Veit Dengler fordert in seiner Kolumne, "soziale Medien gesetzlich endlich ohne Einschränkung für ihre Inhalte verantwortlich" zu machen, und nimmt dabei vor allem auf Tiktok Bezug. Bloß wird das nicht reichen. So sehr mir dabei mein liberales Herz blutet und ich mir damit selbst in meiner Arbeit als Öffentlichkeitsarbeiter in die Finger schneiden würde: Tiktok gehört verboten, gesetzliche Einschränkungen werden nicht reichen.

Tiktok Netzwerk Jugendliche
Jugendliche vertreiben sich oft mit Tiktok die Zeit. Auch in diesem Netzwerk liebt der Algorithmus Desinformation.
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Denn der Algorithmus von Tiktok unterscheidet sich deutlich von jenen, die wir von Facebook oder Instagram "kennen". Wobei Transparenz hier wie dort ein Fremdwort ist. Der Algorithmus scheint um ein Vielfaches brutaler zu sein und schafft es blitzschnell, die Userinnen und User in Welten zu verführen, die bis dato für sie fremd waren.

Netzwerk der Jungen

Bevor ich das mit einem Beispiel demonstriere: Ja natürlich eignet sich Tiktok perfekt, um junge Menschen zu erreichen, besser als jedes andere Medium. Wir selbst haben in der Gesundheitsabteilung des Landes Steiermark eine Tiktok-Kampagne gestartet, um Interessierte für Gesundheitsberufe ("Zeit für Pflege") zu erreichen, und die Zahlen unterstreichen den Erfolg: Fast jedes Video schafft weit über 100.000 Views, es gibt hunderte Rückmeldungen und Kommentare, unsere Botschaften landen genau dort, wo wir es wollten.

Die andere, viel gefährlichere Seite, zeigt folgendes Experiment: Der Account meines Hundes, dem man wohl keinerlei politische Orientierung in irgendeine Richtung vorwerfen kann, bekam vor kurzem ein Video eines deutschen Rappers in den Feed gespült, in dem dieser bedauerte, dass man heute den 90er-Jahre-Hit L’amour toujours des italienischen DJs Gigi D’Agostino nicht mehr spielen könne.

Als 90er-Jahre-Kind war mir nicht bewusst, dass dieses Lied irgendwie problematisch ist, doch ich lerne: Bei einem "Erntefest" in einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern wurde vergangenen Herbst zu diesem Lied inbrünstig "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" gegrölt, wofür sich auch der deutsche Staatsschutz interessierte.

Rechter Spuk

Was darauf folgte, sagt viel über den Mechanismus von Tiktok aus: Zwei Wochen lang erhielt ich, beziehungsweise mein Hund, laufend Clips von offensichtlich rechts weit außen stehenden Menschen, die mit verträumtem Blick L’amour toujours summen – und dazu immer eingeblendete Texte wie "das verbotene Lied", "wie gerne würd ich jetzt mitsingen", "die neue Hymne". Nach rund 14 Tagen war der Spuk wieder vorbei – zumindest für den Account meines Hundes. Wie sehr das Thema in weniger neutralen Feeds weiterhin aktuell ist, darüber kann man nur spekulieren.

Es war und ist schon schwierig genug, die US-amerikanischen sozialen Netzwerke und Suchmaschinen an ein europäisches rechtliches Regelwerk zu binden, und die Themen, die wir da etwa mit "Hass im Netz" haben, sind weiterhin groß. Das ist jedoch alles kein Vergleich zu Tiktok, das vom chinesischen Unternehmen Bytedance betrieben wird – und wir haben dabei noch gar nicht von den weiterhin offenen Fragen wie Datenschutz, Spionage oder Zensur gesprochen. Da es schwer vorstellbar ist, dass sich der chinesische Konzern europäischen Regeln unterwirft, führt an einem Tiktok-Verbot in Europa kaum ein Weg vorbei. Auch wenn wir uns dann wieder andere Möglichkeiten überlegen müssen, um junge Menschen zu erreichen. (Bernd Pekari, 18.1.2024)