Autor mit strengem Blick auf die Gegenwart: Elias Hirschl.
Autor mit strengem Blick auf die Gegenwart: Elias Hirschl.
Petra Weixelbraun

Nach der Slim-Fit-Politik sind jetzt Start-up-gute-Laune und Digitalverklärung dran. Wenn man dereinst noch die Bücher von Elias Hirschl lesen wird, wird man kein freundliches Bild von dieser unserer Gegenwart gewinnen. 1994 geboren, hat der Autor gerade das richtige wilde Wurln im Bauch und genug Ahnung von den Trends und Betrübnissen innerhalb der aktuell jungen Generation, um diese mit chronistischer Gewissenhaftigkeit aufzufassen und mit spielerischer Verve zwischen zwei Buchdeckel zu bannen. Er ist damit jedenfalls zum Liebling einer linksorientierten Klientel geworden.

Die Sebastian-Kurz-Jahre aus dem Überraschungserfolg Salonfähig (2021) sind im neuen Roman Content vergessen. Nicht Österreichs Polit-Usancen standen dem Wiener diesmal Vorbild, sondern das Ruhrgebiet. Ein Stadtschreiberstipendium führte Hirschl zuletzt für ein halbes Jahr nach Dortmund, und die Ruinen des dortigen Kohleabbaus haben den Autor offensichtlich tief beeindruckt. In einer inzwischen nahezu entvölkerten einstigen Industriemetropole schlägt er das Headquarter des Konzerns Smile Smile auf.

Der versteht sich mit stupender Bedenkenlosigkeit auf die Produktion von Schreddervideos (Handys in Mixern) und sogenannten Listicles: Online-Artikeln, die aus Aufzählungen und Rankings bestehen à la "Elf Wege, glücklicher zu werden", "Acht traurige Promitrennungen" und dergleichen. Man selbst kennt’s hoffentlich nur vom Hörensagen.

Alte und neue Arbeiter

Kurz gesagt wird hier "Content", also leerer Inhalt, produziert, was auch Hirschls Protagonisten schmerzlich bewusst ist. Man liest von durch Räume gellenden Schreien, und bald steckt Listicle-Königin Karin in einem Anflug von Verzweiflung ihre Hand in die hydraulische Presse. Wer hier arbeitet, tut dies, weil er oder sie vom Job als Gagschreiber einer US-Late-Night-Show träumt, es aber (noch) nicht klappt. Mit Mitte 20 ist man ausgebrannt.

Es hat eine charmante logische Konsequenz, wie Hirschl hier räumlich eine Kontinuität der alten, körperlich und der neuen, am Schreibtisch Ausgebeuteten behauptet. Und dabei über ein rein hungriges neoliberales Fressmonster hinaus so viel mehr in den Blick nimmt: Content ist auf 220 Seiten ein riesengroßes Mash-up diverser Zivilisationsuntergangsbefürchtungen und Kulturskeptizismen. Von obsessiver Start-up-Mentalität über digitale Entfremdung, von Steuervermeidung und vielleicht mittels Satire ruinierten Diskursen über ernste Probleme bis hin zu Desinformationskampagnen und Umweltzerstörung. Rechtsextreme gibt es natürlich auch.

Irrwitzige Einfälle und Realweltverweise (Mikrosongs in "Planck-Länge" auf Spotify, Onlinedatingbetrug, Twitter unter Elon Musk, künstliche Intelligenz und Bots, die schon schwer von Menschen unterscheidbar sind) stellen auf Dauer diese grelle Weltzeichnung aber sehr voll. Zwischen den karikaturhaft gezeichneten Figuren (den Essenslieferanten Jonas mit dem Wunsch, seine Kunden immer schneller satt zu machen, hat Hirschl schon bei seinem Antreten um den Bachmannpreis 2022 angedeutet) schleppt sich ein Plot bald eher nur dahin, als zu zünden. Dem scharfen Blick aufs Heute fehlt es ein wenig an Fokus, um ihn mit Zug auf Spur zu halten. (Michael Wurmitzer, 28.1.2024)