Die Demonstration "Demokratie verteidigen!" vor dem Parlament in Wien.
Christian Fischer

In Deutschland waren es Hunderttausende. Die Bilder von Menschenmeeren aus Hamburg, München und etlichen weiteren deutschen Großstädten, wo Demos gegen Rechtsextremismus und die AfD durch die Innenstädte zogen, sorgten seit dem Wochenende für Aufsehen in den Medien. Anlass war das Geheimtreffen von Rechtsextremen nahe Potsdam, bei dem Pläne zur Vertreibung von Millionen Menschen gewälzt wurden.

Auch in Wien ist für Freitagabend eine Großdemonstration gegen Rechtsextremismus und Rassismus unter dem Motto "Demokratie verteidigen!" angekündigt. Sie startet um 18 Uhr vor dem Parlament, danach soll ein Menschenring um das Gebäude gebildet werden. Veranstaltet wird die Kundgebung von den Macherinnen und Machern des "Black Voices"-Volksbegehrens, der Klimaschutzbewegung Fridays for Future und der Plattform für eine menschliche Asylpolitik. SPÖ, Grüne und zahlreiche weitere Organisationen – darunter die Caritas, die Katholische Aktion, ÖGB und Arbeiterkammer – haben sich angeschlossen.

Die Demonstration vor dem Parlament
Trotz Regenwetter kamen Tausende
APA/EVA MANHART

Die Organisatorinnen und Organisatoren erwarten 5.000 bis 10.000 Menschen. Auch Vertreter der jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften und prominente Gäste aus dem Kunst- und Kulturbereich sind angekündigt. In Innsbruck und Salzburg sind für Freitagabend ebenfalls größere Kundgebungen geplant.

Rund 1.500 in Salzburg

In Salzburg trafen sich trotz anhaltenden Regens um 17 Uhr rund 1.500 Menschen zur Protestkundgebung für Menschlichkeit, Solidarität und gegen Rechtsextremismus. Der für Salzburger Verhältnisse lange Demozug gegen rechts startete beim Hauptbahnhof. Die Menschen marschierten gemeinsam über den Mirabellplatz bis zum Platzl. "Rechtsextreme Hetze und Wut können nicht auf die leichte Schulter genommen werden", sagte eine Rednerin.

Rund 1.500 Menschen versammelten sich zur Demo gegen rechts am Salzburger Hauptbahnhof.
Stefanie Ruep

Die Demo war zunächst wegen der geplanten Reform des gemeinsamen Europäische Asylsystems angesetzt worden und wuchs sich aufgrund der aktuellen Ereignisse in Deutschland und des rechten Treffens in Wien zu einer Demo gegen Rechtsextremismus aus. Unterstützt wurde die Demonstration von mehreren Organisationen und Gruppierungen: Antira, Soli-Café, Solidarisches Salzburg, GLB, Omas gegen rechts, Fridays for Future, Talk Together und dem Afro-Asiatischen Institut Salzburg. Bei der Demo anwesend waren auch zahlreiche Funktionäre von SPÖ, KPÖ und Grünen.

"Was steht auf dem Spiel?"

Für Deutschland wie Österreich, wo sich die Organisatoren neben Rechtsextremismus und Rassismus auch explizit gegen die Politik der FPÖ richten, stellt sich die Frage: Welchen Effekt haben die Demos abseits eines demokratiepolitischen Signals? Die blaue Kernwählerschaft wird man damit kaum von einer anderen Perspektive überzeugen. Aber haben Kundgebungen wie diese das Potenzial, schwankende Wechselwählerinnen und Protestwähler zu erreichen? Oder sind sie vor allem ein klassisches Beispiel für das, was man im Englischen "preaching to the converted" nennt? Also: Mobilisiert man nur jene, die ohnehin schon den eigenen Blickwinkel teilen, der Effekt auf Wahlergebnisse ist aber eher ein Nullsummenspiel?

"Eine Voraussetzung dafür, dass Demonstrationen auch Wahlergebnisse beeinflussen können, ist, dass sie eine gewisse Breite der Gesellschaft abbilden", sagt die Politikwissenschafterin und Demokratieforscherin Tamara Ehs dem STANDARD. Je mehr ein Querschnitt der Bevölkerung sichtbar sei, desto eher habe eine Kundgebung Einfluss über die auch sonst regelmäßig auftretenden Aktivistinnen und Aktivisten hinaus. In Deutschland würden sich aktuell etwa viele Menschen beteiligen, die die grundsätzliche Frage aufwerfen würden: "Was steht für unsere liberalen, rechtsstaatlichen Demokratien eigentlich auf dem Spiel?"

Die Demo gegen rechts in Wien.
Christian Fischer

Drei Faktoren entscheidend

Für einen breiteren Effekt von Demos seien drei Faktoren entscheidend. Erstens, die Anliegen müssten möglichst konkret formuliert werden. "Allein zu sagen, man ist 'gegen rechts', wird nicht ausreichen, sondern eher weiter polarisieren", sagt Ehs. Deutlich mehr Wirksamkeit verspreche etwa, konkret die "Deportationsfantasien" anzusprechen, die auf dem deutschen Geheimtreffen gewälzt wurden; oder die "Fahndungslisten" mit politischen Gegnern, von denen FPÖ-Chef Herbert Kickl jüngst beim blauen Neujahrstreffen sprach.

Zweitens, die Demonstrationen müssten friedlich ablaufen. "Wenn quasi linke Chaoten Steine werfen, schreckt das die bürgerliche Mitte ab." Und drittens, eine gesellschaftliche Breite müsse rund um die Kundgebungen auch sichtbar sein. "Wenn Aufrufe und Mobilisierung etwa gleichzeitig von Kirchenvertretern, Sozialeinrichtungen, mehreren politischen Parteien und verschiedenen zivilgesellschaftlichen Initiativen ausgehen, hat das einen deutlich stärkeren Effekt." Ein breites gesellschaftliches Bündnis dieser Art habe es etwa 2016 bei der Bundespräsidenten-Stichwahl zwischen Alexander Van der Bellen und FPÖ-Kandidat Norbert Hofer gegeben, erinnert Ehs.

Studie sieht Potenzial von acht Prozent

Sie verweist zudem auf eine jüngere italienische Studie, die auf kommunaler und regionaler Ebene untersucht hat, wie stark öffentliche Proteste die Zustimmung zu rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien beeinflussen können. Ergebnis: Die Zustimmung der Wählerinnen und Wähler zu den einschlägigen Parteien konnte in den Fallbeispielen um bis zu acht Prozent reduziert werden. Diese Ergebnisse ließen sich keineswegs eins zu eins etwa auf die bevorstehende Nationalratswahl in Österreich umlegen, wie die Politologin betont. Sie zeigten aber das grundsätzliche Potenzial breiter zivilgesellschaftlicher Initiativen und Proteste.

Rathkolb: "Permanenter Tabubruch"

Der Zeithistoriker Oliver Rathkolb von der Uni Wien bringt im STANDARD-Gespräch ähnliche Punkte vor – und ist in einzelnen Aspekten zumindest "gespalten", wenn es um den praktischen Effekt von Großdemos geht. Ein Signal zu setzen hält er für wichtig, wenn "demokratische Grundsätze so locker und scheinbar einfach infrage gestellt werden". Gerade das Beispiel Donald Trumps in den USA zeige, "wie jahrelanges Bombardement gegen Grundsätze der Demokratie, Verfassung und Gewaltenteilung, unabhängige Justiz und Medien" auf die Dauer den Weg für tatsächliche politische Maßnahmen bereite. Durch den permanenten Tabubruch würden Hemmschwellen in der Bevölkerung gesenkt und die Zustimmung zu potenziell autoritären Maßnahmen Schritt für Schritt gesteigert. Ähnliches kenne man in Deutschland und Österreich aus der Zwischenkriegszeit.

Aber: Demonstrationen mit zehntausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern finden naturgemäß in urbanen Zentren statt. "Und die urbanen Zentren sind nicht Österreich, die urbanen Zentren sind nicht Deutschland", sagt Rathkolb. Wahlen in beiden Ländern würden nicht in den großen Städten entschieden, sondern "in den Bundesländern". Und ebendort, in ländlichen Regionen, würden große Kundgebungen in den Städten oft nach dem Motto wahrgenommen: "Da demonstrieren die üblichen Verdächtigen." In den Demos liege damit auch ein Restrisiko, dass die vielzitierte gesellschaftliche Spaltung, die sich schon im Zuge der Corona-Pandemie und der Proteste gegen die Maßnahmen verschärft hatte, weiter zunehmen könnte.

Landeshauptleute in der Pflicht

Gerade angesichts dieses Stadt-Land-Gefälles halte er es für zentral, darüber nachzudenken, wie die wichtige Debatte über Errungenschaften der Demokratie "in die Gesellschaft hineingetragen" werden könne – das auch abseits der Milieus, die dafür ohnehin empfänglich sind; und vor allem auch außerhalb der urbanen Ballungsräume. Auch für die Landeshauptleute sei es nicht damit getan, Statements gegen autoritäre Fantasien nun öffentlich zu begrüßen. "Sie müssen das auch ins Bierzelt der letzten kleinen Gemeinde hinaustragen. Und das sehe ich bisher, ehrlich gesagt, nicht." (Martin Tschiderer, Stefanie Ruep, 26.1.2024)