Im Jahr 1989 ereigneten sich zwei epochale Dinge: der Fall der Berliner Mauer – und der Start der ersten Staffel der TV-Serie "Baywatch". Dass an beiden Ereignissen der Schauspieler David Hasselhoff beteiligt war, wäre heute ausgezeichneter Stoff für Verschwörungstheoretiker, hält aber Faktenchecks stand.

In der Silvesternacht 1989/90 sang Hasselhoff für die wiedervereinten Deutschen an der Berliner Mauer den ziemlich plumpen Hit "Looking for Freedom" – der Song wurde zur meistverkauften Single des Jahres und zur Hymne der Einheit. Und das von Hasselhoff produzierte "Baywatch" explodierte zur erfolgreichsten Serie überhaupt, mit mehr als einer Milliarde Zuschauern in 144 Ländern.

"Baywatch", das war ein popkulturelles Phänomen in 243 Folgen. Wie jedes anständige Pop-Ding brachte "Baywatch" die Kritiker gegen sich auf, die ihm den Superlativ "dümmste Serie der Welt" zuerkannten. Allein der Cast! Eine "Miss Universe" von 1980 (Shawn Weatherly), ein Playmate (Erika Eleniak) und ein drei Jahre nach der Absetzung von "Knight Rider" aus der TV-Versenkung aufgetauchter David Hasselhoff! Bruzzelgebräuntes, aber unterbelichtetes Fernsehen mit gut belüfteten Oberweiten und Geschichten, die schon vor der ersten Welle absaufen, so das Urteil. Mehr sei da nicht, man war sich eins.

Strand, Meer und Sexyness

Nicht so ich. "Baywatch", das waren für mich 48 Minuten aufregendes Abtauchen in eine neue Welt. Die stellte sich zwar ziemlich schwarz-weiß dar, nicht metaphorisch, sondern tatsächlich. Meine Eltern besaßen nämlich nur einen kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher, der aus einer Kiste im Wohnzimmer gehievt werden musste, und erst, nachdem dessen Antenne mehrmals im Kreis gedreht wurde, tauchte am Bildschirm aus dem schneegrieseligen Gestöber FS1 oder FS2 auf (so hießen die österreichischen TV-Programme bis zu ihrer Umbenennung in ORF1 und 2 vor 1991, Disclaimer für Jüngere). Diese Mühe taten wir uns nur für zweierlei an: die Nachrichten – und eben "Baywatch".

Die Baywatch-Rettungsschwimmer um David Hasselhoff (Mitte) konnten vor allem eines: In Zeitlupe über den Strand laufen
Der "Baywatch"-Cast wechselte mit jeder Staffel.
The Baywatch Company

Wenig überraschend emotionalisierte meine Schwester und mich im Alter von knapp elf Jahren die Strandserie ungleich mehr als die Wende in Deutschland. Bis dahin hatten wir Wien maximal Richtung Rankweil zu den Großeltern verlassen. Durch "Baywatch" lernten wir – und ein nicht unerheblicher Teil Heranwachsender - was Strand, Meer und Sexyness sind. Runter vom Sofa, raus aus der Stadt, nix wie weg nach Malibu!

Im echten Leben war das zwar nicht möglich, aber uns blieb immer noch das Stadionbad, wo wir statt über Sand und mit Boje in Zeitlupe mit Schwimmreifen über Beton liefen, in der trügerischen Illusion, dabei auszusehen wie die Malibu-Kens und Malibu-Barbies aus der Serie. Die Mund-zu-Mund-Beatmung wurde zur, hihihi, Schulhof-Chiffre für die ersehnte erste Schmuserei. "Baywatch", das war vieles. Projektion und Wunschvorstellung.

Hält Baywatch 35 Jahre später unserem Blick noch stand? Oder hat die Serie ihre Unschuld verloren, jetzt, wo die Gesellschaft sensibler ist und alerter reagiert auf mangelnde Diversität oder die Fixierung auf unrealistische Körperbilder?

Zeit für ein wenig TV-Paläontologie.

Vom Stadionbad bis nach Malibu

Beginnen wir – wenig überraschend – beim Cast. Waschbrettbauch, knackiger Hintern, Deckweißlächeln und goldglänzende Haut waren die Grundausstattung eines jeden "Baywatch"-Darstellers. "Schauen Sie sich am Strand bei den echten Rettungsschwimmern um. Wer unsportlich ist, wird wohl kaum Ertrinkende aus dem Wasser ziehen", erklärte Schauspieler David Charvet aka "Matt Brody" die Besetzung einst.

Das hat eine gewisse Logik, obwohl die Bademeister im Stadionbad dann doch nie so aussahen wie das "Baywatch"-Personal.

Tatsächlich bildeten Frauen mit mehr als 60 Prozent das Hauptpublikum der Serie, entschuldigt durch den Umstand, dass in den Neunzigern Sexismus und Hautkrebs noch weniger stark Beachtung fanden. Würde man heute noch immer prekär bekleidete Körper derart bildschirmfüllend ausstellen?

NATÜRLICH! Ziehen Sie sich nur mal den letztjährigen Netflix-Quotenhit "Too Hot to Handle" rein. Dagegen ist "Baywatch" von fast schon entzückender Harmlosigkeit.

Anders als viele Männer der Branche bemühte sich David Hasselhoff tatsächlich, sein Set-Bett frauenfrei zu halten. Er wusste, dass ein paar Klagen wegen sexueller Belästigung beim Dreh genügen würden, um die Serie ins Aus zu katapultieren, wie die "Taz" ausführte: "Eine verärgerte Statistin oder jemand, der Opfer eines groben Witzes geworden ist, kann eine Sache, die als 'kleiner Spaß' gemeint war, in einen Prozess um einige Millionen Dollar verwandeln. Dann sind wir erledigt." In den Verträgen aller Mitarbeiter stand zudem eine Klausel gegen sexuelle Belästigung, damals nicht Usus. "David Hasselhoff war wie ein Vater zu mir", sagte Pamela Anderson, die erst in Staffel drei zum Cast stieß und zur prominentesten Badeanzugträgerin wurde, im August 2000 der Zeitschrift "Hello". "Für die Zuschauer waren wir wie Pin-ups, am Set wie Betschwestern."

Die Baywatch-Darstellerinnen Yasmine Bleeth, Pamela Anderson und Alexandra Paul räkeln sich am Strand 
Links Caroline, gespielt von Yasmine Bleeth, rechts Stephanie Holden (Alexandra Paul). In der Mitte: C. J. Parker, verkörpert von "Baywatch"-Ikone Pamela Anderson.
NBC Universal

Kurze Nachschau auf dem YouTube-Kanal "Baywatch Remastered" mit über einer Million Abonnenten. Dort gibt es thematische Compilations der Serien-Highlights. Ein elfminütiger Zusammenschnitt sämtlicher Duschszenen mit dem Titel "Steamy Shower Scenes" kommt auf 39 Millionen Views. Wer jedoch meint, hier ausschließlich weibliche Rettungsschwimmerinnen bei der erotischen Einseifung zu sehen: mitnichten. Das Geschlechterverhältnis ist erstaunlich ausgewogen, die Speedos der Männer sitzen nicht weniger knapp als die Badeanzüge der Frauen. Alles schmuddelfrei und maximal so pikant wie Liptauer. Schließlich wollte man die Serie im prüden Amerika der 90er Jahre bereits am frühen Abend ausstrahlen - und nicht aus Jugendschutzgründen erst um 21 Uhr.

Man spielt, was gefällt

Also alles paletti, die Küstenwächterposse wäre auch 2024 noch ein Hit? Wahrscheinlich nicht, aber für mich schon. Ok, es war schon damals keine künstlerische Meisterleistung, wenn der dramaturgische Höhepunkt einer Geschichte darin bestand, dass ein am Beach umtriebiger Taschendieb von einer Rettungsschwimmerin gestellt wurde. Die "Baywatch"-Plots sind geheimnislos wie ein Automatensnack. Von allem ein bisschen, von nichts zu viel.

Aber es ist ein Wiedersehen mit dem eigenen, jugendlichen, kichernden Ich, das sich unterhalten ließ, ohne viele Fragen zu stellen. Ab und an taucht ein Styropor-Hai aus dem Wasser, es gibt fiese Glücksspieler, ein paar Liebeleien und im Strandgewusel verloren gegangene Kinder. Die eklatanten Handlungslöcher wurden durch verlängerte Zeitlupenaufnahmen laufender Rettungsschwimmer gefüllt, und es war gut so. Hasselhoff lieferte später eine pragmatische Rechtfertigung nach: "Das Budget war knapp, wir mussten die Sendezeit vollbekommen – und den Zuschauern hat es gefallen." Wer will ihm widersprechen? Ich jedenfalls nicht. (Nana Siebert, 20.1.2024)