"Das Buch liest sich schnell und einfach. Dennoch kann ich das Buch aufgrund der fehlenden Triggerwarnung nicht weiterempfehlen."

Vor kurzem erschien mein zweiter Roman, "Monstrosa", die Geschichte einer essgestörten Opernsängerin, die in einer psychiatrischen Klinik mit ihren inneren Ungeheuern kämpft. Neben durchwegs positiven Rezensionen von Kritikerinnen und Kritikern finden sich auf Seiten wie Amazon oder Thalia aber diverse negative Bewertungen. Ihr Tenor: Das Buch sei zwar packend geschrieben, es fehle aber eine Triggerwarnung. Der Klappentext von "Monstrosa" spricht von Bodyhorror und Essstörungen, von Schauerroman und einer Psychiatrie, deutet Mobbing und Selbsthass zumindest an. Sollte das als Inhaltswarnung nicht ausreichen?

Illustration mit drei roten Rufzeichen auf gelbem und grünem Hintergrund
Vielen reicht eine allgemeine Triggerwarnung gar nicht mehr.
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Das Konzept der Triggerwarnungen hat seine Wurzeln in den 60er-Jahren, als man begann, posttraumatische Belastungsstörungen besser zu verstehen und zu erforschen. Die Forderung nach allumfassenden Inhaltshinweisen ist dennoch ein recht neues Phänomen, das auch die Literaturwelt nicht unberührt lässt. Einzelne Verlage drucken von sich aus solche Warnungen auf ihre Bücher. Auf den Social-Media-Seiten sehr progressiver Kreise sind diese mahnenden Anmerkungen inzwischen eine Conditio sine qua non und scheinen auf den ersten Blick reinen Absichten zu entstammen: Menschen, die mit Depressionen, unaufgearbeiteten Traumata oder/und anderen psychischen Problemen kämpfen, sollen die Freiheit haben, sich für oder gegen den Konsum gewisser Stoffe zu entscheiden.

Für viele Verfechterinnen und Verfechter der Content-Notes reicht eine allgemeine Triggerwarnung allerdings nicht mehr – sie wollen vor jedem einzelnen "triggernden" Thema explizit gewarnt werden. Dass man Gefahr läuft, anderen Lesenden die Geschichten zu spoilern, also den Ausgang von Romanen und Filmen vorwegzunehmen, interessiert sie nicht. Unter Autorinnen und Autoren wird die Frage nach Triggerwarnungen auf Büchern heftig diskutiert. Die Mehrheit der Schreibenden in meinem Umfeld lehnt sie ab, findet, dass ein gut geschriebener Klappentext ausreicht, sieht sie als Bevormundung, als erweitertes Helicopter-Parenting. Nur wenige Kreative, mit denen ich über das Thema gesprochen habe, befürworten solche Maßnahmen. Unter dem Facebook-Post einer Kritikerin äußerte sich eine Autorin sinngemäß so, dass man eine Frau, die sexuellen Missbrauch erlitten hat, vor der Lektüre von Lolita schützen müsse. Aber greift jemand, der solche Erfahrungen gemacht und mit einem unaufgearbeiteten Trauma kämpft, tatsächlich zu einem Buch, wenn laut Klappentext ein Erwachsener mit einer Zwölfjährigen schläft?

Geistige Gesundheit

Was tun solche Warnungen mit Literatur, mit Kunst – gerade in einer Zeit, in der (nicht nur) im englischsprachigen Raum unbequeme Inhalte und unzeitgemäße Weltbilder aus Büchern editiert werden, anstatt sich kritisch damit auseinanderzusetzen? Zunehmend geht es nicht mehr nur darum, einzelne veraltete Wörter in einem Kinderbuch zu ändern, sondern um ein Weißwaschen, ein Ändern der Vergangenheit. Dabei soll – muss – Kunst verstören dürfen, aufregen, dorthin gehen, wo es wehtut.

Ob Triggerwarnungen überhaupt wirken, ist zudem zunehmend umstritten. Es gibt Studien, die die Wirkung infrage stellen oder zum Schluss kommen, dass der Noceboeffekt die geistige Gesundheit negativ beeinträchtigen kann.

In der Timeline

Woher aber kommt der Wunsch der meist jungen Menschen nach einer Triggerwarnung? Hängt es mit der Art zusammen, wie Inhalte auf sozialen Medien präsentiert werden? Die feministische Journalistin Hannah Berrelli schrieb unlängst auf X (vormals Twitter): "Tiktok ist emotionaler Terrorismus. Ein Video ist ein lustiger Clip von jemandem, der umfällt, im nächsten Clip redet eine Frau über ihren unheilbaren Krebs, der nächste ist ein Rezept, der nächste ist ein Content-Creator, der über Drama mit einem anderen Creator redet. Kein Wunder, dass Menschen so verstört und abgelenkt sind."

Digitale Dauerberieselung

Durch die Algorithmen von Tiktok, aber auch Youtube und anderen Medien kann man sich nie ganz sicher sein, welche Inhalte man zu sehen bekommt. Früher musste man nur die Nachrichten aufdrehen oder Zeitungen und Bücher lesen, um über Tod und Zerstörung informiert zu werden. Heute reicht der Griff zum Smartphone. Soziale Medien spülen Userinnen und Usern problematischen Content in die Timeline, und es genügt, ein Video ein paar Sekunden anzusehen, um noch mehr Drama, Hass und sogar Terrorismus empfohlen zu bekommen. Ältere Generationen, die Tiktok für ein Uhrengeräusch halten, wissen oft nicht, durch welche teils verstörenden Inhalte sich Teens und Twens scrollen. Die Folgen dieser deprimierenden Dauerberieselung: mehr psychische Probleme unter Jugendlichen und sogar Kindern.

Vielleicht entstammt die Forderung nach Triggerwarnungen seitens der Generation Tiktok also einem Wunsch, in dieser Zeit der digitalen Verunsicherung zumindest irgendwelche Inhalte kontrollieren zu können. Ob das der Kunst guttut, ist allerdings fraglich. (Rhea Krčmářová, 21.1.2024)