Wien – Ich versteh kein Wort, das die labern!“, ruft ein junger Punk, der sich am Zaun des Volksgartens festklammert, seinen Begleitern zu. Sie befinden sich auf der Höhe der U-Bahnstation Volkstheater und teilen das Problem mit hunderten anderen Teilnehmern der Großdemonstration unter dem Motto "Demokratie verteidigen" auf der Ringstraße vor dem Parlamentsgebäude. Denn die Lautsprecher sind etwas ungünstig ausgerichtet, die Rednerinnen und Redner auf der Bühne sind zumindest anfangs nicht klar zu hören.

Jene der laut Polizei bis zu 35.000 Manifestanten, (die Veranstalter sprechen von 80.000), die bereits vor Beginn der von Black Voices Austria, Fridays for Future Austria und der Plattform für eine menschliche Asylpolitik organisierten Veranstaltung um kurz nach 18 Uhr gekommen sind, hatten bessere Plätze ergattert und konnten ein umfangreiches Programm verfolgen. Schauspielerin Mavie Hörbiger verlas einen von Elfriede Jelinek eigens für die Kundgebung verfassten Text, Ina Regen sang. Auf der Bühne vor dem Hohen Haus Standen hielten u.a. Katharina Stemberger, die den Abend moderierte, Cornelius Obonya und Volkstheater-Direktor Kay Voges und die Schriftstellerin Julya Rabinowich Reden.

Schlechtes Wetter

Der ab 17.30 Uhr immer stärker werdende Regen trübte die Stimmung nicht, eine Störaktion von Rechten, die auf dem Dach des Palais Epstein Pyrotechnik zündeten und ein Transparent entrollten, endete rasch. Am entgegengesetzten Ende der Kundgebung nahe des Burgtheaters umstellte die Polizei eine Gruppe von mehreren Dutzend Menschen mit Palästina-Fahnen und Spruchbändern wie "Zionism is Fascism" oder "From the river to the sea Freiheit und Demokratie", die versuchten, die Kundgebung zu stören, aber rasch von anderen Demonstranten abgedrängt wurden.

Als Stemberger von der Bühne aus palästinensische Flaggen sah, wies sie darauf hin, dass diese ausdrücklich unerwünscht gewesen waren und setzte herzhaft nach: „Kinder, schleichts euch!“ Über etwaige Festnahmen war bis Redaktionsschluss nichts bekannt.

Die Kundgebung vor dem Parlament in Wien
Die Kundgebung vor dem Parlament in Wien.
APA/EVA MANHART

SPÖ-Politikerin Mireille Ngosso, die auch bei Black Voices Austria aktiv ist, sagte, das von Journalisten aufgedeckte rechte Geheimtreffen in Potsdam sei nicht überraschend. "Das ist etwas, was wir immer schon befürchtet haben." Viele schwarze Menschen und Menschen mit ausländischen Wurzeln in Österreich hätten Angst. "Manche von uns haben schon die Koffer gepackt oder überlegen, in welches Land sie flüchten könnten", erzählte die Wiener Gemeinderätin. Auch Erich Fenninger, Sprecher der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, warnte vor den "Deportationsfantasien" der Rechtsextremen und nannte die Demonstrierenden eine "Feuermauer“ zum Schutz der Demokratie.

Schauspielerin Hilde Dalik brach in ihrer Rede vor dem Parlament eine Lanze für die jene Menschen in Österreich, die sich nach ihrer Flucht hier ein Leben hier aufbauten, und auch für jene Österreicherinnen und Österreicher, die Ihnen dabei helfen. Sie seien gegenüber jenen in der Überzahl, die etwa im Netz ihren Hass verbreiten. „Die Mehrheit hetzt nicht“, so Dalik.

Unterstützt wurde die Demonstration von einer breiten Front von zivilgesellschaftlichen Organisationen – darunter ÖGB, AK und Caritas – sowie von SPÖ und Grünen. Unter den Teilnehmern waren auch Vertreter der Religionsgemeinschaften und aus dem Kunst- und Kulturbereich.

SPÖ-Chef Andreas Babler auf der Demonstration
Andreas Babler
SPÖ-Chef Andreas Babler auf der Demonstration
Colette Schmidt

Fridays-for-Future-Sprecherin Leila Kriechbaum begründete ihre Teilnahme damit, dass Klimaschutz nur in einer funktionierenden Demokratie umgesetzt werden könne. Antidemokratischen Bewegungen, die noch dazu den Klimawandel leugnen würden, müsse man sich entgegenstellen.

Unter den Teilnehmern des Lichtermeers waren auch Politiker wie Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne), SPÖ-Chef Andreas Babler und die grüne Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl, Lena Schilling.

Bei milden zehn Grad und Nieselregen demonstrierten Zehntausende.
APA/EVA MANHART

Proteste in den Bundesländern

Auch in Salzburg trafen sich trotz anhaltenden Regens rund 1500 Menschen zur Protestkundgebung für Menschlichkeit, Solidarität und gegen Rechtsextremismus. Der für Salzburger Verhältnisse lange Demozug startete beim Hauptbahnhof. Die Menschen marschierten gemeinsam über den Mirabellplatz bis zum Platzl. "Rechtsextreme Hetze und Wut kann nicht auf die leichte Schulter genommen werden", sagte eine Rednerin. In Innsbruck gingen rund 3000 Menschen auf die Straße.

In Innsbruck nahmen an der Kundgebung auf dem Landhausplatz laut Polizei rund 3.000 Menschen teil. Die Veranstaltung, die unter dem offiziellen Titel "Aufstehen gegen rechts – Tirol für Demokratie und Vielfalt" firmierte, verlief bis zum frühen Abend bei trübem Regenwetter ruhig, hieß es von der Exekutive. Die beiden Initiatorinnen, Amelie Deniffel und Lea Weichenberger, meinten im Vorfeld, dass "all die Menschen, die heute gekommen sind, beweisen, dass viele Menschen zurzeit dieses Bedürfnis haben und dass es jetzt wichtig ist, sich aktiv und klar gegen Rechtsextremismus zu positionieren".

Bei der Kundgebung ging es recht musikalisch zu: Eine Blasmusikkapelle spielte zwischen den Redebeiträgen etwa das italienische Partisanenlied "Bella Ciao", was bei zahlreichen Teilnehmern die gestreckte Faust in die Höhe schnellen ließ. Eine Sängerin der Gruppe skandierte wiederum "Grenzen töten". Bei den Rednerinnen und Rednern kamen indes nicht nur die FPÖ und die deutsche AfD schlecht weg, alle Regierungsparteien wurden ins Visier genommen: "Auch unter grüner Regierungsbeteiligung finden weiter Abschiebungen statt", zeigte sich ein Redner enttäuscht.

Wie üblich hatten auch viele Menschen selbstgebastelte Schilder dabei, mit Aufschriften wie "Faschismus ist keine Meinung", "Tirol braucht Vielfalt mehr als alles andere", "Keiner mag Nazis" oder "Menschenrechte statt rechte Menschen". Unterstützt wurde die Kundgebung etwa von der Lebenshilfe, Fridays for Future und kirchlichen Einrichtungen.

1.400 in Salzburg

In der Stadt Salzburg demonstrierten am frühen Freitagabend rund 1.400 Personen (APA-Zählung) bei Regenwetter "für Menschlichkeit, Solidarität und gegen Extremismus". Zahlreiche NGOs hatten zu dem Protest aufgerufen, der für Salzburger Verhältnisse groß ausfiel. Bevor sich der lange Demonstrationszug Richtung Altstadt in Bewegung setzte, warnten Redner und Rednerinnen vor dem Rechtsruck, der nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern in der ganzen Welt stattfinde.

Durch FPÖ-Chef Herbert Kickl hätten rechtsextreme Gruppen wieder Mut gewonnen, sagte eine Aktivistin der antirassistischen Solidaritätsbewegung Antira Salzburg und warnte vor einem zunehmenden Eingang rechtsextremen Vokabulars in die Sprache. "Wir dürfen rechtsextreme Hetze und Wut aber nicht auf die leichte Schulter nehmen." Die europäischen Asylpolitik entwickle sich allerdings in die falsche Richtung und spiele den Extremisten in die Hände.

Vorbild der Kundgebungen waren ähnliche Proteste am vergangenen Wochenende in Deutschland. In zahlreichen Städten gingen dort Hunderttausende gegen rechts auf die Straße. Auslöser dafür waren Enthüllungen des Recherchezentrums "Correctiv" über ein Treffen von Rechtsextremisten am 25. November in Potsdam, an dem unter anderem AfD-Politiker sowie der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, teilgenommen hatten. Unter dem Schlagwort "Remigration" wurde dabei über Pläne zur Vertreibung von Millionen Menschen mit ausländischer Herkunft aus Deutschland beraten. (APA, moe, cms, bed, 26.1.2024)