Als die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) im August 2003 "Anno" unter der Leitung von Christa Müller mit 15 digitalisierten Zeitungen startete, trug die Recherche noch analoge Züge. Man konnte, chronologisch oder nach Zeitungstitel geordnet, zugreifen und Seite für Seite blättern. Ein enormer Fortschritt, der Gang in die Nationalbibliothek war obsolet geworden. Die ÖNB war somit rund um die Uhr geöffnet. Heute sind 27 Millionen Seiten online, Tendenz stark steigend, Jahr für Jahr kommen mit einem Abstand von 70 Jahren zu heute (Copyright) mehr Treffer dazu. Die ÖNB ist mit "Anno" führend bei gescannten Zeitungen. Rund 4.000 Userinnen und User nutzen "Anno" täglich.

Die seit 2013 existierende Volltextsuche kann – eine gewisse Neugier vorausgesetzt – zum Suchtfaktor werden. Als Ergebnis kommt eine teils unüberschaubare Menge an Treffern. Vieles hatte man nie gesucht, doch die Auswertung lohnt und bringt neue Aspekte sowie ungeahnte Einblicke.

Website von Anno
"Anno", Portal und Fundgrube für historische Zeitungsartikel.
Website von Anno

Am Beispiel der Person von Eduard Suess (1831–1914), einem der schillerndsten Wissenschafter (Geologe) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der auch als Politiker und langjähriger Präsident der Akademie der Wissenschaften erfolgreich war, zeigen sich Facetten seiner Person, die bislang kaum bekannt waren. Karikaturen zeigen ihn im Kontext der I. Wiener Hochquellenleitung, die am 24. Oktober 1873 eröffnet wurde.

Eduard Suess am Titelblatt historischer Zeitungen
Eduard Suess auf dem Titelblatt historischer Satireblätter anlässlich der Eröffnung der I. Hochquellenleitung am 24. Oktober 1873.
Anno

Sucht man in "Anno" die Worte "Eduard Suess", kommt man mit über 120.000 Einträgen zu einer unüberschaubaren Menge an Treffern mit vielen unbrauchbaren Einträgen. Indes bringt eine Suche mit folgendem String "Eduard Suess"~10 exakt 9.096 Treffer, empfehlenswert ist auch die Abfrage "Prof. Suess"~10 (2.763 Treffer).

Eduard Suess' Tod: Details und Reminiszenzen

Zeitungen, die über seinen Tod am 26. April 1914 berichten, werden weit vorne ("Relevanz") gelistet. 35 Treffer weist die Neue Freie Presse am 27. April 1914 auf. Erstaunlich ist die Detailgenauigkeit der Berichterstattung. "Die Leiche des Gelehrten wurde heute vormittags im Sterbehaus 2. Bezirk, Afrikanergasse, in dem mit schwarzen Tüchern ausgeschlagenen Arbeitszimmer des Verblichenen in einem Sarkophag aufgebahrt zu dessen beiden Seiten viele hohe Silberleuchter mit brennenden Kerzen aufgestellt sind." (Fremden-Blatt, 27. April 1914). Dass sich hier eine Chronologie von Suess' letzten Tagen und Stunden, die von Herzschwäche, Bronchitis und starkem Fieber geprägt waren, findet, wundert wenig.

In der Ausgabe vom 28. April gibt es neben Kondolenzschreiben namhafter Vertreter der Öffentlichkeit (Unterrichtsminister, Bürgermeister der Stadt Wien, Rektor der Universität Wien) im Originalwortlaut auch den Grund der Ablehnung eines Ehrengrabes der Stadt Wien, "da nach dem letztwilligen Wunsche des Dahingeschiedenen die Beisetzung auf seiner ungarischen Besitzung in Marczfalva [heute: Marz im Bezirk Mattersburg] erfolgen soll".

Parte von Eduard Suess
Eduard Suess verstarb in Wien, begraben wurde er in Marczfalva, dem heutigen Marz (Burgenland).
GeoSphere Austria

Sein Tod bot Anlass für Erinnerungen und Anekdoten, die – vielfach mit Zitaten des Verstorbenen angereichert – Suess wieder lebendig erscheinen ließen. Das erwähnte Fremden-Blatt (28. April 1914) blickte auf den Jänner 1892 zurück, als "Suess über Jugenderziehung" sprach. Der Gelehrte, Vater von fünf Söhnen und zwei Töchtern, wusste, wovon er sprach. Große Bedeutung maß er körperlicher Ertüchtigung bei. "Ich bin ein Freund des Turnens, aber ich ziehe das Ballspiel vor und den Fechtunterricht. Allem voran möchte ich Fußreisen stellen, schon darum, weil sie dem jungen Manne den Umgang mit verschiedenen Menschenklassen und die Möglichkeit bleibender eigener Erlebnisse bieten."

Der Ruf nach Ehrungen

Als Wissenschafter wurde Suess bereits 1860 von seinem Freund und Mentor Franz von Hauer (1822–1899) geehrt. Letzterer benannte den Ammoniten Rhabdoceras suessi aus dem Salzkammergut nach dem ambitionierten Jungforscher. Anlässlich seines 80ers, am 20. August 1911, ließ Alfred Stern aus Baden mit der Frage aufhorchen: "Warum trägt nicht einer der schönen Viadukte längs der Südbahnstrecke den Namen Eduard Sueß-Viadukt, geradeso wie die Viadukte und Tunnels der Semmeringbahn den Namen ihrer Erbauer führen?" (Neue Freie Presse, 20. August 1911). Freilich war er nicht der Erste. Die Leopoldstädter Montags-Zeitung (20. Jänner 1890) setzte sich in ihrem Leitartikel "Dem Verdienste eine Gasse!" vehement ein, um die "unsterbliche Größe Professor Sueß" mit einer Straßen(um)benennung zu ehren: "Hiezu würden sich unseres Erachtens ganz in Besonderheit zwei Straßen eignen: die Praterstraße und die Taborstraße."

Praterstraße, historische Ansicht
1890 gab es Bestrebungen, die Praterstraße in Eduard-Suess-Straße umzubenennen.
Wien Museum Online Sammlung

Seit 1947 gibt es eine Eduard-Sueß-Gasse im 15. Bezirk in Wien. Ursprünglich (seit 1888) hieß sie Sueßgasse, Namenspate war Friedrich Sueß (1833 bis 1907), Lederfabrikant und Bruder des Geologen. Zehn Jahre nach dem Tod des Gelehrten wurde der Ruf nach einem Denkmal laut(er): "Wien braucht ein Denkmal für Eduard Sueß" (Neues Wiener Tagblatt, 25. Mai 1924). Ein Suess-Denkmal hätte Vorbildwirkung gehabt, denn, so das Tagblatt: "Wien hat bis heute kein Denkmal eines Naturforschers."

Das Suess-Denkmal: Wirklichkeit und Vision

Tatsächlich war es vier Jahre später so weit: am 19. September 1928 wurde am Schwarzenbergplatz das Denkmal (Bildhauer: Franz Seifert) enthüllt. Neben der Freude gab es auch Kritik: "Was dem Denkmal gegenüber dem Hochstrahlbrunnen vorgeworfen werden muß, das ist, daß dem Künstler nicht die Möglichkeit gegeben wurde, durch das Denkmal die Gedankengröße des Mannes und die Bedeutsamkeit seines Werkes zu verewigen", schreibt Der Tag am 20. September 1928, und fährt fort: "Und ein unzulängliches, bescheidenes Monument, das die Größe des Werkes unmöglich zu verkörpern vermag, soll die Dankbarkeit Wiens ausdrücken. (…) Darin liegt die Unzulänglichkeit des Denkmals – , die nicht auf das Konto des Künstlers zu setzen ist, sondern auf die Undankbarkeit der Wiener Bevölkerung, die trotz öffentlichen Appells dem Komitee und dem Künstler die Mittel verweigerte."

Zeitungsartikel 1931 über ein Suess-Denkmal
Anlässlich des 100. Geburtstags von Eduard Suess ließ der Bildhauer Mario Petrucci mit einem gigantischen Projekt aufhorchen.
Anno

Drei Jahre später, anlässlich Suess' 100. Geburtstag, tauchte in der Person des Bildhauers Mario Petrucci (1893 bis 1972), einem gebürtigen Italiener aus Ferrara, ein wahrer Visionär auf. Die Wiener Allgemeine Zeitung (21. August 1931) titelte "Hundert Eduard Suess-Denkmäler" und ließ den Bildhauer zu Wort kommen: "Um das Bassinprofil des Sueß-Denkmals sind, in gleicher Weise wie beim Hochstrahlbrunnen, Beleuchtungskörper angebracht, so daß in Festnächten beide Denkmäler in bunten lodernden Farben aufglühen und rauschen würden." Unzählige ("100“) weitere kleinere Filialdenkmäler, in ganz Wien verstreut, sollten das Monument am Schwarzenbergplatz erweitern.

Die "Wiener Zeitung" als Publikationsorgan der Wissenschaft

In Sachen Wissenschaftsberichterstattung nahm die Wiener Zeitung eine Vorreiterrolle ein. Hier sind viele Berichte über Gründungen wissenschaftlicher Organisationen enthalten, angefangen von der Akademie der Wissenschaften, nachzulesen in der Ausgabe vom 17. Mai 1847, bis zum Radium-Institut am 28. Oktober 1910, wo Suess als Präsident der Akademie der Wissenschaften eine Rede hielt.

Auch Ergebnisse der wissenschaftlichen Sitzungen – etwa von Geologen, die an Dienstagen in der Geologischen Reichsanstalt (heute: Geosphere Austria) stattfanden – wurden zunächst in der Wiener Zeitung abgedruckt, ehe sie in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Herausgegriffen sei das Protokoll der Sitzung vom 30. November 1852, das zeitnah am Freitag, dem 3. Dezember erschien. Unter den damals anwesenden Wissenschaftern war auch der 21-jährige Suess. Er referierte über Spiriferen, eine Tiergruppe der Armfüßer (Brachiopoden) und stellte drei neue Arten vor.

Wiener Zeitung, Titelblatt 1847
Die "Wiener Zeitung" vom 17. Mai 1847 berichtete über die Gründung der Akademie der Wissenschaften.
Anno

Über viele Jahre veröffentlichte die Wiener Zeitung im Sommer- und Wintersemester Vorlesungsverzeichnisse. Aktuelle Änderungen wurden ebenfalls via Medien kommuniziert. Suess sah sich im Wintersemester 1883/84 außer Stande, Vorlesungen zu halten, seine Verpflichtungen "als Reichsraths- und Landtags-Abgeordneter, als Mitglied der österreichischen Delegation und als Gemeinderath" hinderten ihn an der akademischen Lehre (Die Presse, 14. Oktober 1883). Launige Berichte über Exkursionen, wie "Eine geologische Maifahrt" (Die Presse, 18. Mai 1878) von Franz von Noe, einem Studenten Eduard Suess, sind auch heute noch lesenswert.

Wissenschaft am Wort

Sowohl Gelehrte, wie auch Redakteure berichteten in verschiedenen Rubriken der Zeitungen. In der Wiener Zeitung gab es neben einem "Amtlichen Theil", einer Rubrik "Vermischte Nachrichten" auch einen Bereich für "Wissenschaft, Kunst und öffentliches Leben" (ab 1. Februar 1862 als regelmäßig erscheinende Beilage). Hier schrieb Suess über "Die artesischen Brunnen in der Wüste Sahara" (11. August 1858). Als Grundlage diente ihm ein französischsprachiger Fachartikel, den er in vereinfachten Worten wiedergab. In der Diktion der heutigen Wissenschaft ein "Review". Das war der Anfang. Am 24. und 25. Dezember 1858 folgte ein zweiteiliger Artikel "Ueber die Anlage artesischer Brunnen in Wien". Wichtig ist die Zusatzinformation: "Aus der Reihe der jüngsten Montagsvorträge über die neueren Fortschritte der Naturwissenschaften, abgehalten im Gebäude der k. Akademie der Wissenschaften". Diese Vorträge waren eine der zahlreichen Initiativen ab Mitte des 19. Jahrhunderts, Wissenschaft einem breiteren Kreis zugänglich zu machen.

Berichte von Redakteuren, die bei Veranstaltungen anwesend waren, vermittelten neben Inhalten auch die Atmosphäre und die Stimmung im Auditorium. Beispielhaft sei das Neue Fremden-Blatt vom 30. Dezember 1874 zitiert, das über einen Vortrag von Suess mit dem Titel "Ueber das Wandern organischer Wesen" berichtete. Vorab wird festgehalten "in welch meisterhafter und anziehender Weise der Redner den schwierigen Stoff beherrscht." Damit beeindruckte der brillante Redner die "Intelligenz Wiens". Dies gewinnt "in Anbetracht des zahlreichen Damenpublikums" umso mehr an Bedeutung. Dann werden Passagen des Suess'schen Vortrags wiedergegeben, die Einblick in den seinerzeitigen Vortrag geben. Was folgte war: "Stürmischer, langanhaltender Beifall."

Zeitungsartikel (1866) über Löss
Zeitungsartikel über Löss von Eduard Suess, erschienen in der "Neuen Freien Presse" am 23. März 1866.
Anno

Texte von Suess waren vereinzelt auch im "Feuilleton" auf Seite eins vertreten, wie etwa seine Abhandlung "Ueber den Löß" (Neue Freie Presse, 23. März 1866). Im Vergleich zum gesprochenen Vortrag liest sich die schriftliche Arbeit deutlich sperriger, wie schon der erste Satz zeigt: "Die zunehmende Herrschaft des Menschen über die Natur, welche wir Cultur zu nennen pflegen, hat in dem Maße, als sich die Erfahrungen über die Verwendbarkeit der Rohstoffe änderten, auch eine vollständige Umgestaltung unserer Anschauungen von dem Werthe der einzelnen Naturprodukte herbeigeführt."

Dank "Anno" erscheint die Welt der Wissenschaften bunter. "Anno" fördert, wann und wo auch immer es abgerufen wird, Erstaunliches, Wunderbares und Persönliches zutage, auf das wir nicht mehr verzichten wollen. (Thomas Hofmann, 19.10.2023)