch alles nur Gerede für den Narrensaum an der eigenen Parteibasis, und so weiter und so fort.

Ganz ohne Zweifel wird Görg in neun Monaten, wenn das vollkommen Unvorstellbare sich wieder ereignet haben wird, ganz genau so ehrlich entsetzt sein, wie es Marboe neun Monate nach meinem Antrittsbesuch gewesen ist. Görgs Vorhersagen sind umso unbedeutender, als er selbst sie auf ganz dünnes Eis gründet: Die ÖVP würde sich mit der FPÖ nur dann einlassen, wenn Herbert Kickl auf das Kanzleramt verzichten würde, und das wäre gänzlich ausgeschlossen. Und warum genau sollte Kickl denn der nach dem Kanzleramt greinenden ÖVP nicht liebend gerne ihren eitlen Kinderwunsch erfüllen, im Austausch für ungleich einflussreichere Ressorts wie Finanz- und Innenministerium etwa?

Wollen wir das noch einmal sehen? Unvergessen, wie "Volkskanzler" Jörg Haider, der nicht einmal Regierungsmitglied war, den von ihm eingesetzten Bundeskanzler wie eine Kriegsbeute im von ihm gesteuerten Coupé vorgeführt hat. "Haiders Schüssel-Porsche", wie einschlägige Medien das Gefährt anlässlich der öffentlichen Versteigerung des vierrädrigen Denkmals im vergangenen März triumphierend und sehr treffend angepriesen haben. Dass sich derlei wiederholt, sollen wir ruhig riskieren, meint Görg. Und warum? Weil für die Zukunft Österreichs die Verhinderung neuer Steuern wichtiger sei als alles andere. Wie, bitte?

Lieber weniger Steuern?

Die Steuern auf Gewinn- und Vermögen sind in den letzten 50 Jahren von damals 20 Prozent auf aktuell neun Prozent gesunken. Die Vermögenskonzentration in der Hand einiger weniger zulasten der großen Mehrheit der Bevölkerung wird dadurch immer drückender und verursacht enormen Schaden. Und dass das so bleibt, soll wichtiger sein als die Integrität der Republik, der Fortbestand der liberalen demokratischen Ordnung, die Achtung vor dem Parlamentarismus, die Sicherheit unseres Verfassungs- und Staatsschutzes, die Distanz zum Kriegsverbrecher Wladimir Putin oder der Klima- und Umweltschutz, der von Görgs Parteifreunden boykottiert wird, wo immer es nur geht?

Die ÖVP wird auf die Empfehlung ihres Stadtrats a. D. hören und die klare und verbindliche Distanzierung von einer Koalition mit der FPÖ verweigern, genauso wie das seinerzeit schon Herr Schüssel getan hat.

Wer die ÖVP wählt, muss sich deshalb bewusst sein, dass er die Verantwortung trägt für die illiberale, demokratie- und parlamentsfeindliche Regierung, die sich auf dieses Votum stützen wird, für die Gefährdung des Staatsschutzes, für das Fortschreiten der Bodenversiegelung, die weitere Schwächung des Umweltschutzes und die Verbrüderung mit dem Verbrecherregime in Moskau. Er bekommt aber auch etwas dafür, tröstet Görg: Die Vererbung von Milliardenvermögen wird in Österreich weiterhin steuerfrei bleiben. (Sven Hartberger, 15.01.2024)