Mit so viel persönlichem Vergnügen wichen noch wenige Studiogäste Armin Wolfs kritischen Fragen aus wie Heinz Sichrovsky, den seine in vielen seiner "Krone"-Kolumnen gepflegte "Obsession" (Wolf) Dienstagabend ins "ZiB 2"-Studio gebracht hatte. Ums Gendern ging's, das Sichrovsky unablässig ablehnt wie nun auch der Bundeskanzler, der nach Bayern und Niederösterreich Binnen-I in amtlichen Dokumenten und an Unis verbieten will. Trockene Befunde, worum es beim Thema geht, steuerte milde lächelnd Susanne Hochreiter bei, Literaturwissenschafterin und Gleichbehandlungsbeauftragte an der Universität Wien.

Genderfragen in der
Genderfragen in der "ZiB 2": Susanne Hochreiter (Uni Wien), Armin Wolf, Heinz Sichrovsky ("News", "Krone").
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Ein Kronist ist nicht zu fassen

Vom "linguistischen Klimakleben" bis zum "Demütigungs-Emoji" des Doppelpunkts inmitten von Wörtern zeigt Sichrovsky voller Freude, dass er auch live im Fernsehen und in hoher Frequenz alle Sprachkunststückerln spielt, wie er sie in seine "Krone"-Kolumnen schlichtet.

Ernst gemeinten Fragen oder Argumenten weicht er so mit großem, jedenfalls persönlichem Unterhaltungswert aus. Wenn Wolf etwa auf große Konzerne wie Spar verweist, die sich zu geschlechtergerechter Sprache bekennen, sagt Sichrovsky: "Ob ich eine gegenderte Wurstsemmel ess oder nicht, ist mir vollkommen wurst", und in den Bioladen gehe er trotzdem nicht für seine Jause. Mehrfach betont der bekannte Kulturjournalist, wie "wurscht" ihm das Thema ist, das er eher selten in seinen Kolumnen ganz auslässt.

Wenn Hochreiter ihm und dem Publikum erklärt: "Sprache ist für uns alle da, doch es gibt Menschen, die nicht benannt werden"; gesellschaftlich und politisch benachteiligte Menschen hätten ein Recht, "auch mittels Sprache Sichtbarkeit zu erlangen". Dann sagt Sichrovsky: "Die Sache mit der Sichtbarkeit verstehe ich nicht ganz, ich sehe die Frau Doktor", und man führe doch gerade eine hochspannende Diskussion. Das allerdings versucht nur Hochreiter erkennbar, Sichrovsky wirkt nicht so.

"Demütigungs-Emojis"

Und wenn Armin Wolf den langjährigen Kulturchef von "News" darauf hinweist, dass man bei einem Chor von 99 Sängerinnen und einem Sänger grammatikalisch korrekt von 100 Sängern sprechen könne, sagt Sichrovsky: "So einen Chor kenne ich nicht", so lange er auch schon Kulturredakteur sei. Der Kronist ist nicht zu fassen.

Zur Verteidigung seiner Position zieht Sichrovsky auch Menschen heran, die sich die deutsche Sprache erst "verzweifelt aneignen" müssten. Ihnen würde man mit "Demütigungs-Emojis" wie "Doppelpunkten, Unterstrichen und versalen Vokalen" doch "die letzte Hoffnung nehmen" und sie "in die Verzweiflung treiben".

Nun vertreten der Kulturredakteur und der Bundeskanzler mit ihrer Ablehnung des Genderns aber eine "satte Mehrheit" in der Bevölkerung, darunter auch viele Frauen, erinnert Wolf und beruft sich auf eine Vielzahl von Umfragen. Warum polarisiert das Thema so stark, will er von Literaturwissenschafterin Hochreiter wissen.

"Antifeministische Reflexe" nützen

Die feministische Forscherin versucht das "komplexe Thema" in drei Punkten zu erklären, so richtig anschaulich gelingt das in der Kürze nicht ganz. Grob zusammengefasst: Gender gehöre zur Identität, "wir haben darauf einen Anspruch". Menschen hätten "wenig Gelegenheit, sich mit der Geschichte des Themas und den Anliegen, die damit verbunden sind, zu befassen". Und sie beobachtet, dass andere Anliegen wie Teuerung, Energiepreise oder Gewaltschutz als wichtiger bewertet würden.

Armin Wolf erklärt in der
Armin Wolf erklärt in der "ZiB 2" am Beispiel von "BundeskanzlerIn" und anderen Gendervarianten, was nach den Vorstellungen Karl Nehammers in amtlichen Dokumenten künftig nicht mehr gehen soll.
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Kann Hochreiter verstehen, dass Gendern laut Studien etwa neben Klimakleben und Migration zu den polarisierendsten Themen gehört, weil es als aufgezwungen, Bevormundung und Einschränkung von Autonomie empfunden wird? "Ich kann das nachvollziehen", sagt Hochreiter: "Aber ich glaube, das ist nicht der ganze Zusammenhang. Es geht hier um unterschiedliche Diskurszusammehänge. Und ich glaube, dass gerade die Genderdebatte immer manipulativ genützt wird, um bestimmte, auch antifeministische Reflexe zu bedienen, und ich glaube, das ist dasselbe, was der Herr Bundeskanzler gerade macht."

"Soll er machen, wie er will"

"Ich will keine Spaßbremse sein", sagt Hochreiter noch mit Blick auf ihr Gegenüber, das gerade seine Genderversuche am Namen Annalena Baerbocks verteidigt hat, der deutschen Außenministerin. Aber Grundlage sei doch die Europäische Menschenrechtskonvention, die einen selbstbestimmten Geschlechtsausdruck garantiere, und die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs von 2018 für einen weiteren Geschlechtseintrag neben Mann und Frau in amtlichen Dokumenten.

"Ja hindere ich irgendwen?", wirft Sichrovsky ein. "Ich bin doch nicht wahnsinnig und schreibe irgendwem vor, als was er sich zu empfinden hat, um Himmels willen, soll er machen, wie er will." Ob er das Frauen sehr wohl vorschreiben will oder sie da mitmeint, wird er nicht gefragt. (Harald Fidler, 24.1.2024)

Die "ZiB 2"-Debatte übers Gendern zum Nachsehen:

ZIB 2: Diskussion über neue Genderdebatte
In der ZIB 2 diskutieren die Literaturwissenschaftlerin und Gleichbehandlungsbeauftragte der Universität Wien, Susanne Hochreiter, und der Kulturjournalist Heinz Sichrovsky. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat sich für ein Genderverbot in der Verwaltung ausgesprochen.
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