Es ist, als hätte die ÖVP nicht fünfeinhalb der vergangenen sechs Jahre den Kanzler gestellt. Für seine angeblich in die Zukunft gerichtete Rede am Freitag in Wels greift Parteichef Karl Nehammer Slogans auf, mit denen anno 2017 bereits Sebastian Kurz wortgleich Wahlkampf gemacht hat. Mit mehr Substanz unterfüttert haben die Türkisen diese seither dennoch nicht.

Das gilt zumindest für jene vagen Ankündigungen, mit denen der Regierungschef den Kampf gegen den von ihm behaupteten Missbrauch im Sozialsystem zusammenfasst. Wieder einmal will Nehammer Sozialleistungen an einen Aufenthalt von mindestens fünf Jahren im Land knüpfen – und wieder sagt er nicht dazu, welche er genau meint.

Geht es um die von der ÖVP laufend madiggemachte Sozialhilfe? Unzählige Verfassungsexperten haben längst klargestellt, dass der Spielraum extrem knapp ist. Zum Teil sind Einschränkungen unzulässig, zum Teil gibt es diese längst. Übrig bleibt die eine oder andere kleinere Hintertür, deren Schließung bestimmt nichts an irgendeinem grundlegenden Problem ändern würde.

Karl Nehammer (ÖVP)
Greift auf alte Slogans zurück: Karl Nehammer (ÖVP).
APA/ROLAND SCHLAGER

In die gleiche Kategorie fällt die Idee, Beziehern statt Geld künftig nur mehr Sachleistungen – etwa in Form von zweckgebundenen Gutscheinen – zu gewähren. Das kann berechtigt sein, wenn etwa suchtkranke Menschen die Sozialhilfe sonst für etwas anderes verpulvern würden als die Miete. Nur: Die Rechtslage sieht diese Möglichkeit längst vor. Will die ÖVP Bedürftigen nun generell die Autonomie nehmen, über eigene Ausgaben zu bestimmen, läuft das auf eine demütigende Schikane hinaus – und auf einen Riesenaufwand für die Behörden.

Erfundene Kollektivstrafen

Gewiss: Grundsätzlich ist die Bekämpfung von Sozialmissbrauch legitim. Abseits der Mehrheit, die wegen verschiedener Handicaps den Einstieg ins Arbeitsleben nicht schafft, gibt es auch Menschen, die sich verweigern. Doch die ÖVP tut so, als sähe das System nicht längst schon Restriktionen vor. Sozialhilfebezieher sind zur Annahme zumutbarer Jobs verpflichtet – andernfalls drohen Leistungskürzungen. Kann Nehammer große Lücken in diesem Regime nachweisen, soll er sich für strengere Kontrollen einsetzen, aber keine Kollektivstrafen erfinden.

Im selben Geruch steht auch Maßnahme Nummer drei, die gemeinnützige Arbeit für alle arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger vorsieht. Will man die Ankündigung optimistisch deuten, dann könnte dahinter eine Art Jobgarantie samt ausgeklügeltem Fördersystem stecken. Aber wenn die ÖVP so etwas will: Warum hat sie dann unmittelbar nach der Rückeroberung der Kanzlerschaft die Aktion 20.000 zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen abgedreht?

Aus der Erfahrung heraus ist es anderes zu befürchten. Nehammer geht es in diesen Fragen nicht um Politik, die etwas zum Besseren verändern will. Für die ersehnten Schlagzeilen ist es unerheblich, ob die Pläne rechtskonform, praktikabel und effizient sind. Deshalb hat sein Lehrmeister Kurz auch die Familienbeihilfe und die Mindestsicherung selektiv für Ausländer gekürzt, obwohl absehbar war, dass er an den Höchstgerichten scheitern wird. Hauptsache, die ÖVP konnte eine harte Hand beweisen.

Scheinpolitik wie diese mag auf Wähler, die nur ihresgleichen für Leistungsträger halten, wirken – spottet aber dem Anspruch eines Kanzlers, einen echten Plan für die Zukunft zu präsentieren. (Gerald John, 24.1.2024)