Rechte Buddies
FPÖ-Chef Herbert Kickl bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit AfD-Bundessprecherin Alice Weidel. Die Nibelungentreue hält.
APA/EVA MANHART

Das Entsetzen bleibt groß: Dass reiche Unternehmer, Rechtsextreme und Angehörige der AfD bei einem klandestinen Treffen in Potsdam über Massendeportationen fantasierten, hat zumindest Deutschland wachgerüttelt. Reihum wird zum Kampf gegen rechts außen aufgerufen, Millionen an Bürgerinnen und Bürger zeigten durch friedliche Demos Ablehnung.

Für Kenner der Szene waren die Pläne, die der österreichische Identitären-Vordenker Martin Sellner dort referiert hat, freilich keine Überraschung.

Wunschträume

Allzu bekannt sind die Wunschträume von Rechtsextremen über die Deportation von Migrantinnen und Migranten und Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft und deren Kindern, die Sellner und seinen Geistesverwandten zu wenig assimiliert erscheinen. Frei nach dem Motto: "Wer Deutscher ist, bestimme ich", sollte in Afrika eine Art Kolonie für Abgeschobene errichtet werden.

Dass die Konferenz, das sogenannte Düsseldorfer Forum, einem Geheimtreffen glich, machte sie vielleicht unheimlicher. Doch die von Sellner "Remigration" genannte Vertreibung von Millionen Menschen könnte man auch in Minus-Zuwanderung übersetzen, wie sie von Teilen der FPÖ seit Jahren gefordert wird. Sie ist, genauso wie die AfD, auch schon lange mit der Identitären Bewegung verbündet – mal mehr, mal weniger offen.

Offene Fragen

Die FPÖ war bei diesem Treffen im Landhaus Adlon offenbar nicht dabei. Auf den zahlreichen Fotos von Teilnehmenden, die die Plattform Correctiv für ihre Recherche gemacht hat, fehlt von Freiheitlichen jede Spur. Waren die Freunde aus Österreich nicht eingeladen? Waren ihnen die 5000 Euro Eintrittsgeld, um dem ihnen gut bekannten Sellner zu lauschen, zu teuer? Oder war man nach dem mäßigen Erfolg der Taliban-Reise der blauen Ex-Abgeordneten Andreas Mölzer und Johannes Hübner im Oktober strenger mit Exkursionen geworden? Fragen, die vorerst offenblieben.

Der Wiener FPÖ-Obmann Dominik Nepp war nicht weit vom Landhaus Adlon am Lehnitzsee, wo das Treffen stattfand, entfernt. Er nahm am 24. November an der "Metropolenkonferenz" der AfD teil, auf der sich Teilnehmer aus den vier deutschen Millionenstädten und aus Wien über "Identität" und "Wohnungskrise" austauschten. Ort dieser Konferenz: das Abgeordnetenhaus in Berlin, rund 45 Autominuten vom Lehnitzsee entfernt. Das Treffen dort begann am nächsten Tag.

Inhaltlicher Gleichklang

Doch er habe von dem Treffen erst im Jänner aus den Medien erfahren, sagt Nepp auf Nachfrage des STANDARD. Kurzum: "Nein, da war ich nicht." Auch sonst wurden keine Blauen zur fraglichen Zeit nahe Potsdam gesichtet.

Zur Seite sprang die FPÖ den Teilnehmern der Konferenz trotzdem. "Remigration ist gerade in Zusammenhang mit unzähligen kriminellen, nicht integrationswilligen oder in keiner Weise schutzbedürftigen Ausländern das Gebot der Stunde", sagte der freiheitliche Generalsekretär Christian Hafenecker. Auch Parteichef Herbert Kickl äußerte sich in der ZiB 2 ähnlich.

Auch das ist keine Überraschung: Sowohl die Verbindungen zwischen FPÖ und Identitären als auch jene zwischen FPÖ und AfD sind bestens dokumentiert.

Tipps tauschen und Bier trinken

Schon im Frühling 2016 prosteten Heinz-Christian Strache und die damalige AfD-Chefin Frauke Petry einander auf der Zugspitze für die Kameras mit Weißbier zu. 2017 trafen Petrys Nachfolgerin Alice Weidel und Alexander Gauland, graue Eminenz der AfD, im Juni in einem Hotel in Wien Strache, den EU-Abgeordneten Harald Vilimsky und Parteivize Norbert Hofer, um sich Tipps zu holen.

Unter FPÖ-Chef Herbert Kickl haben sich die Beziehungen noch intensiviert. Bei der kommenden EU-Wahl wird man Seite an Seite um Stimmen werben, gemeinsam sitzt man ja in der Rechts-außen-Fraktion im EU-Parlament. Dort heißen die Gegner "Brüssel", Geflohene, Klimaschutz, Wissenschaften oder die Corona-Schutzmaßnahmen. Auch die Russland-Nähe teilen sich FPÖ und AfD mit vielen anderen europäischen rechtsextremen Parteien. Über einen Kamm scheren lässt sich die europäische Rechte dennoch nicht. Marine Le Pen, mit ihrem Rassemblement National auch eine Verbündete der FPÖ, distanzierte sich zuletzt wegen des Treffens bei Potsdam von der AfD.

Frauke Petry und Heinz-Christian Strache trafen sich einst auf dem höchsten Berg Deutschlands, der Zugspitze.
ZEITUNGSFOTO.AT / APA / pictured

Austausch von Personal

Weniger bekannt ist, dass sich FPÖ und AfD nicht nur Inhalte teilen, sondern auch Personal austauschen. Als 2020 Kickl, Gauland und Weidel in Berlin ihre Pressekonferenz abhielten, entdeckte die Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU), die auch für den STANDARD bloggt, einen ehemaligen Kabinettsmitarbeiter der blauen Ex-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein im Team Weidels: Thomas Hüttner.

Schon 2017 ist ein anderer langjähriger Mitarbeiter der FPÖ aus Wien nach Berlin gewechselt: Der Deutsche Daniel Tapp wurde damals zu Weidels persönlichem Sprecher.

Die Zusammenarbeit der beiden Parteien wurde auch von zahlreichen Skandalen nicht erschüttert. Nach dem Ibiza-Video verbreitete auch die AfD die Erzählung, Strache sei Opfer einer "Falle" geworden. Im Gegenzug scheint sich die FPÖ nicht daran zu stören, dass die AfD vom deutschen Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird.

Immer wieder wird deutlich, wie weit rechts außen und faschistisch Teile der AfD denken, etwa der Thüringer Landeschef Björn Höcke, der ähnlich wie einst die Nationalsozialisten von einer "tausendjährigen deutschen Zukunft" träumt. Höcke rief auch den deutschen Verfassungsschutz auf den Plan.

"Erschießen oder vergasen"

Für einen Aufschrei sorgten im Jahr 2020 geleakte Aussagen eines anderen AfD-Mitarbeiters. Durch die ProSieben-Doku Rechts. Deutsch. Radikal. wurde bekannt, dass der langjährige Sprecher der Bundestagsfraktion der AfD, Christian Lüth, sagte, je schlechter es Deutschland gehe, desto besser für die AfD. "Das ist natürlich scheiße, auch für unsere Kinder. Aber wahrscheinlich erhält uns das. Wenn jetzt alles gut laufen würde, dann wäre die AfD bei drei Prozent. Deshalb müssen wir uns eine Taktik überlegen zwischen: Wie schlimm kann es Deutschland gehen? Und: Wie viel können wir provozieren?"

Die Nachfrage seiner Gesprächspartnerin, einer mittlerweile aus der Szene ausgestiegenen, damals rechtsextremen Youtuberin, ob die AfD also daran interessiert sei, noch mehr Migranten ins Land zu lassen, bejahte Lüth und meinte dann: "Wir können nachher immer noch alle erschießen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen, oder wie du willst."

Das Framing der Falle funktionierte hier nicht. Die AfD schloss den Mann aus. Bei der Pressekonferenz mit Weidel, Kickl und Gauland war er kurz zuvor noch am Tisch.

Die Rechtsextremisten Götz Kubitschek und Martin Sellner auf der Rampe vor der Universität Wien. 
Die Rechtsextremisten Götz Kubitschek und Martin Sellner auf der Rampe vor der Universität Wien.
© Christian Fischer

Interne Verflechtung

Zumindest intern ist bei beiden Parteien eine Verflechtung mit Identitären zu beobachten. Bei beiden haben Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung, deren Kopf Sellner jahrelang offiziell war, immer wieder Jobs erhalten.

Der Einfluss der Identitären auf die FPÖ wird vor allem bei deren Jugendorganisationen deutlich. Das zeigte etwa ein Promovideo der Freiheitlichen Jugend aus dem Sommer 2023, das wie ein Potpourri rechtsextremer Propaganda, Feindbilder und Fantasien daherkam.

In dem zweieinhalb Minuten langen Clip wettert die FPÖ-Jugend u. a. gegen "Regenbogenterror", "Bevölkerungsaustausch", angeblich "linke" Journalisten wie ZiB 2-Anchor Armin Wolf oder einen Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW). Auch ein Schwenk auf den "Hitler-Balkon" am Heldenplatz, ein Fackelmarsch, der niederösterreichische Landeshauptmannstellvertreter Udo Landbauer und Huldigungen an rechtsextreme Autoren waren zu sehen.

Anzeige durch Verfassungsschutz

Der Clip war so krass, dass sogar der österreichische Verfassungsschutz mit jahrelangen Gepflogenheiten brach und die Freiheitliche Jugend bei der Staatsanwaltschaft Wien anzeigte. Der Verdacht: Verstoß gegen das Strafgesetzbuch und das NS-Verbotsgesetz. Bisher waren Parlamentsparteien und deren Jugendorganisationen tabu.

Die FPÖ-Jugend hatte den Bogen überspannt, Parteichef Herbert Kickl fand das Video aber "großartig". Trotzdem ist es mittlerweile nicht mehr auf FPÖ-Online-Plattformen zu sehen– wohl eine Reaktion auf die Anzeige des Verfassungsschutzes. Die Angelegenheit wird die Partei noch länger beschäftigen. Seitens der Staatsanwaltschaft Wien heißt es in einer Stellungnahme zum STANDARD: "Das Ermittlungsverfahren ist derzeit noch nicht abgeschlossen."

Die Grenzen zwischen der Parteijugend und den rechtsextremen Identitären sind auch abseits davon unscharf, teilweise sind beide verschmolzen. Bei Veranstaltungen der FPÖ-Jugend in Wien sind Identitäre ebenso anzutreffen wie freiheitliche Politiker.

Maximilian Krah
AfD-EU-Kandidat Maximilian Krah (unten) war am Donnerstag in Wien.
EPA/CLEMENS BILAN

Junge Vorhut

Innerhalb der FPÖ fungiert die Freiheitliche Jugend als Vorhut. Sie übernimmt die Forderungen und die Sprachregelung der Identitären und trägt sie in die Partei, wo sie sich auf breiter Basis durchsetzen.

Was Identitäre und FPÖ noch voneinander unterscheide, fasste Politologe Bernhard Weidinger vom DÖW bei einer Veranstaltung über das Geheimtreffen im Volkstheater zuletzt so zusammen: "Sie hat die Rechtspersönlichkeit einer politischen Partei, tritt zu Wahlen an und führt die Farbe Blau." Auch für politische Gegner wie SPÖ und Grüne ist die FPÖ der "parlamentarische Arm des Rechtsextremismus".

Erst im Juli vergangenen Jahres hielt etwa Silvio Hemmelmayr, Chef der blauen Jugend in Oberösterreich und Mitarbeiter im FPÖ-Parlamentsklub, eine Rede bei der "Remigrationsdemo" der rechtsextremen Identitären.

AfD-Politiker Krah in Wien

Zuletzt sorgte am Donnerstagabend eine Veranstaltung der Österreichischen Landsmannschaft in Wien für Proteste. Als Gäste traten AfD-EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah und der rechtsextreme Publizist Götz Kubitschek auf. Mit dabei: Freiheitliche und Personen aus dem Umfeld der Identitären.

Krah hatte maßgeblich mitgeholfen, das Wort "Remigration" in einen rechtsextremen Kampfbegriff zu verwandeln. In seinem 2023 erschienenen Buch Politik von rechts schreibt Krah von der "Remigration der nicht Integrationswilligen und -fähigen".

Kubitschek ist hingegen der führende Kopf der sogenannten Neuen Rechten im deutschen Sprachraum. Er gilt als Ziehvater der Identitären Bewegung in Österreich. Sein Thinktank Institut für Staatspolitik wird vom deutschen Verfassungsschutz wegen "verfassungsfeindlicher Bestrebungen" überwacht. Dort referierte auch ein Aktivist, der für Krah Videos anfertigte und auf X (vormals Twitter) anregte, deutsche Frauen zur Entnahme von Eizellen verpflichten zu wollen, um die "Demografie zu stabilisieren". Krah distanzierte sich.

Björn Höcke, Rechtsaußenspieler der AfD in Thüringen, träumte von "tausendjähriger deutscher Zukunft": historische Ähnlichkeiten in der Sprache, mit denen man in der Neonaziszene punkten kann. Doch Höcke hat auch den Verfassungsschutz in Deutschland auf den Plan gerufen.
IMAGO/nordphoto GmbH / Hafner

Gerangel auf der Uni-Rampe

Die Bedeutung von Kubitschek wurde auch im erwähnten Video der Freiheitlichen Jugend deutlich. Darin wurden Bücher des rechtsextremen Antaios-Verlags eingeblendet, dessen Chef Kubitschek ist.

Auch der Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) ist Kubitschek-Fan. Vergangenen November wollte man ihn sogar an die Uni Wien holen, die dem jedoch eine Absage erteilte. Als Ersatzort blieb nur die Uni-Rampe, wo Sellner ebenso auftauchte wie Funktionäre der FP-Jugend. Bei der Kundgebung, die von Protesten begleitet wurde, kam es zu Tumulten. Ein Video zeigt, wie in einem Wirrwarr ein Rechtsextremer zuerst Polizisten attackierte, dann einen Gegenstand auf den Kopf geworfen bekam – vom Sohn Kubitscheks. Was auch diesem eine Anzeige einbrachte.

An jenem Tag referierte Kubitschek im Parlamentsklub der FPÖ. Das wäre unter Kickls Vorgänger Norbert Hofer kaum möglich gewesen. Hofer betonte einst, dass ihm Identitären-Kopf Martin Sellner "so was von wurscht" sei, und Strache musste unter Türkis-Blau noch eine Art von Distanzierung einmahnen, vor allem, nachdem Kontakte von Sellner zum späteren Massenmörder von Christchurch bekannt geworden waren. Für Kickl aber sind die Identitären ein "unterstützenswertes Projekt". Diese Unterstützung lässt sich seine Partei auch etwas kosten. Sie inseriert im Identitären-Zentralorgan Heimatkurier. Dort wird das Gedenken an die Opfer des NS-Terrors als "Schuldkult" verunglimpft; FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker zitiert gerne aus dem Heimatkurier und wirkt überhaupt wie eine Art Schutzpatron der Identitären auf, genauso wie der zweite Generalsekretär Michael Schnedlitz.

Störaktionen

Im November 2022 trat der als Redner bei einer von Rechtsextremen organisierten Demo gegen die "Asylflut" in Wien auf. Vor ihm redete eine Führungsperson der Identitären. Rund um die Demo versuchten Identitäre, in das Innenministerium einzudringen und auf einem Balkon ein Transparent mit dem Text "Politiker einsperren – Grenzen zusperren" anzubringen. Die drei Männer wurden daran gehindert, das Transparent sichergestellt.

Seine Teilnahme an der Demo verteidigte Schnedlitz: "Ich will nicht mehr dulden, dass Demonstranten, die nicht derselben Meinung wie die Bundesregierung sind, als Rechtsradikale diffamiert werden."

In den vergangenen Jahren floss auch wiederholt Geld von der FPÖ an die rechtsextreme Gruppierung. So sponserte die Grazer FPÖ auch ein Sommerfest mit 1000 Euro.

Scharnier zu Konservativen

Die Szene zieht auch immer mehr Rechtskonservative an; etwa Teile der CDU-nahen Werteunion. Das zeigte nicht nur das Treffen am Lehnitzsee: Am Mittwoch wurde von dem deutschen TV-Politikmagazin Monitor enthüllt, dass der frühere Berliner Finanzsenator Peter Kurth von der CDU bei der Finanzierung eines von Identitären genutzten Hauses in Steyregg bei Linz mit 120.000 Euro maßgeblich beteiligt war. Dass Identitäre seit über zehn Jahren vom Verfassungsschutz überwacht werden, da aus ihren Reihen und ihrem Umfeld immer wieder Straftaten verübt werden, spielt offenbar keine Rolle.

Erst am Montag hielt der Verfassungsschutz via Aussendung fest, dass es bei den Identitären "immer wieder Gewalttendenzen, Ausschreitungen und Angriffe auf die Polizei" gibt. Besonders herausfordernd sei die "hohe Waffenaffinität" der Gruppe.

Umstrittene Aussagen

Parteiintern ist die Linie Kickls gegenüber den Identitären nicht unumstritten. Der oberösterreichische Landeshauptmannstellvertreter Manfred Haimbuchner will mit den Identitären nichts zu tun haben, wie er zuletzt 2023 mehrmals betonte. Das brachte ihm einen gewaltigen Shitstorm aus der rechten Szene ein. Wüste Attacken handelte sich auch BZÖ-Politiker und Oe24-Dauergast Gerald Grosz ein, der nach den Enthüllungen von Correctiv die Identitären kritisierte.

Diese Shitstorms (und die guten Umfragewerte Kickls) bringen manche FPÖ-Funktionäre zum Schweigen. Wie groß die Mobilisierungskraft der Identitären tatsächlich ist, bleibt jedoch fraglich: Vergangenen Sommer konnten sie selbst nach wochenlanger und europaweiter Mobilisierung kaum 500 Personen in Wien zum Protest auf die Straße bringen. (Colette M. Schmidt, Markus Sulzbacher, 27.1.2024)