Godfrid Wessely "musste" 90 Jahre alt werden, dass sein Wikipedia-Eintrag richtiggestellt wurde. Bis dahin war es nicht klar, ob er am 13. oder am 31. Jänner 1934 das Licht erblickte. Godfrid Wessely bestätigt am 15. Jänner 2024 selber, dass er an einem Dienstag, den 13. Jänner 1934, als viertes von sechs Kindern in Großinzersdorf, heute eine Katastralgemeinde der Stadt Zistersdorf, im nördlichen Weinviertel (Niederösterreich) geboren wurde. Somit wurde der offensichtliche Tippfehler, aus 13 wurde 31, geklärt.

Ebenfalls hier geboren und Spielgefährte von Godfrid war Adolf Frohner (1934 bis 2007), der als international anerkannter Künstler reüssierte. Wesselys Vater, Volksschullehrer, starb 1942 im Krieg, seine nun alleinerziehende Mutter hatte für drei noch studierende Kinder zu sorgen. Godfrid besucht die Oberschule am Hackinger Kai (Wien Hietzing), kam 1945 in den Sängerknabenkonvikt des Stiftes Zwettl, ehe er 1947 nach Krems ins Gymnasium wechselte und 1953 maturierte. Somit wären die ersten Meilensteine in der Rubrik "Leben" von Wikipedia geklärt.

WIKIPEDIA-Eintrag
Der – mittlerweile revidierte – Wikipedia-Eintrag zum Geologen Godfrid Wessely warf Fragen zum Geburtstag auf (Abgerufen: 22. Jänner 2024).
WIKIPEDIA

Zu ergänzen ist hier noch Privates: 1959 heiratete er seine Frau Herta, bis 1965 kamen deren vier Kinder auf die Welt. Herta Wessely wurde im beginnenden 21. Jahrhundert zur Ikone des Bürgerprotests. Legendär ist die von ihr im Jänner 2006 initiierte Besetzung des Bacherplatzes in Wien Margareten, wo eine geplante Tiefgarage verhindert werden konnte. Der STANDARD bezeichnete sie als "Die besorgteste Bürgerin der Stadt" (18. November 2007). Die "Presse" titelte am 6. Juni 2010: "Herta Wessely: Grande Dame des Bürgerprotests". In Godfrid hatte sie einen verlässlichen Mitstreiter, er war ab 1993 im "Ruhestand im Hauptberuf" (Zitat Wessely).

Kartierungen der Hainburger Berge als beruflicher Türöffner

Seine Dissertation, die "Geologische Neuaufnahme des Tertiärs und Quartärs der Hainburger Berge und angrenzender Gebiete" begann er im Frühjahr 1955 bei Eberhard Clar (1904 bis 1995), dem damaligen Vorstand des geologischen Institutes der Universität Wien. Nach Kartierungen in den Jahren 1955 und 1956 gab er seine Arbeit im Dezember 1958 ab, am 26. Juni 1959 erfolgte die Promotion. Das Arbeitsgebiet am Rand des östlichen Wiener Beckens enthielt alle wesentlichen Elemente, die er in den nächsten Dekaden benötigen würde.

Die Lockersedimente aus der Erdneuzeit (Tertiär) in den Niederungen westlich von Hainburg studierte er anhand zahlreicher Bohrungen, die ihm die ÖMV (Österreichische Mineralölverwaltung, heute: OMV) zur Verfügung stellte. Kalke und andere Ablagerungen aus dem Erdmittelalter (Mesozoikum) wie er sie in den Hainburger Bergen kartierte, sollten später sein Forschungsfokus im Untergrund des Wiener Beckens werden. Veröffentlicht wurde seine Dissertation im Oktober 1961 von der Geologischen Bundesanstalt, für die er fortan in seiner kargen Freizeit Kartierungen machte. Die Dissertation sollte zum Türöffner seiner Lebensstellung bei der OMV, beginnend mit 1. August 1959 bis 1993, werden.

Godfrid Wessely vor geologischem Wandbild
Erdölmuseum in Prottes: Wessely vor seinem Lebenswerk, dem Untergrund des Wiener Beckens, den er entschlüsseln konnte.
Gerlinde Posch-Trözmüller

Mitgestalter der Firmengeschichte

Die Wandlung der ÖMV als österreichisches Erdölunternehmen zum international tätigen Konzern, der OMV, erlebte er an wechselnden Adressen seines Dienstgebers mit. Er begann 1959 als Bohrgeologe in Prottes im Weinviertel und wurde dann Produktionsgeologe und Mikropaläontologe in Gänserndorf. Die Ablagerungen aus dem Tertiär des Wiener Beckens mit dem Erdölfeld Matzen, dem größten Mitteleuropas, waren seine ersten Betätigungsfelder. 1963 begann seine Zeit als Explorationsgeologe in Wien mit dem Arbeitsbereich Kalkalpen, beziehungsweise dem kalkalpinen Untergrund des Wiener Beckens.

Kurz noch die weiteren Eckdaten seiner Firmenkarriere: 1983 wurde Leiter der ÖMV Aufschlussgeologie (Heute: Explorationsgeologie), 1985 Leiter der ÖMV Geologieabteilung. 1993 ging er in Pension. Seine Wiener Adressen bei der ÖMV, beginnend am Otto-Wagner-Platz 5 (Wien Alsergrund), dann der Hinteren Zollamtsstraße 17 (Wien Landstraße) bis hin zur Gerasdorfer Straße 151 (Wien Floridsdorf) sind ein Stück Firmengeschichte der ÖMV. Diese war 1956, ein Jahr nach dem Staatsvertrag aus der im Oktober 1945 gegründeten SMV (Sowjetische Mineralölverwaltung) hervorgegangen. Der nunmehrige Sitz des Konzerns ist in der Trabrennstraße 6-8 (Wien Leopoldstadt).

Höchste Ehren seitens der Geologen des Landes

Auch bei "Auszeichnungen" und "Schriften" sind Ergänzungen in Wikipedia notwendig. Dass zwei wichtige geowissenschaftliche Institutionen des Landes, die Geologische Bundesanstalt (GBA, nunmehr: GeoSphere Austria) und die Österreichische Geologische Gesellschaft (ÖGG) eine Person mit ihren jeweils höchsten Auszeichnungen ehrten, kam in deren Geschichte nur zweimal vor. Am 23. Juni 1989 erhielt er von der GBA die Haidinger-Medaille. Diese von Eduard van der Nüll (1812 bis 1868), dem Architekten der Wiener Staatsoper, entworfene Medaille wurde in 175 Jahren (1849: Gründungsdatum der GBA) nur 20mal verliehen. Dazu Werner Janoschek in seiner Laudatio: "Die hervorragenden Erfolge der ÖMV in diesem Gebiet und die sicherlich sensationellen übertiefen Bohrungen der ÖMV im Wiener Becken wären ohne den Geologen Godfrid Wessely in dieser Form nicht möglich gewesen."

Haidinger- und Suess Medaille
Höchste Ehrungen der Geologie: Die Haidinger-Medaille (links) und die Eduard-Sueß-Medaille (rechts).
GeoSphere Austria

Die ÖGG folgte 2006 für "sein herausragendes geowissenschaftliches Lebenswerk im Dienste von Industrie und Wissenschaft" mit der Eduard Sueß-Medaille samt Ehrenmitgliedschaft. Damit ist er nach Wilhelm Petraschek (1876 bis 1967) der zweite Geologe, der beide Auszeichnungen erhielt. Bekam Petraschek seine Lorbeeren im Alter von 75 bzw. 80 Jahren; wurde Wessely bereits mit 55, respektive 72 Jahren, geehrt. Ein Jahr später folgte der Würdigungspreis für Wissenschaft des Landes Niederösterreich.

Wesselys Lebenswerk

Dank zahlreicher Tiefbohrungen wissen wir, dass das Wiener Becken aus drei "Stockwerken" besteht. Die Sedimente des Tertiärs („Füllung“) bilden das erste Stockwerk mit reichen Erdölvorkommen, allen voran ist das 1949 entdeckte Feld Matzen zu nennen. Der durch die Gebirgsbildung überschobene Untergrund aus Gesteinseinheiten der Nördlichen Kalkalpen und der Flyschzone bildet das zweite Stockwerk mit bedeutenden Gaslagerstätten. Die darunter – im Liegenden (so die geologische Fachsprache) – lagernden autochthonen (ortsfesten) Ablagerungen (Kalke und Mergel) aus dem Erdmittelalter gehören zum dritten Stockwerk. Die hier erbohrte Mergelsteinserie (Jura-Zeit, des Erdmittelalters) ist das Erdölmuttergestein der Erdölvorkommen im Wiener Becken.

Mit der Bohrung Zistersdorf ÜT 2A, die am 31. Mai 1983 die Endtiefe von 8553 m erreichte und alle drei Stockwerke erbohrt hatte, stellte die ÖMV Rekorde (tiefste Kohlenwasserstoff-Bohrung außerhalb der USA) auf und schrieb Geschichte. Für die geologische Projektierung war er verantwortlich: "TG-Geologie: Dr. Godfrid Wessely" (Abschlussbericht der Bohrung). Für ihn, der damals im 50. Lebensjahr stand, fast ein Heimspiel, hatte er doch nur ein paar Kilometer weiter südlich in Großinzersdorf das Licht der Welt erblickt. Ob Zisterdorf ÜT 2A, die 6.630 Meter tiefe Bohrung Aderklaa Ultra T1b oder die Maustrenk ÜT 1a mit 6.563 Meter, Wessely war Mastermind hinter all den tiefen Bohrungen.

Bohrturm und Bohrkern
Der Bohrturm von Zistersdorf ÜT2A mit dem Bohrkern (Mergelsteinserie) aus 8.553 Meter Tiefe.
Reinhard Roetzel / GeoSphere Austria

Mit jeder Bohrung kamen neues Licht in den Untergrund des Wiener Beckens. Die gesamte Schichtfolge, die man obertags kennt, konnte nun auch im Untergrund nachgewiesen werden. Anlässlich seines 90ers erinnert er sich zurück: "Als die ÖMV daran ging den Untergrund des Wiener Beckens zu studieren, musste ich mich mit den Kalkalpen auseinandersetzen." Die damaligen Erdölgeologen waren Experten im ersten Stockwerk, der Rest war ihnen fremd: "Von Georg Rosenberg und Benno Plöchinger, beide von der Geologischen Bundesanstalt, habe ich die Geologie der Kalkalpen gelernt." Was dann folgte, war eine Neuinterpretation aller bisherigen Bohrkerne. Wessely konnte die Gesteinssplitter (Cuttings) dank seiner obertägigen Kenntnisse nun neu interpretieren. Damit war, zusammen mit geophysikalischen Untersuchungen, die fachliche Grundlage für die tiefen und übertiefen Bohrprojekte erarbeitet worden.

Vom Erdöl- zum Thermalwasser- und Geothermieexperten

Seine 1983 publizierte Arbeit "Zur Geologie und Hydrodynamik im südlichen Wiener Becken und seiner Randzone" entschlüsselte die Entstehung der Thermalwässer entlang der Thermenlinie mit den Orten Baden, Bad Vöslau und Bad Fischau. Wessely zufolge dringen kalte Wässer im Bereich der Nördlichen Kalkalpen (Westrand des Wiener Beckens) in den Gesteinskörper ein, wandern im Untergrund gegen Osten ins Wiener Becken, erwärmen sich, werden mineralisiert und dringen entlang des tiefgreifenden Leopoldsdorfer Bruchsystems hoch. Diese Synthese konnte nur von jemand kommen, der die Geologie der Kalkalpen und des Wiener Beckens über und unter Tage wie seine Westentasche kannte.

Geologischer Profilschnitt
Die sogenannte "Thermalwasserwalze" am Westrand des südlichen Wiener Beckens beruht auf Wesselys Publikation von 1983.
Godfrid Wessely

Wesselys Expertise war und ist nicht nur bei Erdölfragen, sondern auch bei Geothermie- und Thermalwasserprojekten gefragt. So beruhen die Therme in Laa / Thaya im nördlichen Weinviertel, aber auch der Ausbau der Therme in Wien Oberlaa, um nur zwei Projekte zu nennen, in weiten Bereichen auf seinen Kenntnissen und seiner Expertise.

Zum Glück hat er sein Wissen auch in schriftlicher Form hinterlassen. Neben Fachpublikationen ist sein reich illustriertes Buch über die Geologie von Niederösterreich mit 655 Abbildungen und 26 Tabellen aus dem Jahr 2006 ein Meilenstein. Hier wird die Geologie des Landes und vor allem auch dessen Untergrund in aller Ausführlichkeit auf 416 Seiten beleuchtet.

Buchtitel
Wesselys Opus Magnum, die Geologie Niederösterreich, ist fundiert erklärt und reichlichst bebildert.
GeoSphere Austria

Soweit ein paar Facetten zum "Leben" dieses großen Geologen, der in der persönlichen Begegnung durch Bescheidenheit, Hilfsbereitschaft und Warmherzigkeit sein Gegenüber ansteckt. Da Wikipedia durch stetiges Erweitern und Ergänzen täglich wächst, konnte der lange Zeit revisonsbedürftige Eintrag betreffend Godfrid Wessely zeitnah korrigiert werden. Ad multos annos! (Thomas Hofmann, 1.2.2024)