Die amtierende Ampelkoalition hat keine Mehrheit hinter sich. Die AfD hält bei rund 22 Prozent. Es hapert bei der Deutschen Bahn, die Bauern fahren vor. Die Industrie fährt auf 80 Prozent, Wirtschaftsbosse fürchten, dass sich Investoren nach Bekanntwerden des Potsdamer Treffens abwenden. Alle sorgen sich um Deutschland in dieser Diskussionsrunde. Und damit auch um das wirtschaftlich eng verflochtene Österreich. Bleibt ein nur "Wohlstandsmuseum"? Was gegen den "Stillstand des Kraftwerks Deutschland" tun?

ORF-Korrespondent Andreas Pfeifer, Soziologe Nils C. Kumkar (Uni Bremen), Herbert Diess (Ex-VW-Boss und Infineon Aufsichtsratschef), Anna Schneider (Chefreporterin der "Welt") am Sonntagabend bei Claudia Reiterer: "Krise und Kontrollverlust: Deutschland am Abgrund?"
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Herbert Diess, Ex-VW-Boss und nun Aufsichtsratschef des Tech-Konzerns Infineon, freut sich. Nämlich über die Hunderttausenden, die nun "für Demokratie und gegen rechts" auf den Straßen sind. In Hamburg und München war zuletzt sogar zu wenig Platz für die vielen Demonstrierenden. Die Chefreporterin der "Welt", Anna Schneider, schlägt ihm das schnell aus der Hand: "Es reicht nicht, auf die Straße zu gehen und zu sagen: Wir sind gut."

Die Führungsfrage

Soziologe Nils C. Kumkar (Uni Bremen) versucht die Brücke: Es werde durch die Proteste wohl niemand überzeugt, nicht AfD zu wählen, aber es gehe wohl um Selbstwirksamkeit der Protestierenden, um das Setzen von Themen in der Debatte.

Einig im Urteil ist sich die Runde über die Regierung: "Eine schwache Führungsleistung", wie Diess formuliert. "Defizite", sagt Andreas Pfeifer, ORF-Korrespondent Deutschland. Es brauche eine Führungsfigur und Führung. Ein starkes Wort. Wandel sei nicht die Stärke Deutschlands, sagt Diess, der dennoch glaubt, dass Bürokratieabbau und Deregulierung, Modernisierung, zur Wende führen könnten – er glaubt auch an die deutsche Autoindustrie. "Deutschland hat Substanz!" Zustimmenden Applaus aus der Runde erhält er im Studio an dieser Stelle nicht.

Die Vertreibungsdiskussion

"Ich bin nicht so optimistisch", so Schneider. Das Grundproblem sei das Vertrauen in die Fähigkeit der Politik. Soziologe Kumkar will mit dem Wie der Themensetzung aushelfen, und Pfeifer ruft zur Entdramatisierung auf. Diess stimmt zu, etwa beim Thema Nummer eins, Asyl und Zuwanderung: Die Politik müsse erklären, warum wir Zuwanderung gegen Fachkräftemangel brauchen.

Unterstützen die Diskutierenden hier die Versuche, die AfD zu verbieten? Schneider hält einen möglichen Grundrechtsentzug für "eine absolut autoritäre Maßnahme". Pfeifer widerspricht, es gehe um das Grundsätzliche einer Demokratie, er vertraue auf die Verfassungsrichter. Ein Verbot würde der Partei und der Szene zumindest ökonomische Ressourcen entziehen, wirft Kumkar ein. Diess: "Ein Schandmal beseitigen, ja. Aber damit gewinnst du nicht die Leute zurück." Und wieder: "Ich mache mir Sorgen um Deutschland." Gäbe es einfache und schnelle Lösungen, hätte diese Runde sie wohl gefunden. Sie existieren ganz offensichtlich nicht. (Karin Bauer, 22.1.2024)